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Artikel 35 / 93

»Auf dem Weg in die Katastrophe«

Nur rasches Umschalten kann die Menschheit retten / Von Aurelio Peccei, Präsident des Club of Rome Fritz Molden Verlag.
aus DER SPIEGEL 21/1981

Die Phase der Geschichte, die vor uns liegt, ist vollkommen neuartig. Die Lehren aus der Vergangenheit nützen uns nur wenig; die Mechanismen, die früher noch unsere Irrtümer schlucken oder korrigieren konnten, funktionieren nicht mehr.

Es ist dies das erste Mal, daß die Zukunft des Menschen allein in seiner Hand liegt, das erste Mal, daß er als Steuermann das Raumschiff Erde auf seiner Reise in die nächsten Jahrhunderte steuern kann. Seine Verantwortung ist so groß, daß sie zugleich eine schöne Aufgabe und eine schwere Bürde ist.

Nach der ausgezeichneten Definition des Biologen Julian Huxley besteht »seine Rolle, ob er will oder nicht, darin, die Evolution auf Erden zu lenken, und seine Aufgabe darin, diesen Prozeß anzuleiten und ihn auf den Weg des Fortschritts zu führen«.

Die Frage lautet also: Ist der Mensch dieser außerordentlichen Rolle gewachsen?

Dabei sind die möglichen Antworten auf diese Frage vielleicht weniger wichtig als die Frage selbst. Denn wenn wir sie uns stellen, dann werden wir uns dessen bewußt, daß wir uns in einer ganz neuen Lage befinden, in der wir soviel Verantwortung haben wie nie zuvor, und daß wir aus Versehen, Gedankenlosigkeit oder gar aus Dummheit eine unheilvolle Zukunft heraufbeschwören können.

Die 60er Jahre waren eine Zeit der großen Illusionen. Der Mensch hatte das Gefühl, endlich eine fast unerschöpfliche Energiequelle zu besitzen, die es ihm erlauben würde, sein Leben nach seinem Dafürhalten zu verändern. Nicht ohne Zutun gewisser interessierter Kreise sah man im Ölrausch das Leben durch die rosa Brille, denn das Öl stand in unbegrenzten Mengen zu angenehmen Preisen zur Verfügung.

Die Konsumgesellschaft erschien als ein leicht zu erreichendes Ziel, das den Wünschen aller entsprach. Die Wirtschaft befand sich in einer Phase der Expansion, sehr hohe Wachstumsraten schienen für Jahrzehnte gesichert.

Ein Erwachen gab es dann zu Beginn der 70er Jahre. Dabei sah man sich plötzlich einer Realität gegenüber, die ganz anders war, als man sie sich in seinem Wunschdenken vorgestellt hatte.

Ein erstes Signal hatte der Club of Rome gesetzt. Der 1972 veröffentlichte Bericht über die Grenzen des Wachstums bestätigte seine Diagnose. Die durch dieses ketzerische Buch provozierten Diskussionen waren noch voll in Gang, als im Herbst 1973 plötzlich die Ölkrise ausbrach. Die inzwischen erfolgte Vervierfachung des Rohölpreises versetzte dem ganzen Gebäude aus allzu optimistischen Vorhersagen und Hirngespinsten über die Zukunft, das man in den 60er Jahren lässig konstruiert hatte, einen Stoß, der gar nicht stärker hätte ausfallen können.

Man kann die 70er Jahre als Übergangsperiode bezeichnen. Denn obwohl die Ölkrise 1973 uns auf eine harte, S.83 aber heilsame Probe gestellt hat, war ihre Wirkung doch nicht stark genug, um festgefahrene Überzeugungen und Gewohnheiten radikal in Frage zu stellen. In diesem Sinne war sie erst eine Mini-Krise.

Gegen Ende der 70er Jahre hat sich die psychologische Situation jedoch wirklich verändert. Eine Wirtschaftskrise zeichnete sich ab. Das Öl, der Eckpfeiler unserer industriellen Zivilisation, wurde immer teurer. Düstere An- und Aussichten griffen um sich. Zu Unrecht hatte man dem Club of Rome Panikmache vorgeworfen; jetzt suchte man, ihn an Pessimismus zu überbieten.

Alle Welt beginnt nun zu verstehen, wie krank unsere moderne Gesellschaft ist. Die Gefahren einer direkten politisch-militärischen Konfrontation zwischen den Supermächten irgendwo auf der Welt haben den Hoffnungen der Menschen den Gnadenstoß versetzt. Ein Teil der öffentlichen Meinung und viele Politiker, Bankiers, Industrielle, Gewerkschaftler und Universitätsprofessoren sind im Moment ratlos und niedergeschlagen. Und diese Depression ist das Gegenteil der Euphorie, die vor 15 Jahren herrschendes Bewußtsein war.

All diese Einstellungen müssen bekämpft werden. Wir mußten auf unsere naiven Hoffnungen von gestern verzichten, und genauso notwendig müssen wir jetzt lernen, den außerordentlichen Ernst der Lage unseres Planeten objektiv und ausgewogen zu beurteilen. Wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht einem resignativen Fatalismus hingeben oder umgekehrt den Verlockungen gewaltsamer Lösungen erliegen. Wir müssen die Realität, wie sie ist, angehen.

