Berger-Chef Schwenker über Reformen "Die Öffentlichkeit übersieht die Chancen"

Burkhard Schwenker, 48, berät als Chef von Roland Berger Unternehmen und Politiker, die schmerzhafte Veränderungen durchsetzen – er hat in letzten Jahren aber auch die eigene Firma umgekrempelt. Ein Gespräch über Reformen und die Widerstände, die ihnen entgegenstehen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schwenker, die Große Koalition hat ihre ersten Reformen hinter sich gebracht. Gerade über die geplante Gesundheitsreform wird allerorten geschimpft. Sagen Sie - nur zur Abwechslung - doch mal etwas Nettes darüber.

Schwenker: Einige Elemente, etwa die neuen Abrechnungsformen für Ärzte, gehen in die richtige Richtung. Meine Einschätzung der Gesundheitsreform ist deshalb in der Tat nicht so negativ. Das ist aber eine Frage der Erwartungshaltung. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass sie der große Wurf wird.

SPIEGEL ONLINE: Weil Sie fürchten, dass Berlin nicht den Mut hat, die Interessengruppen im Bereich Gesundheit zu vergrätzen?

Schwenker: Eher, weil mich gestört hat, dass über das Thema stets unter dem Aspekt der Kostendämpfung gesprochen wird. Damit verkennt man, dass der Gesundheitsmarkt als einer der wenigen in Deutschland verlässliches Potenzial für Wachstum und mehr Beschäftigung bietet.

SPIEGEL ONLINE: Das mag langfristig stimmen - aber die Kostenprobleme sind so akut, dass die Politik jetzt rasch eingreifen musste.

Schwenker: Nur müsste man bei einer echten Reform noch eine Ebene höher ansetzen und den Gedanken des Wettbewerbs stärken. Qualität und Kosten von Leistungen müssen transparent sein. Das fängt bei Apothekern und Ärzten an und geht bei den Angeboten der Kassen und der Kliniken weiter.

SPIEGEL ONLINE: Die Idee "mehr Konkurrenz im Gesundheitswesen" ist nicht eben taufrisch, die Politik predigt das seit Jahren.

Schwenker: Es passiert aber wenig. Mir scheint, dass die großen Parteien den Wettbewerb im Gesundheitswesen nicht ernsthaft wollen. Sie sind offenbar nicht davon überzeugt, dass er Innovationen vorantreibt und Wachstum bringt.

SPIEGEL ONLINE: Mal allgemeiner gefragt - wie beurteilen Sie die Reformbilanz der Koalition bisher?

Schwenker: Was die Entwicklung Deutschlands betrifft, bin ich Optimist - eigentlich. Leider sehen wir, dass Probleme wie etwa die Entbürokratisierung auch von dieser Regierung bislang weiter vertagt werden. Die Mutter aller Reformen ist in meinen Augen übrigens die Föderalismusreform - nur sie kann einen echten Mentalitätswandel erzeugen.

SPIEGEL ONLINE: Eine Föderalismusreform hat die Regierung ja gerade verabschiedet.

Schwenker: Es wäre aber ein Fehler, sich darauf auszuruhen. Die Regierung sollte nun mit Hochdruck die Reform "Föderalismus II" angehen - und den eigentlichen Knackpunkt: Wie viel Wettbewerb zwischen den Ländern wollen wir? Bisher hängen wir der Utopie gleicher Lebensverhältnisse überall in Deutschland nach. Drastisch gesagt: Langfristig bringt uns das um.

SPIEGEL ONLINE: Sie fordern, dass die Bundesländer untereinander konkurrieren wie Unternehmen - und dass es zwischen ihnen gar keinen Finanzausgleich mehr gibt?

Schwenker: Das ist grundsätzlich der richtige Weg, davon bin ich zutiefst überzeugt.

SPIEGEL ONLINE: Sie würden keine Ausnahmen machen?

Schwenker: Sicher, ein paar zentrale Aufgaben gibt es, die allen Bundesländern nutzen. So gebührt Berlin als Hauptstadt besondere Förderung. Da muss jedes Land nach seiner Leistungskraft einen Beitrag leisten. Aber wenn im Notfall immer andere einspringen - dann fehlt in den Ländern der Anreiz, einen neuen Politikstil zu entwickeln, die Haushalte zu sanieren und in Ordnung zu halten. Ohne Druck gibt es oft keine substanziellen Veränderungen - leider.

SPIEGEL ONLINE: Ohne Finanztransfers würden gerade strukturschwache Gegenden leiden.

Schwenker: Wir müssen uns damit abfinden, dass es Regionen gibt, in denen künftig weniger stattfindet. In denen Einzelhandel, Postversorgung, Winterdienste schließlich zurückgeführt werden. Die Politik von Matthias Platzeck in Brandenburg weist hier in die richtige Richtung. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels sollten wir unsere Mittel gezielt in die Regionen investieren, die Potenzial haben. Es ist doch kaum jemand gezwungen, da zu bleiben, wo er lebt. Den meisten steht es frei, sich ein neues Umfeld zu suchen.

