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UNTERNEHMEN Bayerische Schnapsidee

Ein deutscher Destillateur brennt am Schliersee Malzwhisky - mit zunehmendem Erfolg. Sein ehrgeiziges Ziel: Er will eine Kultmarke schaffen.
Von Wolfgang Reuter
aus DER SPIEGEL 1/2008

Draußen, vor der riesigen Fensterwand, erstrecken sich die verschneiten Wiesen bis zum Wendelstein, dessen Felsspitze, von der Abendsonne erleuchtet, in den weißblauen Himmel ragt.

Drinnen, hinter dem hölzernen Tresen, steht der Wirt in Jeans, Trachtenjanker, kariertem Hemd und orangefarbener Krawatte. Was zur Vollendung des gängigen Klischees bayerischer Voralpenlandidylle fehlt, ist eine Halbe Helles. Bier aber gibt's in dieser Kneipe nicht.

Aber Whisky. Und den brennt Florian Stetter, der Mann hinter der Theke, selbst. Stolz blickt er nach rechts, über die 600 sorgsam gestapelten Weißeichenfässer à 225 Liter, in denen der hochprozentige Stoff mindestens drei Jahre lagert.

Wie kommt einer auf die Schnapsidee, im Herzen Oberbayerns Whisky herzustellen?

Hier, in Neuhaus am Schliersee, 60 Kilometer südlich von München, wohnt Gerhard Polt, hier erholt sich Paul Kirchhof, der Steuerrechtsprofessor, von den Strapazen, doch nicht Finanzminister geworden zu sein. Und hier hat der »Wasi«, der Wasmeier Markus, sein Ski-Museum gebaut.

Und jetzt gibt es noch eine Attraktion, eine Whisky-Destillerie. »Verrückt müssen S' halt sein«, erklärt Stetten seinen Gästen seine Motive, »total wahnsinnig, völlig plemplem.« Und natürlich starrköpfig. »Verstehn S'?«, fragt er dann, »ein bisserl wie die Schotten.« Aha, klar. Die sprechen auch kein Oxfordenglisch. Und die Bayern eben kein Hochdeutsch. Die Schotten tragen Kilt, die Bayern Lederhosen. Und die Schotten sind, wie auch die Bayern, Individualisten und Freistaatler.

Und dann die Landschaft. Berge, schöne Natur, raues Klima. Natürlich auch frisches Wasser, »aus der Bannwaldquelle. De facto is des zwar des Schlierseer Leitungswasser«, sagt Stetter und lächelt verschmitzt. Aber so klingt's halt besser.

»Slyrs« heißt die Marke, die Stetter samt Logo und Flaschendesign selbst entwickelt hat. Der Name bezeichnete einst ein Kloster, das die Mönche Adalung, Hilupalt, Kerpalt, Antonius und Otakir im Jahr 779 in dieser Gegend gründeten. Daraus wurde Schiers - und schließlich Schliersee.

Die Story ("Schtori«, wie Stetter sagt) ist jedenfalls gut. Und wenn sie der Destillateurmeister erzählt, erscheint es dem Zuhörer als die natürlichste Sache der Welt, dass in Oberbayern Whisky gebrannt wird. Nur dass es bislang eben noch keiner gemacht hat.

Die Idee dazu kam Stetter in Schottland bei einer Studienreise mit anderen Destillateuren. Die jungen Schnapsbrenner besuchten auch eine Destillerie. Nach einigen »Glaserln« trumpfte der Stetter Flo auf: »Des kann ich auch.« Und wettete mit seinen Kumpeln um einen Kasten Weißbier, dass er in Schliersee einen Whisky brennt. 1994 war das.

Kurz darauf begann er, ganz nebenbei, mit den Whisky-Experimenten in der familiären Obstbrennerei, die er in dritter Generation führt. »Am Anfang war des Zeug nicht trinkbar«, räumt Stetter ein, aber mit der Zeit lernte er dazu.

Im Jahr 2002 füllte er seinen Whisky erstmals ab, die 1600 Flaschen waren binnen zwei Wochen ausverkauft. Die Produktion stieg rasant - auf 30 000 Flaschen im Jahr. Dann ging es nicht mehr. Der Betrieb war zu klein, und Stetter beantragte, die erste reine Malzwhisky-Destillerie in Deutschland zu errichten.

Drei Millionen Euro hat er inzwischen investiert, in die Brennerei samt Lagerhalle und Verkostungslokal. Und zehn Jobs sind entstanden, darunter ein Ausbildungsplatz für eine Destillateurin; eine Lehre, die in Deutschland pro Jahr nur etwa zehn junge Menschen beginnen.

Wie alle Pioniere musste auch Stetter kämpfen. Das Bundesamt für Finanzen beispielsweise wollte seine Anlage zunächst der Biersteuer unterwerfen, weil das Grundprodukt des »Slyrs« Braugerste ist. Aus der wird Gerstenmalz und schließlich Whisky-Maische, die dann vergoren und zweimal destilliert wird. Whisky-Maische kannten die Finanzbeamten aber bis dato nicht - wohl aber Braugerste.

Das Problem: Stetter hätte ein Biersteuerbuch führen müssen, die Whisky-Maische erst be- und dann wieder, vor der Destillation, entsteuern müssen. Ein riesiger bürokratischer Aufwand - »für nix und wieder nix«. Erst nach einer ausführlichen Korrespondenz mit einer untergeordneten Behörde des Landwirtschaftsministeriums hatten die Finanzbeamten ein Einsehen.

In drei Jahren will Stetter bis zu 60 000 Flaschen jährlich verkaufen. Einige Fässer aber lässt er liegen: für seinen Zwölfjährigen, der 2015 auf den Markt kommen soll. Der Restbestand wird knallhart rationiert.

Rund 16 000 Flaschen gehen derzeit in den professionellen Vertrieb, zu Käfer nach München, ins Adlon und ins KaDeWe in Berlin, ins Hilton nach Dubai oder ins Hofbräuhaus in Seoul. Und künftig auch nach Dänemark, Frankreich und England. Diese Geschäfte hat Stetter vor ein paar Wochen auf der InterWhisky, der größten Messe für Whisky, abgeschlossen. Dort war er der einzige Deutsche.

Die restlichen Flaschen vertreibt Stetter vor Ort. Inzwischen kommen die Besucher schon busweise zu seiner Destillerie. Jeder von ihnen darf nur eine Flasche kaufen. »Sonst wären die Regale längst abgeräumt«, sagt Stetter.

Dafür gibt's den »Slyrs« bei Ebay - zu Schwarzmarktpreisen. Der aktuelle Jahrgang liegt 20 bis 30 Prozent über dem regulären Verkaufspreis. WOLFGANG REUTER

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