Der Schrecken über die Entdeckung, daß unser jetziger Weg wahrscheinlich in die Katastrophe führt, muß uns in unserem Entschluß, einen anderen Weg einzuschlagen, bestärken. Nur durch den Gebrauch unseres Verstandes und durch Entschlossenheit können wir uns auf einen menschlicheren und vernünftigeren Weg in die Zukunft begeben und die Opfer bringen, die er von uns verlangt.

Die Ereignisse überschlagen sich; wir haben es mit äußerst dynamischen Phänomenen und Problemen zu tun, wo jede Verzögerung schädlich ist. Den Rüstungswettlauf stoppen oder die Verwicklungen im Nahen Osten entwirren ist heute schwerer als gestern. Und das gilt auch für den Kampf gegen die Inflation, die Droge, die Überbevölkerung, gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit.

Wenn man von Soziologen, Politikern, Anthropologen oder Philosophen verlangen würde, sie sollten unabhängig voneinander die wesentlichen negativen Faktoren beschreiben, die der weltweiten Problematik zugrunde liegen und in ihrer Kombination die Menschheit S.85 unentwegt auf den Weg des Verfalls treiben, dann würden wahrscheinlich sehr verschiedene Gesamtdarstellungen herauskommen. Doch würden ihre Antworten sicher ein paar kritische Punkte treffen, die allen Analysen gemeinsam sind. Ich glaube, daß die folgenden zehn Punkte zu den wichtigsten gehören:

* Die Bevölkerungsexplosion: Die Überbevölkerung ist sowohl ein Multiplikator für alle bestehenden Probleme als auch die Ursache immenser neuer. Wenn man dies nicht erkennt, wird die Lage nur noch schlimmer.

* Das Nicht-Vorhandensein von Plänen und Programmen, um die elementaren Bedürfnisse dieser riesigen Menschenmasse zu befriedigen und ihr ein anständiges Leben zu bieten. Fast ein Viertel der Erdbewohner lebt in absoluter Armut und höchster Not; niemand weiß, wie vielen Menschen morgen dasselbe Los beschert sein wird.

* Die Zerstörung der Biosphäre: Die vier wichtigsten biologischen Systeme, die das menschliche Leben erhalten -- das Ackerland, das Weideland, die Wälder und die Meeresfauna --, sind ausgepowert. Außerdem sind die Ökosysteme der Welt von der Verschmutzung durch den Menschen betroffen und bedroht.

* Die Krise der Weltwirtschaft: Die Rezession, das Chaos in Währungs- und Finanzfragen, die Inflation, die Arbeitslosigkeit, das ungehemmte Wachstum, der übermäßige Konsum, die Verschwendung von Ressourcen und die Unterentwicklung sind die Symptome einer krankhaften und beunruhigenden Entwicklung. Die am leichtesten zugänglichen Energiequellen versiegen. Die industrielle Zivilisation untergräbt ihre eigenen Grundlagen.

* Der Rüstungswettlauf, der mit der progressiven Militarisierung einhergeht: Die Militärausgaben erreichen spektakuläre Rekordhöhen, und die Vernichtungskapazität der Waffen nimmt immer furchterregendere Ausmaße an. Dennoch ist eine Obergrenze noch nicht in Sicht.

* Die Vernachlässigung tiefgreifender sozialer Übel: Wir leben in einer materialistischen Überflußgesellschaft, die vom Egoismus, von der Ungerechtigkeit und Intoleranz bestimmt ist. Ihre bitteren Früchte sind: Entfremdung, Apathie, Verbrechen, Drogen, Revolten, Gewalt, Terrorismus, Folter bis hin zum Völkermord.

* Die anarchische wissenschaftlichtechnische Entwicklung: Den »Fortschritt« betrachtet man als Selbstzweck. Er vollzieht sich gleichgültig gegen die vorrangigen Bedürfnisse der Gesellschaft und deren Fähigkeit, den Fortschritt zu verkraften. Seine Kosten und sein Gewinn sind höchst ungleich verteilt.

* Die Überalterung und Verknöcherung der Institutionen: Sie sind hinter der Entwicklung des Lebens der Nationen und der Erde zurückgeblieben. Angesichts des wachsenden allgemeinen Chaos sind sie überfordert. Das politische Leben paralysiert sich zunehmend.

* Der Ost-West-Gegensatz und das Nord-Süd-Gefälle: Sie sind ein Beweis für die politische und psychologische Unreife der großen Menschengruppen und ihrer Regierungen. Unter diesen Umständen ist die Welt unregierbar.

* Der Mangel an moralischer und politischer Führung: Die führenden Persönlichkeiten sind ihrer Ideologie, ihrer Überzeugung, ihrem Mandat und ihren Privilegien verhaftet. Keiner ergreift Partei für den Menschen. So bleibt das Individuum hilflos und allein seinem Schicksal überlassen.

Der Leser kann die Reihenfolge dieser negativen Faktoren verändern, weitere hinzufügen oder versuchen, ein anderes Gesamtbild zu erstellen. Am Ergebnis S.87 würde das aber kaum etwas ändern. Und es wäre ein schwerer Fehler, wenn man nicht verstünde, daß nicht nur jeder dieser Faktoren unserer Dekadenz allein schon genügt, die Menschheit in die Knie zu zwingen, sondern daß sie sich auch wechselseitig beeinflussen und verstärken und dadurch ausweglose Situationen schaffen.

Den größten Problemen von heute liegen die Fehler von gestern zugrunde, und die Fehler von heute verschlimmern die Probleme von morgen.

