Benzinpreis: »Mysterium der Marktwirtschaft«
Das Ritual an den Tankstellen war schon so bekannt, daß kaum noch ein Autofahrer Notiz davon nahm. Alle paar Wochen hob mal Aral, mal BP, mal Esso, Shell oder Texaco den Benzinpreis um einige Pfennige an. Die Konkurrenten zogen kurz darauf nach. Dann, ein paar Tage später, nahmen die Mineralölgesellschaften ihre Preise allmählich wieder zurück.
In den ersten zwei Monaten dieses Jahres ging dieses Spiel, das 1988 achtzehnmal gelaufen war, zunächst so weiter. Nach einem kräftigen Preissprung zu Beginn des Jahres, den Bonn durch eine höhere Besteuerung verursacht hatte, verpufften die Preisvorstöße der Konzerne wie gewohnt.
Doch dann war es plötzlich aus mit dem Auf und Ab. In den vergangenen sieben Wochen gab es für den Benzinpreis nur noch eine Richtung: aufwärts. Seit Anfang März setzten die Ölgesellschaften den Benzinpreis etwa im Wochenrhythmus höher, ohne die sonst üblichen Rückschläge hinnehmen zu müssen. Der Liter Sprit ist nun 16 Pfennig teurer als Ende Februar.
In der vergangenen Woche gerieten schließlich die Ölkonzerne unter Beschuß wie seit den Ölpreisschocks der siebziger Jahre nicht mehr. Durch eine weitere Preiserhöhung zu Beginn der Woche hatten die Unternehmen das Tempo der Benzinteuerung so verschärft, daß Deutschlands Autofahrer und ihre Lobbyisten wieder einmal böse Machenschaften der Konzerne wittern.
Die Ölgesellschaften, kritisierte Götz Weich vom ADAC in München, würden den Markt durch »abgestimmte Ver haltensweisen« manipulieren. Thomas Schlier von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände beklagte »den Übermut der Konzerne«.
Finstere Mächte sah auch TV-Chefredakteur Ulrich Kienzle von Radio Bremen am Werk. »Der Benzinpreis war, ist und bleibt ökonomisch unerklärbar, sozusagen das Mysterium der Marktwirtschaft«, befand der als Ölexperte bislang nicht hervorgetretene Fernseh-Mann in einem »Tagesthemen«-Kommentar.
Dabei geht es auf dem deutschen Benzinmarkt keineswegs mysteriös zu. Auch dieser Markt funktioniert nach dem schlichten Grundsatz: Holen, was zu holen ist. Und es gibt Wettbewerb.
Neben den Großgesellschaften Aral, Texaco, Esso, Shell und BP mit insgesamt über 9500 Tankstellen, die ein gemeinsames Interesse an möglichst hohen Benzinpreisen haben, gibt es eine kleine, aber sehr schlagkräftige Gruppe von lokalen oder regionalen Spritverkäufern. Sie verderben den Großen immer wieder das Geschäft.
Zu dieser Gruppe gehören Verbrauchermarkt-Ketten wie Massa oder Ratio, Möbelhäuser und andere große Einzelhändler, die das Tankstellen-Geschäft nur nebenher betreiben. Diese Unternehmen wollen nicht am Benzin selbst verdienen. Sie bieten den Sprit möglichst billig an, um Kunden für ihr eigentliches Geschäft zu ködern.
Mit ihren Lockangeboten zwingen die Billig-Anbieter die Betreiber von Nachbar-Tankstellen, ähnlich attraktive Preise zu machen. Das wiederum wirkt sich auf das Geschäft weiterer Stationen aus. Auch diese müssen ihre Preise senken.
So entstehen rund um die Billigst-Stationen regionale Trichter, in deren Zentrum die Spritpreise bisweilen bis zu 15 Pfenig unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Die tiefsten Preis-Krater sind stets an Rhein und Ruhr, wo sich die Verbrauchermärkte meist günstig mit Import-Benzin eindecken können.
Preis-Buckel dagegen sind typisch für Berlin und Hamburg. Dort müssen die Autofahrer regelmäßig Spitzenpreise fürs Benzin bezahlen, weil keine preisaggressiven Supermärkte die Kreise der Großen stören.
Freie Tankstellen und kleinere Marken-Anbieter wie Agip, Total oder Fina sind nur Statisten auf dem deutschen Markt. Sie sind zu schwach, um Gegenspieler der Konzerne sein zu können.
Eine Sonderrolle spielt die Gesellschaft Conoco mit ihren über 400 »Jet«-Tankstellen. Sie ist die deutsche Tochter eines US-Konzerns, gibt sich aber den Anschein eines freien Anbieters.