SPIEGEL ONLINE: Mal angenommen, Angela Merkel riefe Sie an und bäte Sie, diese Ideen einzubringen und einer neu zu schaffenden Reformkommission beizutreten. Was würden Sie ihr sagen?

Schwenker: Dass wir ein solches Gremium gerne mit unseren Ideen unterstützen. Einen eigenen Sitz darin würden wir hingegen nicht beanspruchen.

SPIEGEL ONLINE: Roland Berger als Unternehmen war bei früheren Bemühungen um politische Reformen aber direkt involviert.

Schwenker: Stichwort Hartz-Kommission, da war einer unserer Partner mit dabei. Ich glaube aber, dass wir unterm Strich mehr bewegen können, wenn wir Ideen mit dem objektiven Blick des Außenstehenden vorstellen. Ein Sitz in einer Kommission könnte so gesehen unsere Neutralität gefährden.

SPIEGEL ONLINE: Ein Wachstumsgeschäft ist die Politikberatung für Sie nicht, trotz des hohen Reformdrucks.

Schwenker: Darf ich Sie korrigieren? Wir reden nicht von Politikberatung, es sind ja nicht Politiker oder Parteien im Wahlkampf, die unsere Kunden sind. Wir beraten den Bereich Public Services. Diese Sparte bringt rund sechs Prozent unseres Umsatzes, ein erkleckliches Volumen ....

SPIEGEL ONLINE: ... das aber seit Jahren kaum wächst, wenn man den Anteil an Ihren Umsätzen ansieht. Liegt das daran, dass zum Beispiel Ministerien zögern, bei Reformen Berater zu engagieren?

Teil zwei: "Ein ehrlicher Manager müsste eigentlich immer sagen: Ich weiß auch nicht, was in fünf Jahren sein wird."

Schwenker: Die latente und leider oft unsachlich geführte Diskussion dreht sich ja immer um die Frage: Bringt diese Art der Beratung überhaupt etwas? Ich verweise gerne auf die Tatsache, dass die öffentliche Hand in den USA und Großbritannien deutlich mehr Beratung in Anspruch nimmt als die in Deutschland. Und beide Länder wachsen dynamischer als die deutsche Volkswirtschaft.

SPIEGEL ONLINE: Sie werden nur schwer nachweisen können, dass es da eine Kausalität gibt.

Schwenker: Der Vergleich mag wissenschaftlich nicht valide sein. (lacht) Aber ich bin natürlich davon überzeugt, dass das Einspeisen guter Ideen und der Wissenstransfer aus der Wirtschaft Veränderungen voranbringen.

SPIEGEL ONLINE: Sind Konzernchefs in Deutschland reformfähiger als die Politiker?

Schwenker: Große Konzerne und öffentliche Verwaltungen leiden oft unter überzogener Bürokratie, da gibt es Parallelen. Aber Unternehmen erfahren täglich, wie sie im Wettbewerb dastehen. Fehlentscheidungen wirken sich schneller aus. Deswegen sind Konzerne Regierungen beim Thema Veränderungen und Anpassungen klar voraus - und der Mittelstand ist es im Übrigen auch. Denken Sie etwa an den Rückgang der Konkursraten.

SPIEGEL ONLINE: Kann die Politik beim Thema Reform also von den Unternehmen lernen?

Schwenker: Ja, etwa bei der Frage, wie man eine wirkliche Transformation komplexer Systeme bewältigt. Politiker arbeiten häufiger punktuell, während Unternehmer den Anspruch verfolgen müssen, ein gesamtes Unternehmen oder zumindest einen Geschäftsbereich flächendeckend zu verändern. Manager sind auch eher bereit, ganze Aufgabenbereiche in Frage zu stellen und nötigenfalls abzugeben, wenn sie keine Wertschöpfung mehr erlauben.

SPIEGEL ONLINE: Top-Manager scheinen unter Reform aber oft vor allem das Sparen zu verstehen - ohne wirklich innovative Ansätze für Neuerungen.

Schwenker: Objektiv gesehen stimmt das nicht, viele Unternehmen haben wieder auf Wachstum umgeschaltet. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Im vergangenen Jahr gab es eine Umfrage, wonach nur 13 Prozent der Deutschen Managern vertrauen. Ein beschämendes Ergebnis.

SPIEGEL ONLINE: Das ist aber mehr als eine Wahrnehmungsfrage - die Verlagerung von Jobs an ausländische Standorte ist auch bei wachsenden Konzernen nachprüfbare Realität.

Schwenker: Die Verlagerung ist aber oft auch eine Chance, neue Absatzmärkte zu erschließen. Insofern ist das durchaus eine Wahrnehmungsfrage, ähnlich wie bei der Gesundheitsreform: Die Öffentlichkeit - und eben auch die Presse - betonen meist das Schlechte. Sie übersehen die wachsenden Chancen außerhalb des Heimatmarktes Deutschland.

