WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT Bekenntnisse eines Killers
Das Haus liegt versteckt an einem künstlichen Kanal unter Palmen undMangroven. Es ist ein altes Haus, einstöckig, hölzern, hellgelbgestrichen, und als es in den fünfziger Jahren gebaut wurde, war essicher etwas Besonderes. Jetzt sticht es seltsam heraus unter all denumliegenden neuen Luxusvillen mit den großen Geländewagen in derEinfahrt. Palm Beach, Florida, ist eine Gegend für Neureiche.
Vor der Tür steht John Perkins, 60, und auch seine großen Zeitenliegen schon lange hinter ihm. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagt er undführt hinein in ein Wohnzimmer, das kaum etwas verrät über die 15Jahre, die sein Besitzer zwischen Ecuador und Saudi-Arabien, Panama undSüdostasien verbrachte. Nur auf dem Marmorkamin stehen zwei buntbemaltehölzerne Puppen aus Indonesien. »Die stammen noch aus meiner Lehrzeit«,sagt Perkins, »meiner Lehrzeit als Wirtschaftskiller.«
Es ist eine seltsame, eine fast unglaubliche Geschichte, die derschlaksige Mann mit leiser, aber eindinglicher Stimme erzählt. Von 1971bis 1981 sei er im Auftrag der USA als verdeckter »Economic Hit Man«unterwegs gewesen. Sein erklärtes Ziel: »Mit viel Geld Regierungen vonDritte-Welt-Ländern in ein Netzwerk aus US-Interessen hineinzuziehenund sie in eine finanzielle Abhängigkeit zu befördern, die sie für dieUSA wirtschaftlich und politisch steuerbar macht.« Kurz:Volkswirtschaften zu ruinieren.
Perkins hat über diese Zeit ein Buch geschrieben: »Bekenntnisseeines Economic Hit Man«. Nur wenige Wochen nach Erscheinen imvergangenen November kletterte es bis auf Platz neun der »New YorkTimes«-Bestsellerliste - fast ausschließlich über Mundpropaganda.Zeitweilig führte es sogar die Amazon-Verkaufsliste an.
Vergangene Woche erschien das Buch auch in Deutschland,Veröffentlichungen in etlichen anderen Ländern, von Japan bis Italien,folgen in den nächsten Wochen.
Perkins ist überrascht von seinem Erfolg. Er hätte sich eigentlich»vor allem das schlechte Gewissen von der Seele schreiben« wollen. Dennrevolutionär sei seine Geschichte eigentlich gar nicht.
Vielleicht liegt es am Titel: »Economic Hit Man«, Wirtschaftskiller,das klingt doch, als hätte es sich der Verlags-PR-Chef mit Schaum vordem Mund ausgedacht. Nein, nein, wehrt Perkins ab, der Begriff seitatsächlich real, schon 1951 geprägt, als die CIA einen ihrer Agentenauf den Sturz des iranischen Premiers angesetzt hatte, nachdem der dieÖlindustrie verstaatlicht hatte. Natürlich sei es keine offizielleBezeichnung, eher ironisch gemeint, aber in eingeweihten Kreisentatsächlich gebräuchlich.
Und wie, bitte schön, verübt man einen Anschlag auf eineVolkswirtschaft? »Vor allem mit Großkrediten«, sagt Perkins. SeineAufgabe sei es gewesen, ausgewählten Ländern völlig überzogeneMilliardenkredite für neue Infrastruktur zu vermitteln, die aberfinanziell gar nicht zu verkraften waren: »Wasserkraftwerke in Ecuador,Elektrifizierungsprojekte in Indonesien, Flughäfen in Mittelamerika«.Er habe vor
allem für die traditionell US-geführte Weltbank und dieUS-Entwicklungshilfebehörde manipulierte Finanzpläne aufgestellt, umdie Kredite zu rechtfertigen: »Es ist gar nicht schwer, einenvermeintlich immensen Anstieg des Bruttosozialprodukts vorzugaukeln,wenn man mit den Daten geschickt trickst.«
Die Milliardenkredite seien dann ausschließlich in Aufträge fürUS-Großkonzerne wie Bechtel und Halliburton geflossen. Oder an MAIN,eine internationale Consultingfirma, für die Perkins als Chefvolkswirtarbeitete und deren Hauptkunde die Weltbank war.
»Letztlich verlässt das meiste Geld die USA nie«, sagt er mit deremotionslosen Stimme eines Vortragenden, als hielte er eine Vorlesungvor unwissenden Erstsemestlern. »Es wird bloß von den Banken inWashington zu den Konzernzentralen in Houston, New York oder SanFrancisco umgeleitet.«
Findet er das verwerflich, hat er deshalb das Buch geschrieben?Nein, sagt Perkins, ihm gehe es darum, den Vorhang zu lüften, einenBlick hinter die Kulissen amerikanischer Politik zu gestatten. Denn waswie Entwicklungshilfe erscheine - all die Milliarden, die instrategisch relevante Regionen gepumpt wurden -, sei bloß bessergetarnte Machtpolitik mit nur einem Ziel: politische undwirtschaftliche Abhängigkeit von den USA herzustellen.
»Wenn wir unsere Arbeit richtig gemacht hatten, wurde dasEmpfängerland nach ein paar Jahren von der Schuldenlast erdrückt undmusste die Zahlungen sowohl an die amerikanischen Förderbanken als auchdie US-Konzerne einstellen«, sagt Perkins. Dann seien die eigentlichenForderungen gekommen: »Kontrolle über Uno-Voten, Installation vonMilitärbasen, Zugang zu Ressourcen wie Öl oder den Panamakanal.«
Doch was sollte die Motivation der Regierungen von Panama oderEcuador und all der anderen von Perkins erwähnten Beispiele sein, daseigene Land zu ruinieren? Auch für diese Motivation war Perkins nacheigener Aussage zuständig: »Bestechung, persönliche Bereicherung,Wahlmanipulation«.
Das klingt nach Verschwörungstheorie. Doch dagegen wehrt sichPerkins heftig: »In diesen Topf lasse ich mich nicht werfen.« ZumalVerschwörungen ja stets den Anstrich des Illegalen hätten. »Aber genaudas war doch das Perfide meiner Arbeit: Offiziell war alles höchstlegal.«
Deswegen sei er auch »nie offiziell« US-Agent gewesen. Zwar habe er1968 die Aufnahmeprüfung für den amerikanischen Geheimdienst NSAbestanden. Allerdings warb ihn kurz vor Dienstantritt dieUnternehmensberatung MAIN ab, die heute im Mischkonzern Parsonsaufgegangen ist.
Für Perkins ist aber klar: »Mir wurde explizit bedeutet, dass ichnur vordergründig als Unternehmensberater, in Wirklichkeit aber alsNSA-Instrument arbeiten würde.« Entsprechend hätten ihn Drohungen undBestechungen auch bis heute davon abgehalten, ein Enthüllungsbuch zuschreiben, erklärt Perkins die 20-jährige Lücke zwischen Buch undseinem letzten Einsatz.
Andererseits sind die Zeiten auch äußerst günstig für Bücher, diesich kritisch mit dem amerikanischen Auftreten in der Welt beschäftigen- auch in den USA. Der Erfolg von Michael Moore hat in den vergangenenMonaten bereits mehr als einen Nachahmer auf den Plan gerufen. Und auchPerkins lässt sich immer wieder über »den imperialen Antrieb der USA«aus. Bloß will er damit auf keinen Fall »unamerikanisch« wirken. Erwolle vielmehr, sagt er, »eine Fehlentwicklung aufzeigen, an der ichselbst mitgewirkt habe«.
Das Medieninteresse an seinen Erzählungen ist jedenfalls gewaltig:Gerade war ein Kamerateam des ORF da, später stehen noch Interviews mitRadiostationen in Brasilien und Malaysia an. Die wichtigenamerikanischen Medien dagegen ignorieren ihn trotz desVerkaufserfolgs.
Perkins wirkt keineswegs wie ein durchgeknallterVerschwörungstheoretiker oder linkslastiger Agitator - sondern ehererschreckend harmlos. Und gutsituiert ist er offenbar, dankhochdotierter Beraterjobs bei Energiekonzernen. Im Wohnzimmer stehencremefarbene Ledersofas auf poliertem Marmorfußboden, der Blick fälltauf den kleinen Pool und die Yachten im Kanal dahinter.
Tatsächlich klingen seine »Bekenntnisse« über die Verquickungenamerikanischer Politik und Wirtschaft doch nicht so unglaublich,erinnert man sich an manche inzwischen gutdokumentierte Geschichte ausder jüngeren Vergangenheit.
Da ist etwa der höchst bizarre, aber fast vergessene Fall der UnitedFruit Company, heute bekannt als »Chiquita": Als 1953 der Präsident vonGuatemala einen Teil der riesigen Plantagen des US-Konzerns in demlateinamerikanischen Land enteignete und an Kleinbauern verteilte,wurde er wenig später mit CIA-Unterstützung aus dem Amt geputscht, undamerikanische Piloten bombardierten die Hauptstadt.
Die Umstände erinnerten an einen schlechten Hollywood-Thriller: Derdamalige CIA-Direktor Allen Dulles und sein Bruder, Außenminister JohnFoster Dulles, waren die Firmenanwälte, der US-Botschafter bei denVereinten Nationen, Henry Cabot Lodge, warUnited-Fruit-Großaktionär.
Ähnlich dubios und dokumentiert sind die Verwicklungen der heutigenBush-Regierung mit der Ölindustrie und dem Großkonzern Halliburton, dereine führende Rolle beim Aufbau des Irak spielt.
Und natürlich kommt Perkins die von US-Präsident George W. Bushgerade vorletzte Woche bekanntgegebene Nominierung von Paul Wolfowitzals neuem Chef der Weltbank gerade recht: Der stellvertretendeVerteidigungsminister gilt als erzkonservativer Falke und Expansionist,seine Ernennung löste vor allem bei Entwicklungshilfeorganisationenheftige Proteste aus.
Doch was kann Perkins von seinen eigenen Erlebnissen konkretbelegen? Welche Beweise gibt es, dass »Wirtschaftskiller« auch heutenoch etwa in Venezuela im Auftrag der USA unterwegs sind, wie erbehauptet?
Perkins arbeitet nicht mit Dokumenten, und auch detaillierte Zahlenaus einzelnen Projekten nennt er nicht. Das Buch sei nicht fürWirtschaftsfachleute geschrieben, sagt er, sondern für jedermann.Allerdings, sagt er dann, sei ihm bewusst, dass die Frage nach Belegenund detaillierten Daten beantwortet werden müsse: »Es ist wohl Zeit fürein zweites Buch.« THOMAS SCHULZ