Bankier Hjalmar Schacht Hitlers selbstherrlicher Helfer
Hamburg Hjalmar Schacht ist vieles vorgeworfen worden - nie aber übertriebene Bescheidenheit. Der Mann besaß ein Ego wie ein teutonischer Stammesfürst. Wer Schachts Memoiren "76 Jahre meines Lebens" liest, dem bläst von fast jeder Seite die Arroganz ins Gesicht.
Gegen Ende seines 700-Seiten-Wälzers beschreibt Schacht, wie ihm 1945 und 1946 in Nürnberg von den Siegermächten der Prozess gemacht wurde. Zusammen mit Göring, Frick, Ribbentropp und anderen Kriegsverbrechern des Nazi-Regimes war auch er angeklagt. Denn von 1934 bis 1937 hatte er Adolf Hitler als Wirtschaftsminister gedient, von 1933 bis 1939 als Reichsbankpräsident.
Schachts Schilderung jener Nürnberger Tage trieft vor Verachtung für Mitangeklagte und Siegermächte gleichermaßen. Er deutet an, dass er besser Englisch sprach als mancher US-Ankläger. Er prahlt: "Ich hatte von allen Angeklagten den höchsten IQ." Und er schreibt einen bezeichnenden Satz: "Dann war es mir fast peinlich, als ich aussagen musste, wie viel ich für die Juden getan hatte."
Späte Enthüllungen über eine widersprüchliche Figur
Wer war Hjalmar Schacht, dieser große Egomane unter den deutschen Bankern im 20. Jahrhundert? Warum lief er gegen 1930 aus dem nationalliberalen Lager zu Hitler über? Warum näherte er sich dann im Zweiten Weltkrieg dem Widerstand an? Und stand Schacht der mörderischen Rassenpolitik der Nazis wirklich so distanziert gegenüber, wie er seinen Richtern (die ihn freisprachen) und später den Lesern seiner Memoiren weismachen wollte?
Mit diesen Fragen befasst sich der Bielefelder Historiker Christopher Kopper in seinem neuen Buch "Hjalmar Schacht: Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier". Kopper ist der Sohn des einstigen Deutsche-Bank-Chefs Hilmar Kopper, und er beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit "Bankiers unterm Hakenkreuz" - diesen Titel trägt sein Vorgängerwerk zum Thema.
Koppers Schacht-Biografie ist so sauber und kritisch recherchiert wie keine zuvor. Frühere Biografen übernahmen gutgläubig manche Schilderung aus Schachts Memoiren. Kopper hat erstmals Akten, Redeentwürfe und private Papiere von Schacht verarbeitet, die lange unzugänglich in DDR-Archiven und in Moskau lagerten.
Das erlaubt ihm 36 Jahre nach Schachts Tod einige Enthüllungen. Die wohl wichtigste: Kopper weist nach, dass der Mann, der vermeintlich so "viel für die Juden" tat und sich stets unkorrumpierbar gab, persönlich von der "Arisierung" profitiert hat, von der Enteignung eines jüdischen Unternehmens. "Diese dunkle Seite des Bankiers Schacht blieb der Öffentlichkeit bisher verborgen", schreibt Kopper.
"Das einzig Saubere an ihm ist sein Kragen"
Schacht wird 1877 im damals noch deutschen, heute dänischen Tingleff geboren - früh entwickelt er seinen Geltungsdrang, das Gefühl für die eigene Unverzichtbarkeit. Bereits im Abiturzeugnis vom Hamburger Reiche-Leute-Gymnasium Johanneum steht mit kühler Distanz vermerkt: "Hält sich zu Höherem berufen." In späteren Jahren zirkulieren viele Bonmots und Aussprüche, die auf Schachts Eigenmächtigkeiten und Illoyalität anspielen. Gustav Stresemann klagt Ende der zwanziger Jahre: "Das einzig Saubere an Schacht ist sein weißer Kragen." Schachts Kompetenz als Bankier indes bezweifelt kaum jemand.
Sein Höhenflug beginnt während des Ersten Weltkriegs: Als Beamter der Zivilverwaltung ist er ab 1914 für Geldpolitik in Belgien zuständig - und hilft durch klug konstruierte Anleihen, dem besetzten Land Tribute abzupressen, ohne die Inflation in die Höhe zu treiben. 1916 beruft ihn eine der größten deutschen Aktienbanken, die Nationalbank, in ihren Vorstand. Da ist Schacht gerade 39 Jahre alt.
Später, in der Weimarer Zeit, ist der Bankier mit dem eisigen Blick und der Liebe zu Zigarren prominenter als mancher Reichskanzler. Mitte November 1923, wenige Tage nach dem gescheiterten Hitler-Putsch, beruft man ihn zum Präsidenten der Reichsbank. Schacht koordiniert die Einführung der neuen Rentenmark - und hilft so, die zerstörerische Hyperinflation mit ihren 50-Milliarden-Mark-Scheinen zu besiegen.
"Die Nationalsozialisten erscheinen mir schneidig"
Die demokratisch-liberale DDP, der er damals noch angehört, zieht später mit der Losung in den Wahlkampf: "Wer hat die Rentenmark gemacht, natürlich unser Hjalmar Schacht." Auch Schacht selbst kultiviert dieses Bild vom "Retter der Mark". Kopper dagegen zeigt, deutlicher als die Biografen vor ihm, dass Schacht sich mit fremden Federn schmückte. Der Notenbanker hatte die Währungsreform zwar umgesetzt. Ihre Grundideen gingen aber auf andere zurück - unter anderem den SPD-Theoretiker Rudolf Hilferding.
Den riskanten Flirt mit den Nazis beginnt Schacht 1930. Das Amt des Reichsbankpräsidenten hat er da schon hingeschmissen, nach einem öffentlichen Krach mit der Regierung. Als er in jenem Jahr in Begleitung seiner Frau Luise bei einer Abendgesellschaft auftaucht, trägt sie, mit Rubinen und Diamanten besetzt, an einer Kette ein Hakenkreuz.
"Warum den Nationalsozialisten nicht eine Chance geben? Sie erscheinen mir ziemlich schneidig", sagt Schacht einer verblüfften Reporterin. 1933, nach der Machtübertragung an Hitler, kehrt er triumphal ins Amt des Notenbankchefs zurück, bald amtiert er auch als Wirtschaftsminister und als Generalbevollmächtigter für Kriegswirtschaft. Manchen ausländischen Beobachtern erscheint es aus der Distanz, als besitze der "Wirtschaftsdiktator" mehr Macht als Hitler selbst.
Doch wegen seiner Warnungen, die Wirtschaft bei der Aufrüstung nicht zu überfordern, gilt Schacht bald als "ewiger Querulant" und "Stänkerer" (Joseph Goebbels). In Kompetenzkämpfen mit Hermann Göring zieht er den Kürzeren. 1937 tritt er als Wirtschaftsminister zurück, 1939 verliert er das Amt des Notenbankchefs. In den Kriegsjahren bandelt er mit konservativen Hitler-Gegnern wie Ulrich von Hassell an. Die misstrauen dem unberechenbaren Banker zwar und nehmen ihn nie in ihren engeren Kreis auf. Doch Schachts Kontakte zur Opposition sind immerhin so eng, dass er nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 ins KZ gesperrt wird.
Schachts Arisierungsopfer starb arm in New York
Dass Schacht immer wieder jüdische Manager protegierte, hat viele Historiker in ihrer Beurteilung milde gestimmt. Noch heute heißt es im Munzinger-Lebenslauf über Schacht lobend: "(Er) setzte sich für die jüdischen Mitbürger in aller Öffentlichkeit ein." Tatsächlich half Schacht Bankiers wie Max Warburg und distanzierte sich von der Pogromnacht 1938, das betont auch Kopper. Doch Schacht habe sich weniger aus menschlichen Motiven engagiert, schreibt er - sondern weil er ökonomischen Schaden für Deutschland befürchtete. Die Diskriminierung jüdischer Mitbürger durch die Nürnberger Rassegesetze hat Schacht jedenfalls ausdrücklich unterstützt.
Als "sensationell" bewertet Kopper neu entdeckte Dokumente, die Schacht als Mittäter bei einer Enteignung entlarven. 1939 half der Bankier, die jüdische Unternehmerin Franziska Heinemann aus ihrer Münchner Kunstgalerie zu verdrängen. Schacht habe sie gemeinsam mit einem Partner "nach Strich und Faden übervorteilt" und ihr das hoch profitable Geschäft für eine geringe Summe abgenommen, schreibt Kopper. In den Folgejahren strich Schacht Traumgewinne ein - allein 1942 kassierte er 418.000 Mark aus dem Geschäft. Die frühere Besitzerin war da schon verstorben, als mittellose Einwanderin in New York.
Koppers Schacht-Biografie ist ein solides Werk, aber keineswegs ein Thriller. Passagen wie die über Schachts Diskontsatz-Änderungen in der Weimarer Zeit dürften auch beim geschichtsinteressierten Publikum Anflüge von Ungeduld auslösen. Das spannendste Buch über Schacht stammt leider immer noch - von Schacht selbst. Dessen Memoiren, obgleich maßlos und verzerrend, sind immerhin eins: packend geschrieben. Hjalmar Schacht ist vieles vorgeworfen worden, nie aber Schwächen bei der Selbstdarstellung.