Die beklemmendsten Probleme sind nach wie vor diejenigen, die mit dem außerordentlichen Bevölkerungswachstum zusammenhängen.

Das Schicksal eines von vier Menschen ist es, ein Leben lang nicht satt zu werden oder ein Leben unter erniedrigenden Bedingungen zu führen, das heißt unwissend und unnütz unter ungesunden Umständen zu leben. Die Hungernden in der Sahel-Zone, am Horn von Afrika und in etwa zehn weiteren Regionen dieses Kontinents, die Opfer von Überschwemmungen in Indien und Bangladesch, das ländliche Lumpenproletariat im Nordosten Brasiliens, die potentiellen Insassen der Flüchtlingslager und die Randgruppen in den Elendsvierteln der Erde, die wir im Fernsehen sehen, sind nur ein Teil der Verdammten dieser Erde.

Was den Hunger auf der Welt betrifft, muß man sich mit Schätzwerten begnügen, da genaues Zahlenmaterial nicht zu bekommen ist und die Kriterien zur Bemessung der Armut variieren. Das Bild, das sich daraus ergibt, ist jedenfalls trostlos. Edouard Saouma, Generalsekretär der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der »ereinten Nationen: Die vierte, im Jahre 1977 durchgeführte » » Untersuchung der FAO zur Welternährungslage kommt zu einem » » erschreckenden Ergebnis: Ungefähr 450 Millionen Menschen, vor » » allem Frauen und Kinder, sind schwer unterernährt. Mehrere » » hundert Millionen Menschen sind schlecht ernährt. Im » » Gegensatz zu den reichen Ländern beruht dieses » » Ungleichgewicht aber nicht auf einem Übermaß, sondern auf dem » » chronischen Mangel an lebenswichtigen Nahrungsmitteln ... Die » » Zahl der Personen, die Hunger leiden und schlecht ernährt » » sind, liegt höher denn je, und sie steigt weiterhin an ... »

Da erübrigt sich jeder Kommentar, außer der Feststellung, daß wir alle ein bißchen verantwortlich sind für die Tatsache, daß es heute noch solche Verhältnisse gibt.

Auch das beklemmende Problem der Arbeitslosigkeit kann nicht buchhalterisch erfaßt werden. Selbst die Begriffe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung gelten nur für die entwickelten Länder, wo man die Arbeitslosen relativ gut quantifizieren kann. Wegen begrifflicher und statistischer Schwierigkeiten lassen sich diese Begriffe auf die große Mehrzahl der Länder der Dritten Welt aber gar nicht anwenden.

Im allgemeinen taugen die Begriffe »Beschäftigung« und »Aktivierung« besser als die Rede von den »Arbeitsplätzen«, und statt von der Arbeitslosigkeit spricht man von der »Erwerbslosigkeit« der Leute, das heißt von der Unmöglichkeit, ihre Arbeitskraft einzusetzen.

Aus diesem Grund zieht es das Internationale Arbeitsamt (ILO) vor, mit Begriffen wie den oben erwähnten der absoluten Armut zu arbeiten und von Notleidenden unterhalb einer gewissen Armutsschwelle zu reden.

Nach diesen Schätzungen betrug die Zahl der Notleidenden, China ausgenommen, 1103 Millionen. Die Mehrzahl hatte keine regelmäßige Beschäftigung. Um das inaktive, erstmals auf dem Arbeitsmarkt erscheinende Arbeitskräftepotential zu absorbieren, müßten in Zukunft jedes Jahr 40 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden -- ungefähr die doppelte Anzahl derer, die zwischen 1970 und 1975 entstanden sind.

Die Vorstellung, daß die sich aus der Überbevölkerung ergebenden Probleme fast ausschließlich die Dritte Welt betreffen, geht an der Sache vorbei. Wie man es von einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, nur erwarten S.90 kann, kommen deren Konsequenzen in der einen oder anderen Form überall zum Vorschein. Selbst die entwickelten Länder der OECD,

( Organisation der 24 größten, ) ( nichtkommunistischen Industriestaaten. )

die glaubten, sie blieben verschont, hat es voll getroffen. Und zwar direkt dadurch, daß sie die Arbeitslosigkeit nicht verringern können, obwohl ihre Bevölkerung im Verhältnis zu den Ressourcen, über die sie verfügen, relativ begrenzt ist.

Man schätzt, daß sie im Moment mehr als 20 Millionen offizielle Arbeitslose haben und daß deren Zahl im Jahr 1985 die 25-Millionen-Grenze überschreiten wird. Und die Arbeitslosen werden in der Folgezeit wahrscheinlich noch zunehmen wegen der Fortschritte bei der Automatisierung der Industrie und des Dienstleistungssektors.

Die Industrienationen sind aber auch indirekt von den Auswirkungen des weltweiten Bevölkerungsdrucks betroffen. Obwohl sie relativ schwach bevölkert sind, werden sie der Dritten Welt, die unter ihrem Bevölkerungswachstum so sehr leidet, mehr und mehr helfen müssen.

Während sie heute noch die Länder sind, in denen es Überfluß, Reichtum, Verschwendung und relativ wenig Probleme gibt, werden sie morgen eine nüchternere, wenn nicht gar karge Art zu leben lernen müssen -- ein Effekt, der andererseits nicht ausschließlich negativ zu bewerten ist.

