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PHARMA-INDUSTRIE Beherzt zugegriffen

Auch Bonn konnte die Pharmakonzerne nicht zur Preisdisziplin zwingen. Gerade bei ihren Umsatzrennern setzten die Firmen zweistellige Teuerungsraten durch.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Feierlich gelobten die Verbandsfunktionare der deutschen Pharma-Industrie, sie wurden »auch 1978 Preisdisziplin wahren«. Dank dieser Zurückhaltung, lobten sich die Lobbyisten selber, seien Arzneimittel »zum Jahresbeginn um durchschnittlich zwei Prozent billiger« geworden.

Davon kann keine Rede sein. Trotz aller Bonner Bemühungen zur Dämpfung des Arzneikostenanstiegs langten die Produzenten von Pillen und Pulvern, Salben und Säften ungeniert zu.

Mit ihrer zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Preisspannen-Verordnung hatten die sozialliberalen Gesundheitspolitiker den Apothekern knapp zehn Prozent ihrer Marge gestrichen. Den bis zur Jahreswende frei kalkulierenden Pharma-Grossisten wurden genau fixierte Höchstzuschläge diktiert. Und auch die gesetzlichen Krankenkassen müssen sieh seither mit einem Rabatt der Herstellerfirmen von nur noch fünf anstatt sieben Prozent begnügen.

Die Pharma-Industrie dagegen kam ohne bindende Vorschriften davon -- sicher auch ein Verdienst ihres Verbands-Hauptgeschäftsführers Hans-Otto Scholl, der im Nebenberuf dem FDP-Landesverband von Rheinland-Pfalz vorsitzt und sich der Freundschaft des früheren Bonner FDP-Wirtschaftsministers Hans Friderichs rühmen kann.

Um wenigstens als loyale Mitkämpfer an der Preisfront aufzufallen, vermieden die wichtigsten Konzerne Preisaufschläge zur Jahreswende: Entweder schickten sie ihre neuen Konditionen-Listen schon im Herbst an Grossisten und Apotheker, oder sie erhöhten erst nach einer Schamfrist von mehreren Wochen nach Jahresultimo.

Mitte Oktober drückte etwa die zum BASF-Konzern gehörende Pharma-Firma Knoll für einen Teil ihrer Präparate Preiserhöhungen durch, einen Monat später folgten Sandoz und Nattermann. Zum ersten Februar schlugen Bayer, Hoechst und Schering auf, am 1. April Boehringer in Ingelheim und Anfang dieses Monats Thomae im schwäbischen Biberach.

Dieser Zeitplan half den Marktstrategen der Pillen-Produzenten, bislang das wirkliche Ausmaß ihrer Erhöhungen zu kaschieren. Nur aus privaten Hochrechnungen lassen sich einstweilen die Teuerungsraten ablesen. So errechnete ein rheinischer Grossist mit einem Kundenstamm von über 3000 Apotheken für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis Ende März dieses Jahres Preiserhöhungen quer durch sein Sortiment von 6,48 Prozent.

Selbst diese Zahl ist zu niedrig gegriffen. Denn dieser Durchschnittswert berücksichtigt -- ungewichtet -- auch die Ladenhüter, deren meist nur geringe Preiskorrekturen die Steigerungsrate künstlich niedrig halten. Die Zahl dieser Präparate ist keineswegs gering: Die meisten Apotheken schlagen die Hälfte ihrer Präparate allenfalls einmal im Jahr um.

Um so entschlossener räumen die Arznei-Konzerne bei ihren erprobten Umsatzrennern ab. Für die aus insgesamt 42 984 Artikeln herausgefilterten 3745 Schnelldreher (Umsatzanteil: gut 65 Prozent) errechnete der rheinische Pharma-Großhändler ein Preis-Plus von stolzen 14,63 Prozent.

Ein ebenfalls auf Anonymität bedachter Grossist mit 1500 Kunden und einem Lager von 48 500 Positionen kam zu ähnlichen Ergebnissen: Für die mehr als 500 mal täglich abgerufenen 4700 Pharma-Bestseller ermittelte er Preiserhöhungen während der neun Monate von Anfang Juli 1977 bis Ende März 1978 von 14,9 Prozent. Der Preis seiner 37 700 müderen Marken erhöhte sich dagegen um bescheidene 2,3 Prozent.

Besonders hart gingen die Pharma-Manager bei ihren Marken-Klassikern ran. So erhöhte Bayer den Apotheken-Abgabepreis für sein zusammen mit Schering hergestelltes Sulfonamid Durenat in neun Monaten um 15 Prozent auf 8,35 Mark pro Zwanziger-Packung. Das Bayer-Schmerzpräparat Dolviran stieg pro Zehner-Röhrchen sogar um 18 Prozent auf 1,67. Und das von den Leverkusenern bereits 1899 entwickelte Allerweltsmittel Aspirin wurde in der Zwanziger-Packung sogar um fast 19 Prozent teurer.

Auch die anderen waren nicht zimperlich: Der Preis für die Schmerztropfen Novalgin von Hoechst stieg um neun Prozent. Boehringer Mannheim verteuerte das Herzpräparat Lanicor um zehn Prozent, Sandoz die Kopfschmerz-Dragees Optalidon um elf Prozent. 15 Prozent mehr stellt Boehringer Ingelheim für sein Asthma-Medikament Aludrin in Rechnung.

Beherzt griffen die Pharma-Firmen auch bei Antibaby-Pillen zu, allen voran Marktführer Schering. Das Präparat Eugynon (dreimal 21 Stück) kostet 7.5 Prozent mehr als im Vorjahr, Neogynon stieg um elf, Microgynon um 13 Prozent, Sequilar wurde gar um 16 Prozent geliftet, Lyndiol von Organon und Yermonil von Ciba-Geigy kosten 14 Prozent mehr.

Selbst die Obersten des Pharma-Verbandes machten bei der Hochpreispolitik wacker mit. So hob Rolf Lappe, Chef der Kölner Firma Nattermann und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, seine umsatzstärksten Produkte seit Verabschiedung der Preisdämpfungs-Verordnung durchweg um zweistellige Prozent-Aufschläge an.

Trotz des Spannen-Schnitts für Apotheker schlugen die Preiserhöhungen der Industrie inzwischen voll auf die Verbraucherpreise durch. So kostet Bayers Dolviran derzeit 4,97 Mark (pro 20 Stück) gegenüber 4.45 Mark vor Jahresultimo, für das Magen-Mittel Gelusil-Lac stieg der Preis von 11,45 auf 12,47 Mark an.

Nervös klagte die Bundesapothekerkammer unlängst, »einige Durchstecher« beeinträchtigten die Ruhe an der Preisfront.

Die Initiatoren der Bonner Kostendämpfungs-Aktion sind weniger vorsichtig. »Wir haben nicht beabsichtigt«, beschwerte sich der SPD-Abgeordnete Uwe Jens bei Wirtschafts-Staatssekretär Martin Grüner, »die Apotheker zu belasten, damit die Arzneimittel-Hersteller sich auf Kosten dieser schwächeren Gruppe schadlos halten.«

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