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UNTERNEHMEN Aus dem Ruder

Nach der Übernahme durch Philips werden bei Grundig 7000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren. Der Firmengründer aber ist gut versorgt. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Seit Anfang April 1984 müht sich Philips-Manager Hermanus Koning, 60, den von seinem Arbeitgeber übernommenen Fürther Elektronik-Konzern Grundig zu sanieren - vergeblich.

»Ich habe erwartet«, erinnert sich der Holländer, »daß einiges anders sein würde als bei Philips. Doch daß alles ganz anders ist, damit habe ich nicht gerechnet.« Besonders irritiert den Statthalter aus Eindhoven die verwirrend große Verwaltungsbürokratie bei Grundig. Erst nach Monaten hatte Koning aus einem Wust von Akten und Besprechungsprotokollen herausgefunden, wie schief das größte Unternehmen der deutschen Unterhaltungselektronik wirklich lag.

Während der 76jährige Firmengründer Max Grundig noch von leichten Absatzschwierigkeiten redete, hatte der Grundig-Konzern bereits scharf vor dem Zusammenbruch gestanden. Hätte der Alte sein Unternehmen nach 50jähriger Alleinherrschaft im März 1984 nicht noch rasch an den niederländischen Elektromulti verkauft, wäre in Fürth bald der Konkursverwalter eingezogen.

Doch selbst für die kapitalstarke Philips-Gruppe (Jahresgewinn 1984: fast eine Milliarde Mark) droht das von Max Grundig hinterlassene Erbe schwer zu werden: Auf 500 Millionen Mark hatten sich die Verluste aus den vier vergangenen Geschäftsjahren hochgeschoben. Koning mußte rasch handeln.

Dem erfahrenen Sanierer, der vor seiner Grundig-Mission unter anderem die deutsche Philips-Holding Alldephi binnen kurzer Zeit wieder auf Ertragskurs gebracht hatte, fällt bei solchem Zeitdruck als erstes nur das Übliche ein: »Wir müssen Leute entlassen!«

Da die Existenz des Unternehmens »weiterhin ernsthaft gefährdet« ist (Koning), sollen von den derzeit rund 24 000 Grundig-Mitarbeitern noch in diesem Jahr etwa 7000, fast ein Drittel, ihren Arbeitsplatz verlieren. Ungefähr die Hälfte davon will Koning bei den deutschen Grundig-Betrieben feuern, den Rest in Spanien, Portugal, Frankreich, Italien und Österreich.

Noch verschweigt der Sanierer die endgültigen Zahlen. Sie sollen erst in drei Wochen bekannt werden. Vorsorglich aber meldete er schon Mitte Februar geplante Massenentlassungen beim Arbeitsamt Nürnberg an.

Danach sollen allein in Bayern mindestens 2530 Grundig-Werker ausscheiden. Die veralteten Betriebe in Georgensgmünd und Vohenstrauß, in denen gut 900 Beschäftigte Gerätegehäuse und

Lautsprecher fertigen, werden vermutlich ganz geschlossen; das Werk im pfälzischen Miesau gilt als gefährdet.

Wie hoch auch immer die endgültige Zahl der Entlassenen sein wird - Ende 1985 dürfte der Grundig-Konzern, in seinen Glanzzeiten 40 000 Mitarbeiter stark, weniger Leute beschäftigen als vor 20 Jahren, und von den einst 30 Produktionsstätten werden dann wohl nur acht übrigbleiben. Zwar protestieren Betriebsrat und Gewerkschaften wortgewaltig gegen die Schrumpfkur: Statt zu entlassen, solle Koning auf bisher vernachlässigte Produktbereiche, etwa die professionelle Elektronik, ausweichen. Aber den Sanierer, als einstiger Profikicker für Feyenoord Rotterdam Härte gewohnt, ficht das nicht an.

»Was soll der Betriebsrat auch anderes machen«, quittiert er die Proteste kühl. Die Forderung auf mehr Diversifizierung hält er für Phantasterei: »Selbst wenn wir bei der professionellen Elektronik jedes Jahr 30 Prozent zulegen, kommen wir da in acht Jahren erst auf einen Umsatz von 500 Millionen Mark.«

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, versuchen die Gewerkschafter nun, die Öffentlichkeit - unter anderen Politiker und Kirchenvertreter - zu mobilisieren. »Wir sind dabei«, sagt der Nürnberger IG-Metall-Bezirksleiter Gerd Lobodda, »den moralischen Druck zu organisieren.«

Treffen soll dieser Druck vor allem auch den ehemaligen Firmeneigner, der - so der Gewerkschafter - in den vergangenen zehn Jahren viel Geld aus dem Unternehmen herausgeholt habe.