Sie werden vom Wachstum um jeden Preis Abstand nehmen müssen, von dem trügerischen Denken, daß alles mehr werden soll -- die Produktion, der Konsum, die Beschäftigung --, und sich die intelligentere Logik des Bessermachens zu eigen machen müssen. Das bedeutet die bessere Nutzung aller Ressourcen und darunter in erster Linie des menschlichen Potentials.

Wenn die Lage der Industrienationen schon besonders schwierig zu werden verspricht, dann stellt sich die Weltlage insgesamt äußerst dramatisch dar. Nichtsdestoweniger ist die Vorbereitung auf die Bewältigung der noch nie dagewesenen Bevölkerungsprobleme praktisch noch gleich Null -- selbst wenn man nur den kurzen Zeitraum bis zum Jahr 2000 ins Auge faßt.

Man hat den neuartigen Charakter und die kolossalen Dimensionen der Aufgabe noch gar nicht erkannt; es gilt nämlich, eine zusätzliche Bevölkerung von zwei Milliarden Menschen mit Wohnungen, anderen lebensnotwendigen Gütern und Schulen zu versorgen, und das angesichts einer Lage, in der die bereits lebende Bevölkerung schon schlecht versorgt ist.

Um das Chaos verstehen zu können, das die neuen Bevölkerungsschübe verursachen werden, wenn sie sich kurzfristig über die Erde ergießen, braucht man die anderen großen Probleme also gar nicht einzubeziehen. Diejenigen, die ich skizziert habe, sind mehr als ausreichend.

Die Grundfrage besteht darin: Woher wird die in so viele gegensätzliche Gruppen aufgesplitterte Menschheit die Eintracht und die Schöpferkraft, das Kapital, das Material und den Raum für ein solch außerordentliches Unterfangen nehmen? S.91

Für den Anfang bräuchte es einen globalen Bebauungsplan für die großen Regionen der Erde. Allein die Konzeption eines solchen Plans bedarf der Phantasie der großen Visionäre und des totalen moralischen Engagements für die notleidende Bevölkerung von heute und morgen. Doch gibt es heute noch nichts dergleichen.

Eine mittelfristig noch ernstere Gefahr droht uns davon, daß wir so viele biologische Kapazitäten verbrauchen, beziehungsweise sie so verändern, daß sie keine ausreichende Grundlage mehr für die künftigen, ungestüm vorwärtsschreitenden Generationen bilden.

Eines der wichtigsten Dokumente der letzten Zeit, die Strategie mondiale de la conservation (deutscher Titel: Weltstrategie für die Erhaltung der Natur)

( Von mehreren internationalen ) ( Organisationen geschaffenes Programm, ) ( d. Red. )

gibt einen Überblick über die von uns geschaffene Lage. Ich zitiere daraus, weil es ein anerkanntes Werk ist:

* »Die Kapazität der Erde, für den Unterhalt des Menschen zu sorgen, erleidet laufend unersetzbare Verluste, und zwar sowohl in den in Entwicklung befindlichen als auch in den entwickelten Ländern.

* Hunderte Millionen von Männern und Frauen in den ländlichen Gemeinden der Entwicklungsländer zerstören gezwungenermaßen die Ressourcen, die es ihnen ermöglichen würden, sich von Hunger und Not zu befreien.

* Die Kosten für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen steigen.

* Die Ressourcen, auf denen die großen Industrien basieren, nehmen ab.«

Die Folgen sind vielfältiger Natur. Sie, meine Leser, brauchen sich gar nicht erst auf die Suche nach exakten Zahlen oder mathematischen Beweisen zu begeben, denn es gibt sie nicht, und wenn es sie geben wird, dann wird es schon zu spät sein. Unsere Unkenntnis dessen, wie begrenzt die Fähigkeiten der Natur, für unseren Unterhalt zu sorgen, sind, ist bodenlos. Sie wird nur noch übertroffen durch unsere Gier, die uns dazu treibt, alle Ressourcen so weit und so schnell wie möglich auszunutzen.

Dennoch haben wir ein paar recht verläßliche Anzeichen, um uns ein Bild von der Art und Größenordnung der Zerstörung unserer Umwelt machen zu können. Der Planet Erde wird geplündert und zerstört von einer armen Mehrheit, die die Ressourcen einfach um des täglichen Überlebens willen auspowert; und von einer reichen Minderheit, die in ihrer unersättlichen Gier verschwenderisch alles konsumiert. Die Mehrheit kann also nicht an morgen S.92 denken, und die Minderheit will sich nicht darum kümmern.

Führen wir uns kurz einige Aspekte unseres angegriffenen natürlichen Erbteils vor Augen.

Zunächst die Böden. Nur etwas mehr als ein Zehntel der Fläche aller Kontinente ist im weitesten Sinne überhaupt für die Landwirtschaft geeignet. Davon sind die besten Ländereien bereits bebaut, und mangels wirksamer Pläne und Projekte wird der Prozeß der Urbarmachung neuer Gebiete langsam, schwierig und kostspielig sein.

Im übrigen werden der Landwirtschaft immer größere Flächen entzogen, um sie dem »Betongott« zu opfern, der den krampfhaften und verhängnisvollen Weg bestimmt, den wir noch immer mit dem Euphemismus »Entwicklung« benennen. Im Unterschied zu natürlichen Erosionen, die gewöhnlich durch die spontane Regeneration kompensiert werden, sind die direkt oder indirekt vom Menschen verursachten Zerstörungen und Erosionen im allgemeinen nicht rückgängig zu machen.

