Bahn-Datenskandal Aufsichtsrat sichert Gewerkschaften umfangreiche Aufklärung zu
Frankfurt am Main/Berlin - In einem Brief an den Staatssekretär im Verkehrsministerium Achim Großmann schreibt Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller, er und Transnet-Chef Alexander Kirchner seien übereingekommen, "dem Aufsichtsrat gemeinsam vorzuschlagen, neben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG auch die Kanzlei Baum und Partner mit der Aufarbeitung des Sachverhaltes zu betrauen".

Zentrale der Deutschen Bahn: Betriebsrat soll zeitnah informiert werden
Foto: DPAZudem werde man dem Aufsichtsrat vorschlagen, "dass der Aufsichtsrat einen Compliance Ausschuss bildet, der die anstehenden Untersuchungen federführend begleiten wird". Müller verspricht in dem Schreiben zudem, dass alle Antworten auf die 118 Fragen des Verkehrsausschusses, der nächsten Mittwoch tagt, den Mitgliedern des Aufsichtsrates "zumindest zeitgleich zugeleitet werden.
Damit bestätigt Müller auch die Zusicherung Mehdorns, dem Konzernbetriebsrat Abschlussberichte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zur Datenaffäre vorzulegen. Außerdem wird das Unternehmen dem Betriebsrat zur Begutachtung und Bewertung der Ergebnisse externe Sachverständige zur Verfügung stellen. Die Sachverständigen sollen demnach von den Arbeitnehmervertretern selbst benannt werden. Nach der Bewertung der Gutachten sollen bei der Bahn die bestehenden Regeln im Konzern überprüft werden.
Zuvor hatte Konzernchef Hartmut Mehdorn bei einer rund dreistündigen Sitzung des Konzernbetriebsrats am Nachmittag eingelenkt und sich bei den Mitarbeitern entschuldigt.
"Der Vorstand der DB AG bedauert, dass es in der Vergangenheit bei den Mitarbeiterüberprüfungen zu Verstößen gekommen ist und kein Gremium der Arbeitnehmer-Interessenvertretung informiert war. Er entschuldigt sich dafür bei seinen Mitarbeitern", hieß es in einer Mitteilung der Bahn.
Mehdorn hatte die Entschuldigung bei der Sitzung vorgelesen, wie der stellvertretende Vorsitzende der Mitarbeitervertretung, Jens Schwarz, erklärte. Das sei ein erster Schritt, man werde sehen, ob das reiche. "Wir fordern zügige Aufklärung", sagte Schwarz. Er hoffe, dass die Angelegenheit in den kommenden sechs Wochen abgeschlossen sei, damit wieder Ruhe im Konzern einkehre. Die Bahn erklärte, im Jahr 2009 seien keine Daten zur Mitarbeiterüberprüfung genutzt oder übermittelt worden.
Schwarz bestätigte, dass es nach aktuellem Stand drei Datenscreenings im großen Stil gegeben habe, die alle ohne Beteiligung und Information des Betriebsrats stattgefunden hätten. Zwei Mal seien die Adressen und Bankverbindungen von einem Großteil der 170.000 Bahn-Beschäftigten mit den Daten von Lieferanten abgeglichen worden, außerdem seien ein Mal rund 1000 Führungskräfte überprüft worden.
"Wir nehmen die Erklärung von Herrn Mehdorn zur Kenntnis. Sie ist ein erster Schritt", erklärten auch die Gewerkschaften Transnet und GDBA. Die "Schnüffel-Affäre" sei mit der Entschuldigung jedoch nicht aus der Welt. Die Bahnspitze müsse alles dafür tun, "Klarheit darüber zu schaffen, welche Daten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhoben und wie diese verwendet worden sind".
Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hält einen Rücktritt Mehdorns wegen der "Schnüffel-Affäre" momentan nicht für angezeigt. Es wäre aber "eine ganz andere Bewertungsebene, wenn jetzt herauskommt, dass außer den bekannten noch weitere Sachverhalte eine Rolle spielen", sagte er der "Stuttgarter Zeitung".
Einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge erhält Mehdorn eine Schonfrist - Bundeskanzlerin Angela Merkel und Müller haben sich demnach darauf verständigt, dass Mehdorn vor der Bundestagswahl nicht zurücktreten soll. Zuvor war über einen Rücktritt und über mögliche Nachfolger für den Posten des Bahn-Chefs spekuliert worden. Der "Bild" zufolge sei aber Voraussetzung für einen Verbleib Mehdorns im Amt, dass sich die Datenaffäre nicht weiter verschärfe. Nach der Bundestagswahl solle Mehdorn dann ein "eleganter Abgang" ermöglicht werden, zitiert das Blatt Aufsichtsratskreise.
Die Gewerkschaften halten zur Aufklärung der Affäre an einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung fest. "Dazu haben die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat für den 10. Februar eingeladen. Davon werden wir uns nicht abbringen lassen", erklärten sie. Vonseiten der Arbeitgeber wurde dagegen der 18. Februar als Termin angesetzt, wie das Verkehrsministerium mitteilte. Diesen Termin hält auch das Ministerium für zu spät, wie Achim Großmann in einem Brief an Müller schrieb, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Man wünsche eine schnellere Aufklärung.
Mehdorn hat für kommende Woche einen ausführlichen Bericht angekündigt. Am Mittwoch soll sich noch einmal der Verkehrsausschuss des Bundestags mit der heimlichen Massenüberprüfung befassen.
Wegen der Bespitzelung erstattete erstmals ein Mitglied des Betriebsrats Strafanzeige, wie der "Tagesspiegel" berichtet. "Wir haben Strafanzeige gegen alle Verantwortlichen erstattet, insbesondere gegen den Vorstand der Deutschen Bahn AG und gegen die Firma Network Deutschland GmbH", sagte Rechtsanwalt Klaus Michael Alenfelder dem Blatt. Es gehe um Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz sowie um die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses.