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COMPUTER Bavarian Cracker Service

Mit geklauten Computer-Programmen verdienen Jugendliche viel Geld. Die Hersteller-Firmen haben jetzt die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Das Urteil des Amtsgerichts Hannover lautete auf zwei Wochenenden Freizeitarrest, eine Woche unentgeltlichen sozialen Hilfsdienst und drei Beratungsgespräche bei einem Psychologen.

Der Täter, ein neunzehnjähriger Gymnasiast, konnte mit diesem Spruch zufrieden sein. Für den Schaden, den er angerichtet haben soll, war es eine milde Strafe. Auf 23 Millionen Mark bezifferten die Firmen die Einbußen, die ihnen der Junge beigebracht haben soll.

Ein neuartiges Delikt hatte den jugendlichen Übeltäter vor den Richter gebracht: die Software-Piraterie, das unerlaubte Kopieren von Computer-Programmen. Der Schüler hatte mit Raubkopien von beliebten Computer-Spielen, etwa der Firma Atari, einen erfolgreichen Versandhandel aufgezogen. In der elterlichen Wohnung stellte die Kriminalpolizei eine Adressenliste mit 500 Kunden sicher, einige sogar aus Österreich und der Schweiz.

Das Urteil gegen den hannoverschen Gymnasiasten ist eines der ersten in einer Serie von ähnlichen Prozessen gegen Software-Piraten. Rund 800 Strafverfahren gegen Raubkopierer sind vergangenes Jahr in Gang gebracht worden, ermittelte der Münchner Anwalt Günter Freiherr von Gravenreuth.

Die Prozeßwelle gegen den Programm-Klau wurde von der Computer-Industrie ausgelöst. Zunächst hatten die Firmen stillschweigend zugesehen, wie die Freaks sie austricksten. Die zumeist jugendlichen Computer-Kenner knacken den in den meisten Programmen eingebauten Kopierschutz, einen speziellen Code, der das Überspielen unmöglich machen soll. Die Disketten, die mit geraubten Programmen bespielt sind, tauschten viele untereinander aus. Manche aber machten ein Geschäft draus und verkauften die Disketten zum Bruchteil des Ladenpreises.

Die Räuberei war dem Verkauf der Computer durchaus förderlich. Ohne Software ist mit den Geräten wenig anzufangen; bei vielen jungen Kunden reicht aber das Taschengeld nicht, um die Programme regulär zu erwerben. Die Preise für einfache Computer-Spiele beginnen bei etwa 50 Mark, kompliziertere Anwender-Programme für Personal-Computer können einige tausend Mark kosten.

Inzwischen aber stehen rund eine Million Kleinrechner in deutschen Heimen. 1984 wurde offiziell für rund eine halbe Milliarde Mark Software für diese Geräte verkauft. Auf jedes regulär verkaufte Programm kommt ein Mehrfaches an Raubkopien - Experten schätzen den Schaden auf 15 Milliarden Mark. So _(Im Münchner Landeskriminalamt. )

begannen die Firmen, ihre Anwälte auf die Kopierer anzusetzen. Wer sich mit Kleinanzeigen für besonders billige Programme in den einschlägigen Fachzeitschriften verdächtig machte, bekam anfangs Abmahnschreiben mit beigefügter Gebührenrechnung, mußte strafbewehrte Unterlassungserklärungen unterschreiben und mit Schadenersatzforderungen rechnen.

Inzwischen besannen sich die Rechtsexperten der Computer-Firmen auf eine bequemere Methode. Nach Paragraph 106 des Urheberrechtsgesetzes kann das unbefugte Kopieren urheberrechtlich geschützter Werke auf Antrag des Geschädigten mit Geldstrafe oder gar Gefängnis bis zu einem Jahr geahndet werden. Mit diesem Paragraphen schicken die Unternehmen den Software-Piraten Polizei und Staatsanwalt in die Wohnung.

