WÄHRUNG Auch noch Schlangenbiß
Kanzler und Finanzminister schworen auf Europa. Der Währungsverbund zwischen den Ländern des Kontinents, so hatte Helmut Schmidt Mitte Februar nach einem Treffen mit den Franzosen beteuert, wird »wirklich in Ordnung und tatsächlich am Leben erhalten«. Hans Apel versicherte noch vorletzten Donnerstag, es gebe »überhaupt keinen Grund«, Änderungen ins Auge zu fassen.
Seither hat sich viel verändert, und alles geriet in Unordnung. Unter den Europäern keimt Mißtrauen und die Furcht vor einem Handelskrieg auf ihrem Kontinent. Die deutschen Hoffnungen auf mehr Stabilität im Inland scheinen an Europa zu zerbrechen. Die angepeilte Wirtschafts- und Währungsunion mit den europäischen Partnerländern rückt noch weiter in die Ferne.
Denn die sogenannte Währungsschlange, der Wechselkursverbund von acht europäischen Staaten*, geriet in die Zerreißprobe. In der Nacht zum Montag letzter Woche verließen bereits die Franzosen den Kreis der Länder, die ihre Wechselkurse verklammert hatten und sie nur gemeinsam gegen* Die EG-Staaten: Dänemark. Belgien, Bundesrepublik, Frankreich, Luxemburg, Niederlande. Freiwillig assoziiert: Norwegen, Schweden.
über dem Dollar frei schwanken lassen wollten. Und in den folgenden Tagen drohte auch der Rest des Europa-Vereins zu platzen.
Nur mit viel Geld und Mühe konnten die europäischen Notenbanken, voran die Deutsche Bundesbank, jene Vereinbarungen einhalten, wonach etwa die Mark-Kurse des belgischen Franc. der Dänen-Krone und des Holländer-Gulden nicht weiter als 2,25 Prozent unter die 1973 festgeschriebenen Mittelwerte fallen sollen. Überall in Europa, aber auch in Übersee verkauften Bankiers und Unternehmer schleunigst diese Währungen und versuchten statt dessen. Deutsche Mark zu erwerben.
Denn um die ganze Welt ging die per Telephon und Telex verbreitete Vermutung, daß der Währungsverbund nicht länger haltbar sei, daß die Mark gegenüber den europäischen Partner-Valuten aufgewertet werden müßte. Finanzminister Apel versuchte die fremden Gelder mit Imponiergehabe zu schrecken. »Wir wollen mal sehen, wie lange die Spekulanten aushalten«, sagte er, »da stellen wir uns mal ganz dumm.« Als der Minister in der vergangenen Woche im Bundestag sein währungspolitisches Bekenntnis zu Protokoll gab, rief ihm der CSU-Abgeordnete Richard Stücklen zu: »Herr Apel. passen Sie auf, daß zu dem Tritt vom Pferd nicht auch noch ein Schlangenbiß kommt.«
Vor dem Biß warnen die Experten schon seit Wochen. Sie fürchten, daß die Währungsschlange wieder einmal die deutsche Preisstabilität und damit das soziale Klima gefährden könnte. Denn die fast acht Milliarden Mark, die von der Bundesbank in den vergangenen Wochen zusätzlich geschaffen und zur Pflege des Währungsverbundes gegen Devisen getauscht wurden, blähten die Geldmenge in Deutschland bereits auf. Weitere spekulative Zuflüsse könnten leicht die Inflationsrate nach oben drücken und ein gefährliches Karussell in Bewegung setzen. Die Arbeitnehmer, die sich jetzt wie etwa die Metaller mit rund 5,4 Prozent Lohnerhöhung bescheiden, würden sieh durch nachträgliche Verringerung ihrer Kaufkraft betrogen fühlen. Die unausweichliche Folge: wilde Streiks im Herbst und so hohe Lohnforderungen für 1977, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit kaum gelingen kann.
Um die Preisstabilität zu sichern, sollte die Geldmenge im ganzen Jahr 1976 nur um durchschnittlich acht Prozent höher sein als 1975. Die Zielgröße ist jetzt schon überschritten. »Wir müßten«, beobachtete Dietmar Gebert, Konjunkturexperte im Kieler Weltwirtschaftsinstitut, »jetzt schon bremsen, um das eigentliche Geldziel zu erreichen.« Bremsmanöver der Bundesbank aber könnten, so meinen die Kieler, die Unternehmer verunsichern und die Neueinstellung von Arbeitern und Angestellten verzögern.
»Es ist immer dasselbe«, stöhnt auch ein Bonner Experte, »wir haben schon viel zu lange zugesehen.« Seit Jahren wissen die Europäer, daß ihr Wechselkursverbund nur funktionieren kann, wenn sie auch die Wirtschaftspolitik harmonisieren. Helmut Schmidt, der gelegentlich von sich behauptet, es wäre längst in Europa alles besser, »wenn man so verdammte Pragmatiker wie mich etwas früher gefragt hätte«, sprach zwar häufig über abgestimmte Maßnahmen mit seinen Kollegen, vorzugsweise mit dem französischen Präsidenten Giscard d'Estaing. Die Kamingespräche und Telephonate erwiesen sich jedoch nur als unverbindliche Plauderei.
In Europa blieb lediglich die Bundesrepublik auf Stabilitätskurs. Die Franzosen und die Dänen etwa beschleunigten ihre Geldexpansion in den letzten Monaten 1975 mit einer Jahresrate von weit über 20 Prozent. Während die Deutschen ihre Inflationsrate und ihre Lohnkosten auf relativ niedrige Margen herunterschleusen konnten, blieben die meisten Europäer bei zweistelligen Ziffern (siehe Graphik). Die hohen Raten des Auslandes machten die Verteuerung der deutschen Exportwaren, die durch die Mark-Aufwertungen vor drei Jahren (9,7 Prozent gegenüber den wichtigsten Handeispartnern) verursacht wurden, zu zwei Dritteln wieder wett.
Die Distanz zwischen der relativ stabilen Bundesrepublik und ihren Partnern droht immer noch größer zu werden. Die Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung prophezeiten etwa, daß die belgischen Lohnkosten in diesem Jahr viermal, die dänischen und holländischen gut dreimal so schnell steigen wie die deutschen. »Bei solchen Daten und Perspektiven«, so meint ein Bonner Regierungsberater, »ist die Spekulation kein Wunder.« Und ein hoher Beamter gestand am vergangenen Freitag, er könne es sich nicht vorstellen, daß der gegenwärtige Zustand der europäischen Währungsschlange noch acht Tage dauern wird. Am gleichen Tag antwortete Apel auf die Frage, wie lange seine Schwüre über die Stabilität des Währungsverbundes halten: »Wir leben alle nur vorübergehend.«
Schon in der vergangenen Woche wurden in Bonn und Brüssel Modelle zur Problemlösung diskutiert: Die einen empfahlen, der Kurs der Mark sollte völlig freigegeben werden, so daß sich auch die Paritäten zwischen der deutschen und den europäischen Valuten am Markt bilden könnten. Die anderen votierten für eine Neufestsetzung aller Euro-Währungen. »Egal, was passiert«, sagte ein Brüsseler Experte, »hauptsächlich es passiert bald.«