Bahnstreik 1400 Lokführer legen Deutschland lahm - Passagiere sauer
Hamburg - Der bundesweite Lokführerstreik hat heute Vormittag den regionalen Bahnverkehr vor allem in Ostdeutschland stark behindert. Der Ausstand der Lokführergewerkschaft GDL dauerte exakt neun Stunden, von 2 Uhr morgens bis 11 Uhr. Die Bahn erwartet, dass sie am frühen Abend wieder "das volle Programm" fahren kann.
Ob die Gewerkschaft auch für morgen zu Streiks aufruft, will sie am Nachmittag mitteilen. Möglich seien weitere Aktionen am morgigen Freitag, am Montag, Dienstag und Mittwoch, hatte die GDL gestern mitgeteilt.
Beeinträchtigungen durch den Streik gab es nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in den Ballungsräumen und Großstädten in den alten Bundesländern. Trotz der Arbeitsniederlegungen seien insgesamt rund die Hälfte aller Regional und S-Bahnen gefahren, teilte die Bahn mit.
In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg traf es die Bahn nach Angaben des Unternehmens am heftigsten. Dort fielen bis zu 80 Prozent der Nahverkehrszüge aus, sagte Personalvorstand Karl-Friedrich Rausch in Berlin. Die S-Bahnen in Bremen, Hamburg und Hannover seien eingeschränkt gefahren, in den Innenstädten im Zehn-Minuten-Takt, in den Außenbezirken alle 20 Minuten. Nach Angaben einer Bahnsprecherin fielen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen etwa 50 Prozent der Nahverkehrszüge aus.
Rausch sagte, in Nordrhein-Westfalen seien rund 160 Lokführer dem Streikaufruf gefolgt, in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen legten demnach 300 die Arbeit nieder. Bundesweit seien rund 1400 Lokführer in den Ausstand getreten. Es sei unerträglich, dass eine kleine Gruppe von Streikenden versuche, Deutschland lahm zu legen. "Die Streiks verfehlen jedoch zunehmend ihre Wirkung: Heute waren bisher bundesweit mehr Reisende und Züge unterwegs als am vergangenen Freitag, dem letzten Streiktag", betonte er.
Der Berliner GDL-Bezirksvorsitzende Hans-Joachim Kernchen sprach dagegen von einer "sehr guten Beteiligung" der Lokführer am Streik. Die Kollegen würden immer selbstbewusster und würden nicht mehr auf Einschüchterungsversuche der Bahn reagieren.
Nach Angaben des ADAC wirkte sich der Streik heute vor allem auf den Straßenverkehr aus. Viele Pendler stiegen auf das Auto um. Bundesweit kam es zu besonders langen Staus, vor allem um München und Hannover sowie im Rhein-Ruhr-Gebiet.
Der Fernverkehr sei auch während des Streiks planmäßig und pünktlich unterwegs, sagte Rausch. Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Chemnitz darf die GDL bis auf weiteres nur Züge des Nah- und Regionalverkehrs bestreiken. Die Gewerkschaft will mit dem Arbeitskampf ihre Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag für das Fahrpersonal durchsetzen. Das jüngste Angebot der Bahn hatte sie als unzureichend zurückgewiesen und Verhandlungen abgelehnt.
Die Bahn forderte die GDL auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Eine Annäherung an die Forderungen der GDL lehnte das Unternehmen aber ab. "Über die gebotenen zehn Prozent und den eigenen Tarifvertrag hinaus wird es kein neues Angebot geben", sagte Personalvorstandssprecher Uwe Herz der Nachrichtenagentur AP. Die GDL hatte den jüngsten Vorschlag der Bahn am Mittwoch zurückgewiesen. Nach Darstellung der Gewerkschaft beinhaltet das neueste Angebot nur eine Netto-Gehaltssteigerung von 4,5 Prozent.
Einer Forsa-Umfrage im Auftrag von der Forschungseinrichtung berlinpolis zufolge sprechen sich 66 Prozent der Befragten dafür aus, die Lokführer mögen sich mit dem Angebot der Bahn zufrieden geben, 27 Prozent finden, sie sollten weitere Forderungen stellen. Noch 55 Prozent hätten Verständnis, wenn die GDL erneut zum Streik aufruft, 43 Prozent hätten kein Verständnis. Allerdings halten 73 Prozent die Forderung nach einem eigenen Tarifvertrag für nicht sinnvoll. An den Bahnhöfen äußerten sich im Vergleich zu früheren Streiktagen mehr Bahnkunden genervt über den Streik.
Dort, wo Reisende stundenlang auf einen Zug warten mussten, kam es gelegentlich zu heftigen Wortgefechten zwischen ihnen und den streikenden Lokführern. "Das ist idiotisch, was ihr hier macht. Ich bin seit drei Uhr unterwegs", rief ein aufgebrachter Bahnkunde in Frankfurt den Streikenden zu. "Ihr seid ein Dienstleistungsunternehmen. Ich bezahle Geld, dass ihr mich von A nach B bringt. Ihr kommt nie auf einen grünen Zweig." Die Streikenden blieben gelassen. "Ich denke, dass die Mehrheit der Reisenden immer noch hinter uns steht und für uns Verständnis hat", sagte ein Lokführer.
kaz/dpa/AP/ddp/AFP