Hörgeräte Behäbig und teuer
Von seinen Branchen-Kollegen hält Hagen von Wedel herzlich wenig. Im schallgedämpften Studio seiner Hamburger Hörgeräte-Firma schimpft der Hamburger über die Konkurrenz. Das bundesdeutsche »Akustiker-Kartell« treibe die Preise hoch und sperre sich gegen einen fairen Wettbewerb. Von Wedel: »Die haben doch jahrelang gemacht, was sie wollten.«
Der Chef der Firma Sanomed Medizintechnik hat sich vorgenommen, das zu ändern. Mit aggressiver Werbung und Niedrigpreisen will von Wedel, 33, den eingesessenen Hörgeräte-Akustikern die Gewinne abjagen.
Wie man ein fest gefügtes Gewerbe der Gesundheits-Branche aufknackt, das hat der Diplomkaufmann bei seinem früheren Arbeitgeber gelernt, dem Hamburger Brillen-Filialisten Günther Fielmann.
Fielmann verdiente viel Geld mit einer einfachen Idee: Er verwandelte die Brille vom medizinischen Hilfsgerät in einen ganz normalen Gebrauchsgegenstand. Modische Gestelle gab es bei ihm ohne Aufpreis, Ende der Siebziger eine Kriegserklärung gegenüber der Optiker-Gilde.
Auch von Wedel verkauft seine Geschäftspolitik werbewirksam als »Kampfansage« an den bundesdeutschen Hörgeräte-Handel. Und bei den etablierten Händlern macht sich Angst vor dem Herausforderer breit.
Bisher sind die Akustiker eine exklusive Gesellschaft. Die Mini-Branche besteht aus gerade 1300 Händlern, mit einem Gesamtumsatz von rund 400 Millionen Mark.
Mit Hörgeräten ließ sich bis vor kurzem, ähnlich wie jahrzehntelang beim Brillenhandel, sicheres Geld verdienen. Wettbewerb fand praktisch nicht statt. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt verschrieb die Hörhilfe, der Akustiker übernahm die Anpassung des Geräts und die Betreuung des Patienten, die Krankenkasse zahlte anstandslos.
Das änderte sich mit dem Gesundheitsreformgesetz des Bonner CDU-Sozialministers Norbert Blüm. Früher zahlten die Kassen im Schnitt 1350 Mark bei jedem Gerät zu. Heute liegen die Erstattungshöchstbeträge, je nach Bundesland und Hörgerät, zwischen 800 und 1100 Mark.
Die Akustiker beklagten im vergangenen Jahr, dem ersten, in dem das Gesetz wirkte, einen Umsatzrückgang von rund 40 Prozent. In diesem Jahr geht es weiter bergab.
Viele Patienten können oder wollen nicht soviel Geld für ein bis zu 4000 Mark teures Hörgerät draufzahlen. Die einen begnügen sich mit einem billigeren Gerät; andere zögern den Kauf erst mal hinaus.
Von Wedel hat die Marktlücke erkannt, er unterbietet die Preise der Akustiker. Sanomed, so die Firmenwerbung, verkaufe seine Geräte »garantiert zuzahlungsfrei«, die Krankenkasse bezahle die Hörhilfe komplett.
Gleichzeitig spezialisierte sich das Unternehmen auf moderne »Im-Ohr-Geräte«, die bei den Akustikern nur gegen 500 bis 1000 Mark Aufpreis zu bekommen sind. Die Geräte sitzen nicht mehr hinter der Ohrmuschel, sondern werden in den Gehörgang des Patienten eingepaßt. Die Träger sind so nicht gleich als Schwerhörige zu erkennen.
Der Sanomed-Chef dachte sich ein neues Vertriebssystem für seine Apparate aus. Er verteilt seine Geräte direkt über die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Bundesweit hat er, zum Ärger der Akustiker, inzwischen rund 350 Mediziner unter Vertrag. So spart von Wedel Kosten, zudem verfügt er mit den Ärzten über erstklassige Vertreter.
Denn die Mediziner verdienen mit. Gegen ein Honorar von 100 Mark fertigen sie den Ohrabdruck, der zur Herstellung der Hörprothese benötigt wird.
Die Versendung und Wartung der Geräte übernimmt die Sanomed-Firmenzentrale in Hamburg. Die ortsansässigen Akustiker-Betriebe haben bei diesem geschlossenen Vertriebssystem nichts mehr zu tun; die Im-Ohr-Geräte müssen - im Gegensatz zu den herkömmlichen Hörhilfen - beim Patienten nicht extra eingemessen werden.
Die Konkurrenz gefällt den Hörgeräte-Händlern überhaupt nicht. Mit dem Sanomed-System sei es den Ärzten möglich, »ihren eigenen Umsatz zu bestimmen«, klagt der Dortmunder Filialhändler Volker Geers.