Das schlimmste Phänomen ist das der Versteppung, von der im Augenblick ein Zehntel von Lateinamerika, ein Fünftel von Afrika und Asien und ein Viertel von Australien bedroht ist.

Es stimmt zwar, daß neue Ländereien für den Ackerbau erschlossen werden können, während andere für diesen Zweck verlorengehen. Trotz alledem entwickelt sich die Bilanz immer mehr zu unseren Ungunsten. Bis ins Jahr 1950 nahmen die Anbaugebiete im selben Maß zu wie die Weltbevölkerung. Von 1950 bis 1975 nahmen sie weniger zu, und die Hochrechnungen für das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts sagen eine weitere besorgniserregende Abnahme vorher.

Einige Zahlen können uns ein Hinweis sein auf die Schwierigkeiten, die uns erwarten. Die mit Getreide bebauten Flächen betrugen im Jahre 1950 0,241 Hektar pro Kopf und sind bis 1975 auf 0,184 Hektar pro Kopf zurückgegangen; und die Vorhersage läuft darauf hinaus, daß sie bis zur Jahrhundertwende auf 0,128 absinken werden. Es ist zweifelhaft, ob Produktivitätssteigerungen dies kompensieren können. Man kommt also nicht umhin um die Feststellung, daß die großen Ernährungsprobleme der Menschheit noch größer werden.

Die großen Waldgürtel sind gleichfalls zum Aussterben verurteilt oder in Gefahr. Das wichtigste natürliche System ist wahrscheinlich das der tropischen Regenwälder. Sie sind die Überreste uralter biologischer Gemeinschaften, die sich in mehreren zehn Millionen Jahren entwickelt haben. S.93

Unter ihrem Schutz lebt heute fast die Hälfte aller wichtigen Pflanzen- und Tierarten. Dort findet man in den Vorläufern der Gräser und Pflanzen, die wir anbauen, auch das unschätzbare Erbe einer natürlichen genetischen Reserve -- die Urquelle, die wir im Notfall zur biologischen Erneuerung unserer Nutzpflanzen anzapfen können.

Der englische Naturforscher Norman Myers hat herausgefunden, daß von diesen Wäldern 50 Hektar pro Minute zerstört werden, was dem jährlichen Verlust eines Gebiets von der Größe Belgiens, Hollands und Dänemarks entspricht.

Wenn man die Wälder hinzurechnet, die für andere kommerzielle oder landwirtschaftliche Zwecke mißbraucht werden, dann verdoppelt sich die Fläche zur Hälfte Frankreichs. Bei dieser Geschwindigkeit würde es die tropischen Regenwälder, die sich heute noch auf neun Millionen Quadratkilometer erstrecken, nur mehr etwas länger als 40 Jahre geben.

Man kann sich nur schwer vorstellen, wie unser Planet ohne diese Wälder, ohne diesen Grüngürtel in den Tropen, aussehen wird. Dennoch läuft diese Entwicklung vor unseren Augen ab. Und es ist nicht schwer zu verstehen, daß eine solche makroskopische Mutation einen enormen Einfluß auf die Ökologie und die Gesundheit des Menschen haben wird. Dennoch scheint es bislang kein Mittel zu geben, um uns aus unserer kulturellen, ja existentiellen Gleichgültigkeit gegenüber dieser potentiellen Katastrophe zu erwecken und die sie verursachenden Wirtschaftstätigkeiten unter Kontrolle zu stellen.

Der beschämendste Aspekt in dieser ganzen Geschichte sind unsere Beziehungen zu den anderen Arten, die uns bislang auf unserem Weg begleitet haben. Zu unserer biologischen Existenz brauchen wir eine ganze Reihe von ihnen. Alle Arten sind aber wichtig, selbst die, deren Nützlichkeit wir noch nicht entdeckt haben; und von Bedeutung ist auch das Ökosystem, das sie in ihrer Gesamtheit bilden, obwohl wir von der tiefen Verbundenheit und dem Charakter der Abhängigkeit noch kaum eine Ahnung haben. Wir sind rücksichtslos und verrückt, daß wir so große, nicht wiedergutzumachende Schäden bei den anderen Formen des Lebens anrichten, und einzig ein wahnsinniger, S.96 wilder Tyrann wäre in der Lage, Ähnliches zu leisten.

Um unsere Bedürfnisse zu befriedigen oder unseren Launen zu frönen, fangen wir wunderschöne Lebewesen, sperren sie in Käfige ein, kastrieren und kreuzen sie, wir besamen sie künstlich und manipulieren sie genetisch, überernähren und vivisezieren sie.

Wir haben unsere Landwirtschaft spezialisiert und industrialisiert und dabei wider die Natur gehandelt, deren Gesetze besagen, daß Ökosysteme um so stärker sind, je größer ihre Vielfalt sich entwickelt.

Mit all diesen Taten untergraben wir letztendlich die biologische Stärke und reduzieren die genetische Verschiedenheit der für uns nützlichen mannigfaltigen Pflanzen- und Tierwelt, denn wir domestizieren sie und verringern dadurch ihre Widerstandsfähigkeit gegen Umweltveränderungen, Krankheitserreger und Parasiten. Und so schaffen wir mit unserer eigenen Hände Arbeit, was sich morgen als biologischer Bumerang gegen uns richten kann.

