ARBEITSZEIT Auffällig still
Wer am späten Freitagnachmittag, so gegen 16 oder 17 Uhr, die zur Rush-hour stets verstopfte vierbahnige Straße Bonn-Bad Godesberg befährt, hat nur selten Verkehrsstaus zu befürchten. Ministerien und Behörden sind längst der Wochenendruhe anheimgefallen, Tausende von Beamten haben spätestens um 15 Uhr den schon vor der Mittagspause aufgeräumten Schreibtisch verlassen und sich auf den Heimweg gemacht.
In München bricht der freitägliche Arbeitsfriede noch früher aus. Wer am frühen Nachmittag Amtspersonen, aber auch Verbandsfunktionäre oder Angestellte vieler privater Firmen sprechen will, hat »halt Pech gehabt«, wie Arnulf Röhrich, Sprecher der Münchner Handelskammer zugibt: Die bayrische Brotzeit beginnt zur Mittagsstunde, danach geht kaum noch etwas.
Der Trend gilt bundesweit: Unauffällig und unaufhaltsam bauen westdeutsche Arbeitnehmer, solidarisch wie selten, ihr Wochenende aus. Zwei Tage Pause scheinen ihnen reichlich knapp bemessen. Einige Stunden zusätzlicher Freitags-Freizeit, meinen Hunderttausende von Beschäftigten, machen das Wochenende erst so richtig rund.
Klagen aufgebrachter Bürger, die den mangelnden Diensteifer ihrer Behörden kritisieren, verfangen da nicht. Auch die Kontroverse von Arbeitsmedizinern, die sich über den Wert eines längeren Wochenendes durchaus uneins sind, interessiert nur am Rande: Eine selbst den Experten unbekannte Zahl von Arbeitnehmern ist längst bei der Viereinhalb-Tage-Woche angelangt.
Für 92 Prozent der Beschäftigten in der Bundesrepublik gilt, so die jüngsten Ermittlungen der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, die 40-Stunden-Woche. Wie viele allerdings an Freitagnachmittagen nicht mehr arbeiten, warum am letzten Werktag-Nachmittag viele Büros verlassen und viele Räder stillstehen -- das hat noch keine Behörde untersucht.
Lediglich die Feststellung der Berufsgenossenschaften, (laß an Freitagen weniger Berufsunfälle passieren als an den anderen Arbeitstagen, belegt statistisch die Erfahrung, daß der Freitag immer mehr zum freien Tag wird.
»Es ist völlig sinnlos«, weiß der Geschäftsführer l-{arti Schwarz von der Frankfurter Industrie- und Handelskammer, »am Freitag nach 15.00 Uhr die Regierung in Wiesbaden oder die Stadt Frankfurt anzurufen.« Auch in der privaten Wirtschaft schlage so mancher Versuch, Anschluß zu bekommen, fehl:« Den Dreimannbetrieb können sie noch erreichen, die Deutsche Bank nicht«, berichtet Schwarz.
Bernhard Schenk vom Bundesverband deutscher Banken machte im Umgang mit Bonner Behörden die Erfahrung, »am Freitag wird es immer schwerer, jemanden hinter den Schreibtischen zu entdecken«. In der durch ein TV-Fußballmarathon angereicherten Osterwoche »war es ganz schlimm«. erinnert sich ein anderer Verbandssprecher.
Auch Ernst Jörg Kruttschnitt vom Deutschen Industrie- und Handelstag bat in seinem zwanzigsten Bonner Dienstjahr festgestellt, »daß die alle etwas früher Schluß machen«. Nur die Elite der Beamtenschaft halte durch: Die, die am Schräubchen drehen, sind auch nach 18 Uhr noch da.«
Insbesondere die Einführung der gleitenden Arbeitszeit (Glaz) begünstigte die Freizeitfreude. Denn seither müssen die Glaz-Beschäftigten sich nur während der sogenannten Kernarbeitszeit an ihrem Arbeitsplatz aufhalten, die restlichen Arbeitsstunden können sie nach Belieben einteilen.
Wer vorarbeitet, kann am Freitag mit Ende der Kernarbeitszeit nach Hause. Immerhin haben nach den neuesten Schätzungen mehr als 50 Prozent der Behörden und rund 30 Prozent der Dienstleistungsbetriebe Glaz eingeführt.
In der Frankfurter Stadtverwaltung rührte dieser Zeittakt zu ungewöhnlich frühem Wochenendbeginn: Als die Stadtväter die Kernarbeitszeit am Freitag um 13 Uhr auslaufen ließen, waren die Behörden wenig später schon um kurz nach zwölf wie ausgestorben: Die indigen Stadtdiener hatten schon vor der passend eingeplanten Mittagspause das Feld rasch und unauffällig geräumt.
Nach herben Bürgerprotesten beschlossen die Stadtoberen -- wie zuvor die Kollegen in Oberhausen -, die gleitende Arbeitszeit überhaupt zur Diskussion zu stellen, zumindest aber die Kernarbeitszeit zu verlängern. Stadtsprecher Joachim Peter:., Jetzt endet die Kernzeit Montag bis Donnerstag um 15 Uhr, an Freitagen müssen die Leute bis halb drei arbeiten.«
Im Großraum München sind die Kollegen dann schon aufgebrochen -- »das is son Arrangement«, erinnert sich IHK-Sprecher Röhrich.
Vor drei oder vier Jahren, als Arbeitskräfte gesucht wurden, habe sich der frühe Wochenschluß als. »Sozialbonbon so eingebürgert«. 60 bis 70 Prozent der Münchner Betriebe, so schätzt die IHK, »machen zwischen 14 und 15 Uhr am Freitag Schluß«. In Bayerns Bauwirtschaft fallen Hammer und Kelle »traditionell schon zwischen elf und zwölf«.
Allein die Unternehmer-Verbände können daran nichts Gutes finden. Sie sehen den »Marsch in die Vier-Tage-Woche« heraufziehen. Peter Knevels, Geschäftsführer und Tarifexperte der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), fürchtet »einen unheilvollen Trend, wenn der Freitag weiter angeknabbert wird«. Denn: »Dann kommen die Gewerkschaften bei der nächsten Arbeitszeitverkürzung und fordern die Viertagewoche.«
Viele seiner Kollegen haben diese Sorge offenbar nicht. Freitag nachmittags, gegen 15 Uhr, herrscht auch in der prachtvollen BDA-Zentrale auffällige Stille.