Das ist sicherlich richtig. Doch die Herrschaften sitzen, was ihre Begeisterung für Wettbewerb anbelangt, im Glashaus. Das Bundeskartellamt ermittelte im Januar gegen die Bundesinnung der Hörgeräte-Akustiker in Mainz. Die Kartellwächter verdächtigten den Verband, mit seinen Mitgliedsbetrieben verbotene Preisabsprachen getroffen zu haben, um so die Bonner Spargesetze zu umgehen.
Seit 1987 appellierte die Bundesinnung regelmäßig an ihre Mitglieder, keine Einzelverträge mit den Krankenkassen abzuschließen. Damit wollten die Standesvertreter verhindern, daß einzelne Händler dem Drängen der Krankenkassen nachgeben und die Preise für Hörgeräte senken. Die Akustiker sollten bei den Verbandsoberen eine Vollmacht abliefern, die nur die Bundesinnung zu Verhandlungen mit den Kassen berechtigt hätte.
Auf den neuen Konkurrenten aus Hamburg reagierte die Branche mit ähnlich dubiosen Methoden. Weil sich gegen den selbsternannten Preisbrecher Sanomed schwer etwas unternehmen ließ, versuchten die Akustiker, die Vertragsärzte der Firma zu verunsichern.
Die Mainzer Akustiker-Innung mahnte die Ärzte per Rundschreiben, daß die Zusammenarbeit mit Sanomed »eine Nichtbeachtung des normalen Verordnungsweges« bedeute, es bestünden »berufsrechtliche Bedenken«.
Der Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte schlug sich auf die Seite der traditionellen Hörgerätehändler. Die Funktionäre warnten die Sanomed-Vertragspartner aus den eigenen Reihen in einem ähnlich lautenden Schreiben vor Verstößen gegen das Standesrecht. Die Zusammenarbeit mit Sanomed provoziere einen »Konflikt mit der Kassenärztlichen Vereinigung«.
Das Hamburger Landgericht entschied zugunsten von Sanomed. Die Behauptungen dürfen nicht länger verbreitet werden.
Unverfänglicher und sicherlich auch nicht ganz abwegig ist es dagegen, den Sachverstand der Ärzte anzuzweifeln. Schließlich hätten die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte das Akustiker-Handwerk »nie gelernt«, sagt der Hörgeräte-Filialist Geers.
Auch wenn der Ohrenarzt-Verband sich jetzt, beim Konflikt um Sanomed, auf die Seite der Akustiker schlug - ein herzliches Einvernehmen zwischen Ärzten und Gerätehändlern gab es nie. Das Akustiker-Handwerk bildete sich Mitte der sechziger Jahre als eigener Beruf heraus, weil die Geräte immer komplizierter wurden. Die Techniker weiteten ihr Arbeitsgebiet schnell aus: Sie sicherten sich nicht nur die Anpassung der Geräte, sondern auch die nachträgliche Betreuung der Patienten.
Dadurch sah mancher Hals-Nasen-Ohren-Arzt den ständigen Nachschub an Krankenscheinen unterbrochen und sein Einkommen geschmälert. Nach der Verschreibung und Abnahme des Hörgeräts landeten die Patienten stets bei einem Akustiker. Der verdiente nicht nur am Hörgerät, sondern auch an der - von der Krankenkasse finanzierten - Wartung und am Batterieverkauf.
Das war um so ärgerlicher, als der Hörgeräte-Handel ein Geschäft mit goldener Zukunft ist. Marktbeobachter sagten der Branche vor der Gesundheitsreform »zweistellige Zuwachsraten« voraus. Die Zahl alter und oft hörgeschädigter Menschen nimmt ständig zu; auch bei der musikgeschädigten Jugend weitet sich die Schwerhörigkeit aus. Das verspricht Umsatz.
Laut »Fördergemeinschaft Gutes Hören« gibt es mehr als 11 Millionen Schwerhörige, doch nur 1,3 Millionen benutzen ein Hörgerät.
Ein Hörgeräte-Träger gilt im Zweifelsfall immer noch als behindert. »Die Brille wollen die Leute, das Hörgerät nicht«, sagt Günther Kern, stellvertretender Obermeister der Bundesinnung.
Für prominente Unterstützung ist die Branche deshalb dankbar. 1988 reiste eine Delegation der Fördergemeinschaft sogar ins Weiße Haus nach Washington. Dort ehrten die deutschen Akustik-Spezialisten den damals bekanntesten amerikanischen Hörgeräte-Kunden. US-Präsident Ronald Reagan, so die Begründung, habe mit seinem persönlichen Beispiel »eine weltweite Botschaft der Hoffnung und Ermutigung an Millionen Menschen mit Hörproblemen übermittelt«.
Solche PR-Gags heben möglicherweise den Umsatz. Der Ärger mit einem lästigen Wettbewerber wie Hagen von Wedel bleibt. Er ist inzwischen ganz sicher, mit seinen Kampfpreisen die behäbige Branche aushebeln zu können. Die Verlierer kennt er schon: »Wenn sich unser System durchsetzt, müssen viele kleine Akustiker-Betriebe sterben.« o