In Zukunft droht die Zerstörung anderer Arten zu einem wahrhaften Gemetzel auszuarten. Im Moment sind 250 000 Pflanzenarten und mehr als 1000 Arten und Unterarten von Säugetieren, Kriechtieren, Vögeln und Fischen, deren Evolution Jahrtausende gedauert hat, unmittelbar vom Aussterben bedroht.

Überall, wo wir hinkommen, ist es aus mit dem Leben in Freiheit -- dem Herzstück der Natur. Und wir sind die ersten, die darunter zu leiden haben.

Das alte chinesische Sprichwort: »Gib einem Hungernden einen Fisch, dann hat er einen Tag zu essen, lehrst du ihn aber fischen, dann hat er sein Leben lang zu essen« gilt heute nicht mehr uneingeschränkt, denn man muß hinzufügen: »nur unter der Bedingung, daß die anderen nicht fischen, da der Fisch nicht für alle Menschen reicht.«

Leider muß man fesststellen, daß viele Staatsmänner, Wirtschaftsexperten und Wissenschaftler trotz alledem die Beziehungen des Menschen zur Natur auf sein Verhältnis zu seiner unmittelbaren Umwelt reduzieren und sich daher vor allem um den Faktor Umweltverschmutzung kümmern. Sie beschränken sich auf taktische Überlegungen, wie etwa die offenkundigsten negativen Auswirkungen der Betätigung des Menschen auf die Umwelt zu vernünftigen Kosten in erträglichen Grenzen zu halten sind.

Wie oft erzählen sie uns die Geschichte von der Themse, die früher verschmutzt war und jetzt wieder saniert ist! Und auf dieses Beispiel gestützt, versichern sie einem, stolz wie Leute, die ein Problem gelöst haben, daß es, wenn man zum Beispiel 1,5 Prozent des Nationaleinkommens für den Kampf gegen die Umweltverschmutzung einsetzt, möglich ist, diese auf ein sehr erträgliches Maß zu reduzieren. Woraus sie dann weiterschließen, daß sich eine saubere Umwelt sehr wohl mit wirtschaftlichem Wachstum verträgt -- und damit haben sie ihren Seelenfrieden gefunden.

Um diesen wichtigen Punkt der Zerstörung der Natur erschöpfend zu behandeln, S.98 müßte man noch vieles andere betrachten.

Man müßte die in jeder Hinsicht herausragende Bedeutung der noch ziemlich unerforschten Reichtümer der Antarktis betonen, wozu der berühmte Krill gehört, diese kleinen Tiere, von denen Unmengen im Polarmeer leben. Sie stellen eine auch biologisch sehr bedeutsame Reserve für die Menschheit dar, die zwar durch ein Abkommen aus dem Jahre 1961 geschützt ist, das aber leider 1991 ausläuft -- danach besteht also die Gefahr einer weitreichenden Plünderung, wofür mehrere Nationen bereits gerüstet sind.

Man müßte über den drohenden Abbau der Bodenschätze am Meeresboden diskutieren, der einiges verändern wird in den Weltmeeren, die früher als eiserne Reserve und als gemeinsames Erbe der Menschheit galten.

Man müßte die Rückwirkungen der Emission von Partikeln und Kohlendioxid in die Atmosphäre auf die Biosphäre und das Klima in Betracht ziehen, die noch unerforschten Auswirkungen dessen, daß überall giftige Abfallprodukte unserer industriellen Zivilisation freigesetzt werden und die Abnahme der Ozonschicht, die uns von oberhalb der Atmosphäre beschützt.

Die conditio humana ist bedroht. Wenn die Menscheit ihr selbstmörderisches Verhalten nicht ändert, dann können wir uns bald in die Rote Liste der bedrohten Arten eintragen.

Die größte, absurdeste und unmittelbarste Bedrohung unserer Gattung ist aber die der Selbstzerstörung mit streng wissenschaftlichen Methoden. Verglichen mit anderen Gebieten wurden in der Waffentechnik nämlich unglaubliche Fortschritte erzielt. Ausgeklügelte Waffensysteme mit todsicherer Wirkung stehen bereit. Nach Vorhersagen von Spezialisten werden von jetzt bis zur Jahrhundertwende etwa vierzig Staaten die nötigen Kapazitäten und Einrichtungen besitzen, um der Atom- und Weltraumelite anzugehören.

Auf der anderen Seite erproben und entwickeln die Menschen neben den thermonuklearen Waffen weitere geniale Mittel -- chemischer, biologischer und ökologischer Art --, um sich gegenseitig zu vernichten oder zumindest zu paralysieren, sich kaputtzumachen oder ihr höllisches Spiel miteinander zu treiben, das das gängige Vokabular noch nicht zu beschreiben in der Lage ist.

Im Zweiten Weltkrieg besaßen die stärksten Bomben eine Sprengkraft von über zehn Tonnen TNT, die Atombombe auf Hiroschima im Jahre 1945 hatte bereits eine Größenordnung von 13 000 Tonnen, und heute verfügt man über atomare Sprengköpfe mit einer Sprengkraft, die 25 Millionen Tonnen TNT entspricht.

Insgesamt enthalten die Arsenale Atomwaffen, die über fünfzehn Milliarden S.99 Tonnen TNT entsprechen. Das bedeutet, daß jeder Bürger dieser Welt, einschließlich Frauen und Kinder, auf einem Pulverfaß von drei Tonnen hochexplosiven Sprengstoffs sitzt, der sofort gezündet werden kann.

Die Militärhaushalte werden ständig aufgestockt und übersteigen im Jahr 1980 bereits die 500-Milliarden-Grenze. Man kann sich diese astronomische Summe nur schwer vorstellen. Sie entspricht Ausgaben von etwas weniger als einer Million Dollar pro Stunde, ein Haufen Geld, der in Zehn-Dollar-Scheinen gestapelt immerhin dreimal so hoch ist wie der Mont-Blanc. Dieses schwindelerregende Investitionsniveau ermöglicht auch die Intensivierung der Forschung und Entwicklung, welche bereits bei weitem die Anstrengungen übertrifft, die auf anderen Gebieten, einschließlich der Suche nach neuen Energiequellen, unternommen werden.

Eine halbe Million Wissenschaftler -- also ungefähr die Hälfte aller Wissenschaftler, darunter auch viele Nobelpreisträger -- sind mit »Verteidigungs«-Angelegenheiten beschäftigt. Man braucht sich also gar nicht zu wundern, daß die militärische Technologie mit Riesenschritten vorwärtseilt und, soviel ich weiß, auf manch einem Gebiet kurz vor einem neuen Durchbruch steht, der den »Ertrag« jedes in die Rüstung investierten Dollars um ein Vielfaches steigen läßt.

Die Gründe für den Niedergang, über die wir uns gerade einen Überblick verschafft haben, sind so schwerwiegend, daß man sich nicht mehr verhehlen kann, die Menschheit befindet sich auf dem Weg in die Katastrophe. Zwar kann man nicht sagen, wann, wo und wie die Katastrophe anfangen und wie sie weitergehen wird; aber es ist schon klar, daß es zu ihrer S.102 Vermeidung nicht genügt, hie und da etwas an einigen dieser Faktoren zu ändern. Die menschliche Gesellschaft muß einen Kurswechsel vornehmen.

Schon bei seiner Gründung im Jahre 1968 hat der Club of Rome die Richtung klar erkannt, die die Menschheit einschlagen muß, um aus der mißlichen Lage herauszukommen, in die sie auf dem höchsten Stand ihres Wissens und ihrer Macht geraten ist.

Seine erste Botschaft an die Öffentlichkeit war der bereits erwähnte und im Jahre 1972 veröffentlichte Bericht über die Grenzen des Wachstums. Mit jedermann verfügbaren Daten und mit einfachen Überlegungen startete der Bericht einen heftigen Angriff auf die Selbstgefälligkeit der Industriegesellschaft. Er machte darauf aufmerksam, daß das exponentielle Wirtschaftswachstum um jeden Preis kein Selbstzweck sein kann. Denn es führt die Gesellschaft zwangsläufig in eine Sackgasse, da es die Grenzen und Beschränkungen mißachtet, die es sowohl in den natürlichen als auch in den menschlichen Systemen gibt.

Unseren Generationen ist das Gefühl für die Ganzheit abhanden gekommen. Dieser Verlust stellt in jeder Hinsicht einen schweren Rückfall dar und ist um so schlimmer, als er sich genau in dem Moment einstellt, wo eine Menge neuer Systeme das große, weltweite Metasystem erweitern und noch komplexer machen, das der Menschheit, ob sie will oder nicht, eine substantielle Einheit verleiht.

Der Sinn für die Totalität und die universellen Harmonien, der dem philosophischen Denken eigen ist und nach dem die Wissenschaft strebend sich bemüht, ist also zu einer unabdingbaren Voraussetzung der intendierten politischen Aktion geworden. Man muß ihn der heutigen Gesellschaft zurückgeben.

Mit anderen Worten, es muß klar sein, daß man sich in wichtigen Fragen -- wie zum Beispiel der Frage nach den wirklichen Alternativen in der Entwicklung Europas oder den möglichen Lösungen des israelisch-arabischen Konflikts oder der bestmöglichen Ausbildung unserer Jugend -- nur dann orientieren kann, wenn man sie in den dynamischen Kontext der soziopolitischen Entwicklung der Welt stellt.

Und daß man, um die biblische Plage des Hungers oder die neuesten Erscheinungsweisen der Gewalt in Kenntnis ihrer Ursachen bekämpfen zu können, ihre Wurzeln in den chaotischen Verhältnissen und im schlechten Funktionieren der gegenwärtigen Gesellschaft aufsuchen muß, daß man sie als Teil einer umfassenderen Problematik betrachten muß und ihre Lösung als einen Aspekt in der Verbesserung der allgemeinen Lage.

Der Club of Rome begriff, daß wir wieder Sinn für die Totalität entwickeln müssen, wenn wir zu einer verläßlichen Diagnose der Übel, die die Menschheit bedrohen, gelangen und eine wirksame Therapie entwickeln wollen. Ihm ist es zum Teil zu verdanken, daß es in der letzten Zeit Fortschritte in diese Richtung gegeben hat.

Man versteht einige Problembündel nun besser. Man beginnt, die Ökonomie mit der Ökologie zu verknüpfen, die Sicherheits- mit den sozialen Problemen, die Energiekrise mit politischen Fehlern der Vergangenheit in Zusammenhang zu bringen und ein Ereignis in der einen Ecke des Globus mit dem, was sich auf der anderen Seite abspielt.

Der Club of Rome begriff auch, daß unsere Generationen, denen ihre technisch-wissenschaftlichen Erfolge zu Kopf gestiegen sind, wieder ein Gefühl für die Verantwortung des Menschen entwickeln müssen.