Wie die Freien ist Conoco darauf bedacht, stets einen Pfennig billiger als Aral und die vier anderen Großen zu sein. Conoco-Kunden sind deshalb meist ebenso preisbewußt wie die Kunden freier Stationen und die Käufer von Supermarkt-Benzin. Sie springen sofort ab, wenn der Preisabstand zwischen benachbarten Supermarkt- und »Jet«-Tankstellen einmal zu groß wird.
Neben den Freien senkt daher die Conoco meist zuerst den Preis, wenn die Supermärkte bei einer allgemeinen Benzinpreisrunde nicht mitziehen. Das wiederum nehmen die großen fünf des deutschen Benzinmarkts nicht kampflos hin. Während sie über einen geringfügigen Verlust von Marktanteilen an Freie und Verbrauchermärkte noch hinwegsehen würden, reagieren sie auf Preissenkungen der Conoco gleich mit Gegenschlägen: Der Störenfried aus den eigenen Konzern-Reihen soll hierzulande keinesfalls größer werden.
Dank dieser Rangeleien auf dem deutschen Benzinmarkt scheiterten denn auch alle Versuche der Großgesellschaften, in den Jahren 1987/88 nachhaltige Preiserhöhungen durchzudrücken. Immerhin aber konnten die Konzerne, die in der ersten Hälfte der achtziger Jahre wegen riesiger Überkapazitäten Milliarden-Verluste im Raffineriegeschäft erlitten hatten, ihre Lage in dieser Zeit durchaus verbessern.
Vom Sommer 1987 bis zum Spätherbst 1988 fielen nämlich die Rohölpreise für deutsche Importeure um etwa 35 Prozent. Die Benzinpreise dagegen blieben in etwa konstant.
Die Rohölpreise zogen wieder an, als sich das lange Zeit zerstrittene Ölexport-Kartell Opec im vergangenen November auf einen neuen Pakt zur Beschränkung der Fördermengen einigte. Die Raffineriegesellschaften müssen ihr Rohöl nun um etwa 50 Prozent teurer einkaufen als in der Zeit unmittelbar vor dem Kartell-Beschluß.
Auf die Preisnotierungen an deutschen Tankstellen schlugen die höheren Beschaffungskosten zunächst nicht durch. Seit Anfang März aber schossen die Benzinpreise (ohne Steueranteil) etwa doppelt so schnell in die Höhe wie die Rohölpreise - und das nicht nur an den deutschen Stationen, sondern auch auf dem internationalen Markt.
Nur durch den gewaltigen Preisschub auf dem Rotterdamer Markt, auf dem Raffineure aus ganz Europa und Nahost ihre Ware feilhalten, war es den Riesen auf dem deutschen Markt nämlich möglich, das Auf und Ab der Preise zu beenden. Da auch die Verbrauchermärkte steigende Benzineinstandspreise nicht auf Dauer ignorieren können, zogen diese bei den jüngsten Preiserhöhungen weitgehend mit.
Die Benzinpreisexplosion zu Beginn des Frühjahrs wurde vor allem durch das extrem milde Wetter in den Wintermonaten gezündet. Im Januar und Februar wurde weit mehr Auto gefahren, als das in dieser Jahreszeit üblich ist.
Gleichzeitig brach der Heizölmarkt fast völlig zusammen. Die Verkäufe gingen im ersten Quartal um 40 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahres-Zeitraum zurück. Die Heizölpreise nahmen trotz der stark gestiegenen Rohöl-Beschaffungskosten nur wenig zu.
Um nicht auf allzuviel Heizöl sitzenzubleiben, drosselten die Raffinerien ihre Produktion. Weil Benzin ein Koppelprodukt von Heizöl ist, sank damit auch das Angebot von Sprit. Die Ölgesellschaften verfügten daher gegen Winterende nicht über die Benzinbestände, die sie sonst in der kalten Jahreszeit aufbauen.
Überdies führten die Unternehmen in der Bundesrepublik das hochoktanige bleifreie »Super plus«-Benzin ein. Franzosen und Italiener senkten auf ihren Märkten den höchstzulässigen Bleigehalt im verbleiten Sprit ab. Dadurch wurden vor allem hochwertige, klopffeste Benzinkomponenten knapp, die nun das giftige Schwermetall im Sprit ersetzen.
In Irland griff sogar die Regierung ein, um die Autofahrer vor weiteren Spritpreis-Wellen zu schützen. Sie fror einfach Ende März den Benzinpreis ein.
Doch so leicht ließ sich der Inselstaat nicht gegen die Teuerung auf dem internationalen Markt abschotten. Vergangene Woche gaben Esso, Shell, Texaco und Conoco bekannt, daß sie vorerst kein Benzin mehr nach Irland liefern. Gibt die Regierung in diesem Kampf nicht nach, müssen Irlands Autofahrer wohl bald zu Fuß gehen.