Was soll nun noch passieren: Ein Regierungschef feuert seine wichtigsten Minister, die für das Geld und die Sanierung der Wirtschaft Verantwortlichen. Betriebe, die längst pleite sind, werden mit Krediten scheinbar am Leben gehalten. Die Bauern werfen mit Tomaten und Eiern, die sie nicht loswerden. Tag für Tag werden es mehr Arbeitslose, und Hunderttausende von Kurzarbeitern haben in Wahrheit auch nichts zu tun.
Längst geht es nicht mehr um einzelne marode Betriebe. Eine ganze Volkswirtschaft steht vor dem Kollaps - und Zyniker meinen, der täte auch not. Erst nach dem völligen Zusammenbruch würden Politiker und Manager entschlossen handeln, würden die Menschen in der DDR sich von alten Gewohnheiten und Illusionen lösen; erst dann würden die alten Bonzen und Bürokraten, die jede marktwirtschaftliche Initiative blockieren, zum Teufel gejagt.
Wie sehr oft, sind auch hier die Zyniker dicht an der Wahrheit. So manche Unternehmung verspricht nur nach der ersten Pleite Gewinn. Doch die DDR kann den Konkurs ihrer gesamten Wirtschaft vielleicht noch vermeiden, wenn endlich die Illusion aufgegeben wird, es ließe sich noch ein bißchen autarke DDR in die Marktwirtschaft hinüberretten.
Die Zeit der Sentimentalitäten ist vorbei. Mit dem Mißtrauen gegen jeden Bankier, der einen Kredit anbietet, mit der Angst vor jedem Unternehmer, der ein Grundstück kaufen will, ist ein Wirtschaftswunder nicht zu machen. Will die DDR wenigstens einen Teil ihrer wirtschaftlichen Substanz bewahren, muß sie ebendiese Substanz anderen anbieten. Sie muß sich verkaufen.
Es sind schon allzu viele Fehler gemacht worden, auf beiden Seiten. Die Politiker in Bonn sahen im Einheitstaumel nicht allzugenau hin und unterschätzten die Kosten der Einheit. Sie ließen ihren Verhandlungspartnern in Ost-Berlin zuviel Zeit und allzuviel Spielraum für Entscheidungen, die letztlich die Gesundung der DDR-Wirtschaft verzögern und damit verteuern. Alle haben nur auf die Milliarden-Investitionen aus dem Westen und die segensreichen Folgen der Marktwirtschaft gewartet. Aber die Voraussetzungen für diese Investitionen wurden zum Teil bis heute nicht geschaffen.
Wo war eigentlich Helmut Haussmann? Der Bundeswirtschaftsminister hat viel vom freien Unternehmertum geredet, aber nicht erkennen lassen, wie er sich die Struktur der neuen ostdeutschen Wirtschaft vorstellt. Er hat weder ein überzeugendes Förderungskonzept für private Investoren vorgelegt noch hinreichend öffentliche Aufträge für die Infrastruktur der DDR forciert.
Nun muß ein ehemaliger Bundesbahnchef fast im Alleingang mit seinen Experten versuchen, aus dem verrotteten Staatsunternehmen DDR ein privatwirtschaftlich organisiertes Gebilde zu schaffen, das den Menschen in der DDR Arbeit gibt. Soll Gohlkes Zwölfstundentag in der Treuhandanstalt nicht allein eine sportliche Leistung bleiben, muß vor allem die Eigentumsfrage geklärt und der normale, unbehinderte Umgang mit Immobilien garantiert werden. Zugleich aber sollte die Bundesregierung potentiellen DDR-Investoren einen übersichtlichen Katalog von Vergünstigungen vorlegen, die große Unternehmen aus dem Westen locken könnten, sich in der DDR zu engagieren: Steuervorteile, verlorene Zuschüsse, Krediterleichterungen.
Aus eigener Kraft schaffen die DDR-Betriebe den Sprung in die Marktwirtschaft nicht. Die DDR muß heraus aus der Isolation, ihre großen Betriebe müssen in internationalen Ausschreibungen Interessenten in aller Welt angeboten werden. Nur starke Partner oder neue Eigentümer können die bröckelnden Bauten der DDR-Industrie retten.
Ausverkauf der DDR? Ja bitte, und sofort. In westlichen Volkswirtschaften sind internationale Verflechtungen ein wichtiger und selbstverständlicher Teil unternehmerischen Handelns. Und wo die Privaten nicht einsteigen, wird wohl oder übel der Staat zumindest einen Teil der Arbeitsplätze erhalten müssen: Für eine begrenzte Zeit wären Bundesunternehmen wohl auch für die Verfechter der reinen Lehre erträglich.
Nur starke Partner können die bröckelnden Bauten retten