SPIEGEL ONLINE: Vielleicht liegt das daran, dass Manager ihren Beschäftigten nötige Veränderungen nicht richtig erklären. Wie sollten sie das tun, ohne Angst zu wecken?

Schwenker: Offen und ehrlich. In einer Kultur des Misstrauens gelingt keine Transformation. Früher waren die Konzerne oft geneigt, taktisch zu kommunizieren, die Wahrheit scheibchenweise zu enthüllen, weil das kurzfristig leichter ist. Statt die tatsächliche, höhere Zahl zu nennen, sagt man: Es geht um den Abbau von einigen hundert Arbeitplätzen. Dann in zwei Jahren wieder, und so weiter. Nach der dritten Restrukturierung haben die Mitarbeiter das Vertrauen verloren. Inzwischen kommunizieren viele Unternehmen mutiger und ehrlicher.

SPIEGEL ONLINE: Aber auch Manager wie VW-Markenchef Wolfgang Bernhard, die eine neue Kultur drastischer Ehrlichkeit verkörpern, spüren oft Unverständnis aus der Belegschaft.

Schwenker: Allianz-Chef Michael Diekmann und die Reaktionen auf ihn sind da ebenfalls ein gutes Beispiel. Mitarbeiter müssen diesen neuen Stil in der Kommunikation erst annehmen lernen, das braucht Zeit. Noch schwieriger wird es, weil die Unternehmenswelt heute noch weniger berechenbar ist als etwa Anfang der neunziger Jahre. Ein ehrlicher Manager müsste eigentlich immer sagen: Ich weiß auch nicht, was in fünf Jahren sein wird. Ich weiß aber, dass wir flexibler werden müssen, um Gelegenheiten schnell ergreifen zu können.

SPIEGEL ONLINE: Das wird viele Mitarbeiter eher verunsichern statt Vertrauen zu schaffen.

Schwenker: Deswegen müssen Unternehmensführung und Belegschaft heute öfter miteinander reden.

SPIEGEL ONLINE: Nur wie, bei Konzernen mit Hunderten, Tausenden Mitarbeitern?

Schwenker: So direkt wir möglich. Zeitschriften und andere interne Medien sind zwar gut und wichtig. Aber jedes Medium nutzt sich auf Dauer etwas ab. Legt ein Konzern ein eigenes TV-Programm auf, finden das alle aufregend. Wenn nach drei Jahren immer noch die Dauerschleife "XY äußert sich zu ..." läuft, nimmt das keiner mehr richtig wahr. Deshalb: mehr persönliche Kommunikation, Belegschaftsversammlungen, mehr Diskussionen in den Abteilungen. Es kann natürlich nicht immer der Vorstandschef dabei sein - alle Führungskräfte müssen versuchen, stärker in den Dialog einzutreten.

SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben auch Erfahrungen als Reformer gemacht - in den vergangenen Jahren haben Sie Roland Berger kräftig umkrempeln müssen ...

Schwenker: Wohl kaum - dafür gab es keinen Grund. Die Firma war immer hoch profitabel. Wir haben aber die Jahre in denen unsere Märkte weniger wuchsen, für Anpassungen genutzt und uns gefragt: Was können wir besser machen? Liefern wir immer optimale Qualität? Haben wir die passenden Partner an Bord?

SPIEGEL ONLINE: ... und im Verlauf der Veränderungen haben Sie sich von immerhin knapp 20 Partnern getrennt.

Schwenker: Das war teils übliche Fluktuation, teils auch gewollte Auslese. Inzwischen liegt die Zahl fast wieder auf dem früheren Stand. Bei unserem Partnertreffen in Moskau am Wochenende haben wir sechs neue Partner gewählt, weitere sechs wurden in die nächste Stufe berufen. Wir rekrutieren auch intensiv extern. Wir profitieren schon davon, jüngst unser Beteiligungsmodell umgestellt zu haben. Neue Partner müssen nun eine deutlich geringere Summe einbringen. Das hat uns attraktiver für junge Talente gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben gesagt, dass für Reformer Ehrlichkeit eminent wichtig ist. In diesem Sinne: Was sind die größten Schwächen Ihres eigenen Unternehmens?

Schwenker: Wir müssen unser Geschäft in Nordamerika weiter ausbauen. Das ist eine strategische Herausforderung, denn die USA sind zwar der weltgrößte Beratermarkt, aber generell nicht der profitabelste. Personell gesehen müssen wir noch mehr Frauen als Mitarbeiterinnen für uns gewinnen.

SPIEGEL ONLINE: Bisher sind unter den gut150 Partnern wie viele Frauen?

Schwenker: Die bittere Wahrheit: Es sind vier. Zum Glück haben wir etliche Projektmanagerinnen und andere weibliche Professionals mit dem Potenzial, Partner zu werden. Wir arbeiten auch massiv am Thema "Familie und Beruf", um noch intensiver auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter zu einzugehen und schon für Hochschulabsolventinnen attraktiver zu werden. Sonst läuft zu viel kreatives Potenzial an uns vorbei.

Das Interview führte Matthias Streitz

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