Bankenkrise "Man kann nicht mit dünner Luft Geld verdienen"

Die US-Finanzbranche erlebt die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg - und das war überfällig, sagt Kenneth Rogoff. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt der Harvard-Ökonom, wer die Schuld daran trägt.

SPIEGEL ONLINE: Vor einer Woche rettete die US-Zentralbank mit 200 Milliarden Dollar die Immobilienriesen Fannie Mae und Freddie Mac, jetzt krachte die Investmentbank Lehman Brothers zusammen...

Rogoff: Dies ist die schlimmste Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg, da gibt es nichts zu beschönigen. Die ganze Branche ist einfach explodiert. Allerdings war das auch überfällig. Die US-Finanzbranche war völlig aufgebläht und rücksichtslos geworden. Jetzt werden ihr die Zügel angelegt.

SPIEGEL ONLINE: Was lief falsch?

Rogoff: 2006 machte der Finanzsektor in den USA ein Drittel der Unternehmensgewinne, dabei steht er für nur drei oder vier Prozent des Bruttosozialprodukts. Allein Goldman Sachs verteilte 25 Milliarden Dollar Profit unter seinen 4000 Beschäftigten. Tut mir leid, ich finde das unglaublich. Etwas musste passieren. Man kann nicht einfach mit dünner Luft Geld verdienen - von den enormen Risiken, die dort eingegangen wurden, ganz zu schweigen.

SPIEGEL ONLINE: Wie geht es weiter?

Rogoff: Die Branche wird schrumpfen, vielleicht um 20, 25 Prozent, in manchen Bereichen sogar um 50 Prozent. All diese schicken, hochkomplizierten Finanzprodukte der letzten Jahre kommen nicht zurück. Und das wird sehr schmerzhaft. Gewinne wie früher wird es nicht mehr geben. Firmen wie Lehman haben ja gerade in diesen Bereichen einen Großteil ihrer Gewinne gemacht. Und dabei geht es nicht nur um die Subprime-Verluste: Die Anleger realisieren jetzt, dass das gesamte Geschäftsmodell der Investmentbanken zusammengestutzt wird.

SPIEGEL ONLINE: Eine der Lehren aus dem Bear-Stearns-Kollaps im Frühjahr war, dass sich jetzt auch Investmentbanken im Ernstfall schnell und günstig bei der Fed Bargeld besorgen können. So etwas wäre noch vor kurzem unvorstellbar gewesen. Dies sollte fortan den sprichwörtlichen "Sturm auf die Bank" verhindern. Warum geriet Lehman Brothers trotzdem in so große Probleme?

Rogoff: Das ist in der Tat unglaublich. Die haben Zugriff auf das sogenannte discount window der Fed, trotzdem sind die andern Banken bei Deals mit Lehman zurückhaltend geworden. Das zeigt nur: Es geht hier nicht um Liquidität, die können bei der Fed kurzfristig alle so viel Cash bekommen, wie sie nur wollen. Es geht um eine Bewertung des Geschäftsmodells.

SPIEGEL ONLINE: Die US-Notenbank interveniert immer öfter und immer massiver. Zu Recht?

Rogoff: Wenn das System weiter in sich zusammenfällt, kann die Fed nicht einfach danebenstehen und die Banken untergehen lassen. Theoretisch mag es ja eine gute Idee sein, dass sich das System selbst restrukturiert. Praktisch funktioniert das aber nicht. Die Fed muss einfach noch mehr Steuergelder hineinwerfen. Ich wäre nicht überrascht, wenn am Ende eine Billion Dollar zusammenkämen - auch wenn sich längst die Frage stellt, wie gerecht das noch ist.

SPIEGEL ONLINE: Was heißt das für die US-Wirtschaft insgesamt?

Rogoff: Wenn Sie gleichzeitig eine Rezession und eine Finanzkrise haben, dauert es viel länger, sich aus dem Schlamassel herauszugraben. Die Wirtschaft wird auch im nächsten Jahr sehr langsam wachsen, vielleicht um ein Prozent, und die Arbeitslosenzahlen werden steigen. Ich hoffe, wir kommen mit einer milden Rezession davon.

SPIEGEL ONLINE: Es sieht also eher düster aus - warum setzt der Dollar dann ausgerechnet jetzt zu einer Art Höhenflug an?

Rogoff: Die Nachrichten aus anderen Teilen der Welt schienen zuletzt noch schlechter zu sein. Wenn die Leute wieder genauer auf die US-Finanzmärkte schauen, werden sie sehen, wie besorgniserregend die Dinge hier sind. Der Dollar wird seine Zugewinne wieder abgeben müssen.

SPIEGEL ONLINE: Alles in allem: Wer trägt die Verantwortung für das Debakel?

Rogoff: Ach, da wären so viele zu nennen - das würde wie der Abspann eines Kinofilms aussehen. Ganz vorn allerdings stehen Präsident George W. Bush und der US-Kongress: Sie haben das Problem absichtlich ignoriert und die Aufsichtsbehörden häufig zum Nichtstun gedrängt.

Das Interview führte Frank Hornig

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