In Wahrnehmung dieser Verantwortung haben sich seit einiger Zeit mündige Bürger spontan zu kleinen und kleinsten Gruppen zusammengetan. Da S.104 und dort sind diese Gruppen entstanden, um auf neue Anforderungen zu reagieren oder um das zu verändern, was in der Gesellschaft schlecht läuft. Heute gibt es Tausende von ihnen, weit verstreut an verschiedensten Fronten und mit unterschiedlichsten Zielen.

Es handelt sich um die Friedensbewegung, die Frauenbewegung, die Bewegung für die Geburtenbeschränkung, die nationalen Befreiungsbewegungen, die Kämpfer für Minderheiten, die Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten, die Apostel einer Technologie mit menschlichem Antlitz oder der Humanisierung der Arbeit, die Sozialarbeiter und die Aktivisten für eine soziale Veränderung, den Verbraucherschutz, die gewaltlosen Protestler, die Wehrdienstverweigerer und viele andere mehr.

Diese Gruppierungen sind im allgemeinen klein; wenn nötig, können sie jedoch eine Vielzahl von jungen und alten Männern und Frauen mobilisieren, die sich von einer zutiefst ethischen Vorstellung vom Allgemeinwohl leiten lassen und von moralischen Werten, die in ihren Augen mehr bedeuten als alle anderen Verpflichtungen.

Es ist eine Art Bürgerwehr aus Aktiven und Reservisten, die eine ähnliche Funktion erfüllt wie die Anti-Körper. die sich bilden, um in einem kranken oder von pathogenen äußeren Faktoren bedrohten biologischen Organismus wieder normale Bedingungen herzustellen. Die Existenz so vieler spontaner Gruppen und Grüppchen zeugt von der Vitalität, die unseren Gesellschaften, trotz der Krise, die sie durchlaufen, eigen ist. Man müßte eines Tages Mittel und Wege finden, um die verstreuten Bemühungen all dieser Gruppen auf strategisch wichtige Ziele hin zu orientieren.

Nach diesem Exkurs erscheint es angebracht, einen anderen Parameter zu erwähnen, an den der Club of Rome zu appellieren sucht. Es handelt sich um ein Gattungsbewußtsein.

Dieser entscheidende Instinkt, der die Triebkraft allen Lebens ist, hat sich bei uns ein wenig abgeschwächt, denn wir leben von Geburt an wohlbehütet in einer künstlichen Umwelt. Er hat auch unter der doppelten Konkurrenz zweier ziemlich abstrakter Produkte unserer »Zivilisation« gelitten, unter dem »Nationalbewußtsein« und dem »Klassenbewußtsein«.

Die Entdeckung einer gemeinsamen Bedrohung und einer gewissen Interessengemeinschaft führt zur Betonung der Vorteile einer alle politischen und sozialen Schranken überwindenden Solidarität und befördert das Wiederaufleben des Gattungsbewußtseins in dem Moment, in dem die ganze Menschheit den für ihre Zukunft entscheidenden Herausforderungen begegnen muß.

Damit sind die Grundlagen für weitere Schritte in die richtige Richtung gegeben. Der Club of Rome bereitet sich jedoch auf eine Ausweitung der Debatte vor. Unter strikter Wahrung seiner universalistischen Tendenzen will er besonderen Wert legen auf die Probleme und Perspektiven in der Entwicklung des Menschen. Dies wird sein packendstes und wichtigstes Unternehmen sein. Während die objektiven Indikatoren eine progressive Verschlechterung der Lage an allen Fronten anzeigen, scheint sich das menschliche Element zu erholen.

Nach einer Phase materialistischen Überschwangs und einer Phase fatalistischer Verwirrung scheinen sich die Leute dessen bewußt zu werden, daß es auf die Förderung des Menschen -eines jeden Volkes wie eines jeden Individuums -- ankommt. Dies ist ein Ausgangspunkt, der die Chance einer positiven Entwicklung eröffnet.

In großer Sorge, schlecht vorbereitet, aber im Bewußtsein der Notwendigkeit, ihre Positionen zu überprüfen, steht die Menschheit also an der Schwelle zu den 80er Jahren. Alles wird davon abhängen, ob sie die Zeichen der Zeit erkennt und ihre vielfältigen Fähigkeiten dementsprechend zu nutzen weiß.

S.87

Die vierte, im Jahre 1977 durchgeführte Untersuchung der FAO zur

Welternährungslage kommt zu einem erschreckenden Ergebnis: Ungefähr

450 Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, sind schwer

unterernährt. Mehrere hundert Millionen Menschen sind schlecht

ernährt. Im Gegensatz zu den reichen Ländern beruht dieses

Ungleichgewicht aber nicht auf einem Übermaß, sondern auf dem

chronischen Mangel an lebenswichtigen Nahrungsmitteln ... Die Zahl

der Personen, die Hunger leiden und schlecht ernährt sind, liegt

höher denn je, und sie steigt weiterhin an ...

*

S.85Inder in Delhi.*S.87Märkisches Viertel in West-Berlin.*S.90Organisation der 24 größten, nichtkommunistischen Industriestaaten.*S.91Von mehreren internationalen Organisationen geschaffenes Programm,d. Red.*S.96Mitglieder der Umweltorganisation Green Peace verhindern mit ihremSchlauchboot das Auslaufen eines Schiffs, das Dünnsäure in derNordsee verklappen soll.*S.104In Gorleben.*

Aurelio Peccei

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