Anwälte wie der Münchner von Gravenreuth, der für die Firma Ariolasoft arbeitet, haben dieses Verfahren schon perfektioniert. Von Gravenreuth beschickt die Strafverfolger mit 440 Gramm schweren Anzeigen. Das Konvolut enthält detaillierte Ratschläge für die meist computerunbewanderten Polizisten, damit sie bei Hausdurchsuchungen nicht von den Freaks ausgetrickst werden. »Es geht uns nicht darum, irgendwelche Jugendlichen zu kriminalisieren«, entschuldigt von Gravenreuth die Polizei-Aktionen. Aber vom Schreibtisch aus sei nun einmal nicht zu erkennen, ob hinter verdächtigen Angeboten in Computer-Zeitschriften ein kindlicher Amateur oder ein professioneller Raubkopierer steckt.

Das Kleinzeug - etwa 100 Fälle bisher - wird gewöhnlich wegen Geringfügigkeit eingestellt oder mit einer Geldbuße geahndet. Mal kostet das Vergehen 50 Mark, aber auch 2500 Mark sind schon mal drin. Dazu kommt meistens die Gebühr für die Abmahnung: 1101 Mark, berechnet aus einem pauschalierten Schaden von 50 000 Mark.

Gut die Hälfte der etwa 60 Fälle von Computer-Kriminalität im letzten Jahr, die das Bayerische Landeskriminalamt bearbeitete, waren Software-Piraterien mit Kleinrechnern. Der Täterkreis reicht »vom Punker bis zum Polizeibeamten«, so Rechtsanwalt von Gravenreuth. Selbst in etablierten Computer-Läden, wie etwa in Hamburg, wurden vor den Augen der Kunden Raubkopien der gewünschten Programme gezogen.

Ist der Kopierschutz erst mal geknackt - und dafür gibt es Dutzende von Spezialprogrammen unbekannter Helfer wie »Kotzbrocken« oder »Bavarian Cracker Service« -, dann genügen zur Aufnahme der Produktion ein Kleincomputer mit Laufwerk und eine Leerdiskette für fünf Mark. Das Original eines Anwender-Programms wie »Multiplan« oder »Wordstar« kostet im regulären Handel um die 1000 Mark.

Freilich, den rechtmäßigen Urhebern entsteht wohl kaum ein Verlust in dieser Höhe. Denn viele Kunden, die sich für 30 Mark eine Raubkopie leisten, hätten beim fünf- oder zehnmal höheren Ladenpreis eben auf den Kauf verzichtet. Die Software-Firmen schmerzt auch nicht so sehr der durch die Kopien vielleicht entgangene Umsatz. Sie stört, daß der graue Programm-Markt die einst üppig kalkulierten Preise auf dem offiziellen Markt nach unten drückt.

Die Software-Piraten finden auch bei vielen Richtern Verständnis. Das Amtsgericht Kaufbeuren etwa verurteilte einen zwanzigjährigen Studenten, der mit Raubkopien 2000 Mark Umsatz gemacht hatte, zu 150 Mark Geldstrafe. Zugleich rügte der Richter die »Panikmache« der Industrie und deren überhöhte Schadens-Hochrechnungen.

Bei dem hannoverschen Gymnasiasten blieb es auch nicht bei dem 23-Millionen-Verlust, den die Firma als Schaden reklamiert hatte. Innerhalb eines Jahres hatte der Junge, so die Ermittlungen, auf seinem Postscheckkonto 36 000 Mark eingenommen, immerhin auch noch eine hübsche Summe.

Doch die Richterin hielt dem jungen Software-Dieb zugute, daß er in einem »entwicklungspsychologischen Konflikt« mit seinem Vater, einem erfolgreichen Geschäftsmann, stand. Der junge Mann entging der von der Staatsanwältin geforderten Arreststrafe von vier Wochen. Statt dessen verordnete das Gericht eine psychologische Beratung, die dem aufstrebenden Jüngling in seinem »erheblichen Selbstfindungsprozeß« helfen soll.

Da ist wohl noch einiges zu korrigieren. Der Junge hatte schließlich nicht bloß Raubkopien vertrieben, sondern auch die Methoden seiner Verfolger aus der Industrie kopiert: Er verschickte Abmahnungen an andere Software-Piraten und kassierte Gebühren wie die ehrbare Anwaltschaft. _(Mit Software-Kopien. )

Im Münchner Landeskriminalamt.Mit Software-Kopien.

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