Digitalisierung in der Finanzbranche »Wer noch eine Bank überfällt, ist eigentlich schön blöd«

Weniger Bankfilialen, weniger Bargeld und ein hohes Risiko, erwischt zu werden: Den klassischen Bankraub gibt es kaum noch. Dafür operieren Gangster nun mit anderen Methoden.
Polizeieinsatz nach Banküberfall im Mai 2021 in Berlin

Polizeieinsatz nach Banküberfall im Mai 2021 in Berlin

Foto: Marius Schwarz / IMAGO

Onlinebanking und Kartenzahlung verändern nicht nur die Finanzbranche, sondern auch das Geschäft für Bankräuber. Sie sind in Deutschland nahezu ausgestorben. Die Zahl der Überfälle auf Banken, Sparkassen und auch Postfilialen ist in den vergangenen drei Jahrzehnten um 95 Prozent gesunken.

Im Jahr 1993 zählte das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden noch 1623 Überfälle auf »Geldinstitute und Poststellen«, im vergangenen Jahr waren es lediglich 80, wie die Zeitreihen der Ermittlungsbehörde zeigen.

Polizei, Banken und Versicherer sehen mehrere Ursachen für das Phänomen. Mitte der Neunzigerjahre gab es noch fast 70.000 Bankfilialen in Deutschland, Ende vergangenen Jahres waren es laut Bundesbank noch gut 24.000. Bankräuber haben heute also weniger Auswahl als früher. Hinzu kommen technischer Fortschritt und abnehmende Bedeutung des Bargelds.

Das Risiko für die Täter bei einem Vor-Ort-Überfall ist außerordentlich hoch. Die Polizei klärte 2020 fast 80 Prozent der Überfälle auf, 2019 sogar über 90 Prozent. »Führen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen wie beispielsweise geringe Bargeldbestände zu entsprechend niedrigen Beuteerwartungen, werden Raubdelikte in der Regel unter Risiko-Nutzen-Gesichtspunkten zu unattraktiven Straftaten«, sagte eine Sprecherin des BKA.

Katz-und-Maus-Spiel zwischen Banken und den Tätern

Doch die Finanzbranche ist inzwischen mit einem anderen Gangster-Typus konfrontiert: Konjunktur haben Geldautomatensprengungen und Cyberkriminalität.

»Die Gefahr, tatsächlich gefasst zu werden, ist im Internet häufig wesentlich geringer als bei einem Banküberfall«, sagt Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte bei dem zur Allianz gehörenden Kreditversicherer Euler Hermes. »Die Cyberkriminellen müssen durch die vielen Möglichkeiten, die das Internet bietet, physisch keine Landesgrenze mehr überschreiten, sie müssen nicht einmal das Haus verlassen, um im Ausland im Netz eine Straftat zu begehen.«

Eine gängige Masche sind Phishingmails, mit denen Cyberkriminelle versuchen, Kontodaten von leichtgläubigen Bankkunden zu erschwindeln, um anschließend deren Konten leerzuräumen.

Hackerangriffe können prinzipiell aus jedem Land der Welt gestartet werden. Euler Hermes hat 7654 Schadensmeldungen aus der Finanzbranche der Jahre 2015 bis 2021 in Höhe von insgesamt 870 Millionen Euro ausgewertet. Cybervorfälle lagen dabei mit rund 12 Prozent der Schadensumme an erster Stelle.

»Wer als Krimineller heute noch eine Bank überfällt oder einen Geldautomaten sprengt, ist eigentlich schön blöd«, sagt Betrugsexperte Kirsch. »Denn er geht ein unnötiges Risiko ein, für eine in der Regel viel kleinere Beute.«

Doch gerade die Zahl der Geldautomatensprengungen hat stark zugenommen. Das BKA berichtete im vorigen Jahr von bundesweit 414 Fällen, der höchsten Zahl seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 2005.

Im Vergleich zum Banküberfall ist auch der Angriff auf den Automaten aus Tätersicht weniger riskant: Gesprengt wird ganz überwiegend in der Nacht ohne Zeugen in der Nähe, außerdem sind die Strafen für Raubüberfälle – also den klassischen Banküberfall – höher.

Bei der Sprengung von Automaten gibt es inzwischen auch ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Banken und den Tätern. »Bei rund 40 Prozent der Angriffe auf Bankautomaten verwenden die Kriminellen inzwischen Festsprengstoff«, sagt eine Sprecherin der R+V-Versicherung, bei der viele Volks- und Raiffeisenbanken versichert sind. »Bis vor zwei Jahren wurde bei den Sprengungen noch überwiegend Gas eingesetzt.« Hatten die Täter genügend Gas in den Automaten geleitet, wurde gezündet.

Doch sind viele Geldautomaten inzwischen technisch so raffiniert, dass die Maschinen explosives Gas neutralisieren und Explosionen verhindern können. Festsprengstoff richtet jedoch immense Schäden an, ganz zu schweigen von der Gefahr für Leib und Leben der Anwohner.

Die R+V empfiehlt Banken deswegen mittlerweile eine bunkerähnliche Lösung: frei stehende Pavillons aus Stahlbeton. »Die ringförmigen Gebilde bestehen aus bis zu 15 Zentimeter starkem Stahlbeton und bringen zehn Tonnen auf die Waage«, erläutert eine Sprecherin. »Mit herkömmlichen Sprengmitteln erreicht man da gar nichts.«

Doch die kriminelle Szene hat gelernt, dass man Geldautomaten nicht nur sprengen kann: Mittlerweile gibt es auch das ferngesteuerte »Jackpotting«. Dabei übernehmen Kriminelle über Netzwerkserver die Kontrolle über Geldautomaten.

mmq/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten