Auftakt im Telekom-Prozess "Dann haben sie uns aufs Kreuz gelegt"

Mammut-Aufgabe für das Gericht: Schon am ersten Tag des Verfahrens gegen die Deutsche Telekom wird klar, wie zäh der größte Anlegerprozess der deutschen Rechtsgeschichte wird. Von 16.000 Klägern ist nur eine gekommen, die anderen schämen sich - oder haben die Hoffnung bereits aufgegeben.

Frankfurt am Main - Christa Gruhler-Steier ist sichtlich überfordert: Kaum hat sie das Veranstaltungsgebäude in Frankfurt-Bornheim betreten, ist die 66-jährige Frau von Kameras umzingelt. Dutzende von Mikrofonen werden ihr entgegen gereckt, binnen Sekunden steht sie mit dem Rücken an eine Mauer gedrängt und beantwortet mit rauer Stimme die Fragen, die auf sie einprasseln.

Die Aktionärin Christa Gruhler-Steier: "Wir haben damals nicht gedacht, dass die uns aufs Kreuz legen"

Die Aktionärin Christa Gruhler-Steier: "Wir haben damals nicht gedacht, dass die uns aufs Kreuz legen"

Foto: DPA

Gruhler-Steier ist eine von den über 16.000 Anlegern, die gegen die Deutsche Telekom geklagt haben. Und sie ist die einzige Klägerin, die persönlich zum Auftakt des größten Anlegerprozesses der deutschen Rechtsgeschichte erschienen ist. "Die anderen schämen sich wahrscheinlich", sagt eine Anwältin. "In Deutschland redet man ja nicht gern übers eigene Geld." Schon gar nicht, wenn man es verspekuliert hat.

Aus 7000 Mark wurden ein paar Hundert Euro

Denn tatsächlich haben Unzählige mit dem Kauf der T-Aktie Ersparnisse verloren, das Geld aus ihrer Lebensversicherung oder die Altersvorsorge, weil sie die T-Aktie bei der dritten Emission 2000 für das fast Sechsfache des jetzigen Wertes kauften. Bei Gruhler-Steier war es eine Abfindung: 7000 Mark, die die Firma der ehemaligen Pharmareferentin zahlte, damit sie in den Vorruhestand ging. Gruhler-Steier will sich für die Fehlinvestition nicht schämen wie so viele andere. "Wir haben damals ja nicht gedacht, dass die uns aufs Kreuz legen", sagt die zurückhaltende 66-Jährige und hält sich an ihrer Handtasche fest. "Haben sie dann aber doch gemacht", fügt sie leise hinzu.

Heute ist ihr Aktienpaket nur noch ein paar hundert Euro wert. Und Gruhler-Steier fühlt sich um ihr Geld betrogen von der Telekom. Genau wie die anderen Kläger, für die an diesem Prozesstag rund 50 Anwälte stellvertretend in dem eigens angemieteten Saal mit seinen 800 Plätzen sitzen. Denn das damals massiv beworbene und als "Volksaktie" bejubelte Papier wurde 2000 noch für 63,50 Euro beziehungsweise 66,50 Euro verkauft. Heute notiert das Papier bei etwa elf Euro. Und anders als sonst sind in diesem Fall nicht die leichtsinnigen Anleger schuld - das behaupten zumindest insgesamt rund 900 Juristen, die Klage für ihre Mandanten eingereicht haben.

Der Vorwurf gegen die Telekom: Sie soll im Verkaufsprospekt für den Börsengang ungenügende Angaben gemacht haben. So hätte etwa der Kauf des US-Mobilfunkanbieters Voicestream, für den der damalige Telekom-Chef Ron Sommer 34 Milliarden Euro hinblätterte, erwähnt werden müssen, lautet einer der Kritikpunkte. Zudem seien zigtausende Immobilien um über zwei Milliarden Euro zu hoch bewertet worden, um den Ausgabepreis der Aktien nach oben zu treiben.

Um die Flut an Klagen überhaupt bewältigen zu können, wurde eigens ein neues Gesetz für Sammelklagen geschaffen: Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMug). In der Folge wurde ein Musterkläger ausgewählt, an dessen Beispiel die Rechtslage geklärt wird. Sollte der Pensionär aus dem Schwarzwald die verlangten 1,2 Millionen Euro Schadenersatz zugesprochen bekommen, hätten auch alle anderen Kläger Anspruch darauf. Auch er ist nicht in den Gerichtssaal gekommen.

Telekom sieht keine eigenen Fehler

Die Telekom jedoch weist alle Vorwürfe von sich - in dem Börsenprospekt sei "zu jedem Zeitpunkt alles korrekt" gewesen, heißt es. Nicht einmal von der "Volksaktie" will der Konzern jetzt noch sprechen. Die Anleger hätten in einem "von der New Economy geprägten Börsenumfeld gehandelt", heißt es in einem neuen Schriftsatz. Auf Deutsch: Die Anleger hätten wissen müssen, worauf sie sich einlassen.