Max Grundig aber fühlt sich von jeder Verantwortung frei und läßt sich in seiner einstigen Firma kaum noch blicken. Vergangenen Dezember hat er rund 180 Millionen Mark an die Grundig AG überwiesen, um den Großteil des letzten Bilanzdefizits von 286 Millionen Mark auszugleichen. Damit seien seine vertraglichen Verpflichtungen auf Verlustausgleich erfüllt - meint er.

Immer noch scheint der robuste Franke, der sein Unternehmen 1930 als Radiohandlung gegründet hat, davon überzeugt zu sein, alles gerichtet und Philips eine gesunde Firma übergeben zu haben. Doch der Realitätsverlust des Alten ist offenkundig: Fast sämtliche Probleme, mit denen der Grundig-Konzern zu kämpfen hat, sind hausgemacht.

Es rächt sich nun, daß Patriarch Grundig Tatsachen wie etwa die Marktsättigung in der Unterhaltungselelektronik nie hat wahrnehmen wollen. Er war, so ein ehemaliger Mitarbeiter, »stets ein Schönwetterunternehmer«. Vorstände, die es wagten, auf drohende Klimaveränderungen am Markt hinzuweisen, wurden kurzerhand entlassen.

In seinem Wachstumsoptimismus hatte der Alleinherrscher Rentabilität und Produktivität des Unternehmens vernachlässigt. Während die japanische Konkurrenz pro Beschäftigten im Jahr 250 000 Mark Umsatz erzielt und die deutsche Thomson-Tochter Telefunken (bei geringerer Fertigungstiefe) sogar auf 300 000 Mark Umsatz kommt, liegt dieser Wert bei Grundig nur bei knapp über 100 000 Mark im Jahr.

Auch sonst lief dem ehrgeizigen Konzernherrn, der sich um alles, selbst um das Heuern von Putzfrauen kümmerte, einiges aus dem Ruder. Immer wieder sind bei Grundig neue Geräte aufs Band gelegt worden, noch ehe die alten verkauft waren. Die Folge: Überkapazitäten und riesige Gerätehalden. Als Philips die Firma übernahm, verstaubten 535 verschiedene Typen von Fernsehgeräten in den Lagerhallen.

Diese Geräte sind nur noch zu Schleuderpreisen loszuwerden, und das bringt die Preise in der ganzen Branche durcheinander. Grundig-Großbildfernseher (67 cm) und Videorecorder sind etwa in Hamburg für weniger als tausend Mark zu haben, fast 50 Prozent unter dem Normalpreis. Solange Grundig selbst noch am Ruder stand, waren veraltete Lagerbestände solcher Art stets zum Listenpreis in die Bilanz eingerechnet worden - das wahre Ausmaß der Schieflage blieb so über viele Jahre im dunkeln.

Doch um die Kleinigkeit, daß sein Unternehmen nun haarscharf an der Pleite vorbeifuhr, braucht sich der abgetretene Firmenchef nicht mehr zu kümmern. Obwohl er den Konzern »erst fünf vor zwölf verkauft hat«, so ein Grundig-Manager, »ist er finanziell mit einem blauen Auge davongekommen«.

Zwar hat Grundig von Philips nicht gleich eine volle Milliarde Mark bekommen, wie er sie 1982 gefordert hatte, als er seine Firma noch an den französischen Staatskonzern Thomson verkaufen wollte. Doch zum sorgenfreien Leben mit der dritten Ehefrau Chantal und der vierjährigen Tochter Maria-Alexandra reicht es allemal.

Mehr als 100 Millionen Mark sind im Januar aus der Schweiz für den Verkauf der Grundig Bank an die Schweizerische Kreditanstalt auf Max Grundigs Konto geflossen. Weitere 30 bis 40 Millionen hat der Patriarch quasi als erste Rate aus dem Verkauf an Philips erhalten.

Als restlichen Kaufpreis zahlt Philips 20 Jahre lang eine garantierte Dividende in Höhe von schätzungsweise 50 Millionen Mark pro Jahr an die Max-Grundig-Stiftung.

Daneben verfügt die Stiftung über knapp sechs Prozent der Philips-Aktien, die 1979 von den Niederländern als Kaufpreis für das erste von Philips übernommene Grundig-Aktienpaket (24,5 Prozent) gezahlt wurden. Der Wert des Philips-Pakets wird inzwischen mit 600 Millionen Mark veranschlagt.

Daß Max Grundig seine goldgeränderte Stiftung allein für höhere Zwecke eingerichtet hat, bezweifeln Kenner des alten Herren. Der höhere Zweck ist meistens er selbst.

Als Zweck der Stiftung nämlich wird unter anderem die Unterstützung der Familienangehörigen aufgeführt. Außerdem, so heißt es in einem Grundig-Papier, »können auch dem Grundig-Familien-Verein Zuwendungen gemacht werden, der allgemein die Interessen und den privaten Besitz der Familie Grundig pflegt«.

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