Ein ziemlich haarsträubendes Argument, empören sich die Anwälte. "Bei uns zitieren Mandanten dauernd Manfred Krug, wenn man sie nach ihrer Kaufentscheidung fragt", sagt Philipp Neumann von der Kanzlei Nieding+Barth. Der vertrauenerweckende Tatort-Kommissar erklärte damals im Fernsehen begeistert, dass er mit der Telekom an die Börse gehe. Das sei doch nicht die Werbung für ein Risikopapier, sagt Neumann. "Es war genau das Gegenteil von Spekulation", findet auch sein Kollege Ralph Burgwald von Nieding+Barth. "Die Leute haben gedacht, das ist mal was Solides im Gegensatz zu den ganzen anderen Aktien, die in dieser Zeit angeboten wurden."

Auch Anlegerin Gruhler-Steier wirkt nicht gerade wie eine Zockerin. Der Mann der sorgsam zurecht gemachten Rentnerin ist Pfarrer, gemeinsam haben sie fünf Kinder, nebenher engagiert sie sich für soziale Projekte in Brasilien und Afrika. Dahin sollten auch große Teile der Gewinne fließen, die sie sich von der Investition in die Telekom erhoffte. Vor der Investition in die T-Aktie hatte sie noch nie Aktien besessen. "Nur da habe ich gedacht, ich trau mich mal."

Blaue Kärtchen für Fragen

Ob und wann sie das verlorene Geld wieder bekommt - das kann heute noch niemand sagen. Der Prozess jedenfalls wird kompliziert, das ist schon nach wenigen Verhandlungsstunden klar. Die Veranstaltung wirkt mitunter fast komisch in ihrer Behäbigkeit: Irgendwann schaltet sich etwa ein Anwalt mit der Frage ein, ob denn sicher sei, dass keiner der drei Richter mit einem der zigtausend Kläger verwandt sei. Nur für den Fall, dass deswegen im Nachhinein das Urteil nichtig wäre. Also erklären Richter Christian Dittrich und seine zwei Beisitzer etwas verdattert, ihnen sei nichts dergleichen bekannt.

Bleibt die Frage, wie das Gericht mit den Hunderten Anwälten fertig werden soll, die theoretisch alle Fragen stellen dürfen - sich aber untereinander, wenn überhaupt, nur oberflächlich abgesprochen haben? In ihrer Ratlosigkeit haben die Richter blaue Kärtchen auf den Tischen auslegen lassen, auf denen die Juristen Fragen notieren können - wer die Pappen einsammeln und bearbeiten soll, bleibt unklar. Am ersten Tag liegen sie ungenutzt auf den Tischen. Die Anwesenden melden sich lieber einfach so zu Wort - und geraten sich ab und an sogar in die Haare, selbst wenn sie für die gleiche Seite streiten. "Wir sind uns ja einig, dass wir hier gemeinsam kämpfen", sagt der Anwalt des Musterklägers, Andreas Tilp, irgendwann schnippisch.

Vor allem aber sind es die Unzulänglichkeiten des KapMug, die allen Beteiligten Sorge machen. "Es fängt schon damit an, dass jeder Kläger weiter eine eigene Klageschrift einreichen muss. Das bedeutet nach wie vor einen enormen bürokratischen Aufwand", sagt Felix Bergmeister, der gerade über die neue Verfahrensform promoviert und jetzt in den Zuschauerreihen sitzt. Nach Abschluss des Musterverfahrens muss zudem noch vor dem Landgericht in jedem Einzelfall über den Schadensersatzanspruch verhandelt und entschieden werden.

Eine "zähe, langwierige und umständliche Angelegenheit"

Das Gesetz werde dafür sorgen, dass der Prozess eine "zähe, langwierige und umständliche Angelegenheit wird", gibt auch Richter Dittrich gleich zu Anfang unumwunden zu. Anwalt Tilp malt sogar Horrorszenarien von 10 bis 20 Jahren Prozessdauer. Doch seinen Appell, sich zu vergleichen, schmettern die Telekom-Vertreter sofort ab. Nach Meinung von Richter Dittrich ist diese Lösung sowieso "schlicht ausgeschlossen": Denn jeder einzelne Kläger müsste diesem zustimmen.

Zumindest Christa Gruhler-Steier und ihr Mann scheinen aber einen langen Atem zu haben. Sie wirken nicht ein einziges Mal müde in diesen ersten Stunden. Für jeden Redebeitrag rücken sie sich in ihren Stühlen neu zurecht, um denjenigen zu sehen, der gerade spricht.

Am kommenden Montag werden sie sicherlich nicht mehr die einzigen Geschädigten im Saal sein. Dann nämlich wird der ehemalige Telekom-Chef Ron Sommer in den Zeugenstand treten. Um den smarten Manager persönlich zu erleben, der wie kein anderer für den Aufstieg und den Fall der T-Aktie steht, werden sicherlich mehr Kläger in den Saal nach Frankfurt-Bornheim kommen.

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