Berufsvisionär Rifkin Die Bestseller-Maschine
So viel Ehrfurcht ist normalerweise einem Nobelpreisträger vorbehalten. Als Jeremy Rifkin an einem Wintertag vor Ingenieuren und Beamten der kalifornischen Umweltschutzbehörde über den kommenden Siegeszug der Wasserstoff-Wirtschaft reden soll, überschlägt sich Terry Tamminen, Leiter der fortschrittlichsten Umweltbehörde der USA, vor Superlativen. Rifkin, erklärt Tamminen den Zuhörern, sei "der bemerkenswerteste Denker und Futurologe der Welt". Er verlange "obszöne Summen, um einen Vortrag zu halten" - aber heute sei er gratis hier, um seine Visionen unters Ingenieursvolk zu bringen.
Rifkin, im dunklen Anzug mit frisch gestärktem Hemd, Manschettenknöpfen, silbergrauer Krawatte und passendem Einstecktuch, sticht aus der Masse von Beamten heraus wie ein Professor im Hörsaal. "Große wirtschaftliche Revolutionen passieren in der Menschheitsgeschichte immer dann, wenn zwei Dinge zusammenkommen", hebt er an, "ein grundlegender Wandel in der Art und Weise, wie wir unseren Energiehaushalt regeln, und zweitens in der Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, um dieses Energieregime zu organisieren."
Nach diesem bombastischen Einstieg fließt Rifkin der Rest seines Vortrags leicht über die Lippen, denn er kann frei aus seinem Buch "Die H2-Revolution" zitieren. Die Zeit der fossilen Brennstoffe gehe zu Ende, doziert der 60-Jährige mit den rhythmischen Handbewegungen eines Dirigenten, der seine Partitur auswendig kennt. Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen sei "die nächste Welle".
Am Sockel der Supermacht rütteln
Dezentrale, umweltschonende Energie-Erzeugung in jedem Haus und jedem Fahrzeug könnte Armut und Kriege vermeiden - wenn nur die ganze Welt so fortschrittlich denken würde wie die in Sacramento versammelten Umweltbürokraten. "Ingenieure verstehen mehr von Wirtschaftswissenschaft als Ökonomen", schmeichelt Rifkin seinen Zuhörern. "Diese ganze Revolution zieht nur herauf, weil Kalifornien in Führung gegangen ist. Ihr Staat hat einen Fahrplan für die Wasserstoffwirtschaft aufgestellt."
Drei Wochen später verteilt Rifkin im Kanzleramt zu Berlin ähnliche Komplimente, diesmal an Deutschland und die Europäische Union. Sie sieht er an der Vorfront einer weltbewegenden Wende stehen, die nicht nur grüne Energie verspricht, sondern der Welt einen "europäischen Traum" offeriert: universelle Menschenrechte und gewaltfreie Kooperation statt des hemdsärmeligen, militarisierten Individualismus des "American Dream". Auch hier kommt Rifkin ohne Notizen aus, denn er hat diese These gerade in seinem 17. und neuesten Buch "Der Europäische Traum" ausgebreitet.
Rifkin ist eine gut geölte Bestseller-Maschine, die mit einem kleinen Stab von Forschungsassistenten im Schnitt alle zwei Jahre ein neues Sachbuch auf den Markt wirft. Stets legt er den Finger auf ein gerade brisantes Thema: 1995 warnte er vor dem "Ende der Arbeit" in einer automatisierten Welt; 1998 eröffnete die Genom-Entzifferung das "biotechnische Zeitalter". 2002 wandte er sich dem Wasserstoff als Heilsbringer der Zukunft zu, bevor er im vergangenen Jahr am Sockel der letzten verbliebenen Supermacht USA rüttelte.
Rund 300 Bücher liest Rifkin selbst, sagt er, und füllt 40.000 bis 50.000 Karteikarten, bevor er mit dem Schreiben eines Werks beginnt. Der Vordenker des elektronischen Zeitalters schreibt seine Manuskripte auf gelbe Notizblöcke und lässt sich E-Mails von seiner Assistentin ausdrucken, um sie handschriftlich zu beantworten. In seinem Büro sucht man vergebens einen Computer. Das Buchregal neben Rifkins Schreibtisch ist vor allem mit einem gefüllt: seinen eigenen Werken von deutsch bis japanisch. "Ich halte mich nur an das, was ich selbst lese und verstehe."
Woher der Mann die Zeit dazu nimmt, ist ihm selbst ein Rätsel. Meist ist Rifkin auf Reisen. Etwa alle paar Wochen kommt er nach Europa, um Regierungen und Unternehmen in den Ohren zu liegen. Erstere berät er ohne Honorar, Letzteren stellt er Vortragsgebühren in Rechnung, über deren Höhe er schweigt. "Ich bin kein Berater, sondern halte Vorlesungen", reagiert Rifkin ungehalten auf die Frage nach seinen Aufträgen. Zudem veranstaltet Rifkin mehrmals im Jahr Blockseminare für gehobene Manager an der renommierten Wharton School of Business bei Philadelphia - was nicht ganz seinem in Europa verbreiteten Image des Stachels im Fleisch der Multis entspricht.
Teil zwei: Wie eine intellektuelle Domina züchtigt er die Machtelite von der Wall Street bis Davos
Mit seinem Spagat zwischen dem Sozialaktivismus eines Alt-68ers, der Militarismus, genmanipulierte Nahrungsmittel und die Arroganz der Schulmedizin anprangert, und dem hochbezahlten Jetset-Berater, der von den für ebendiese Entwicklungen verantwortlichen Politikern und Unternehmern um Rat gefragt wird, besetzt Rifkin eine lukrative Nische. Wie eine intellektuelle Domina züchtigt er die Machtelite von der Wall Street bis nach Davos, die sich den Kritiker trotzdem gern einlädt.
In seiner Jugend war Rifkin aktives Mitglied der Friedensbewegung, organisierte 1969 einen berühmten Protestmarsch auf das Pentagon und gründete die Citizens Commission, die US-Kriegsverbrechen in Vietnam anprangerte. Rifkin liebte provokante Gesten. 1976 half er bei der Gründung einer People’s Bicentennial Commission. Die Aktivisten verteilten Kopien der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776 an Passanten und mussten sich dafür als "Revoluzzer" beschimpfen lassen.
Es wird mit zunehmendem Alter nicht leichter, ein Subversiver zu sein und von der Basis wie dem Establishment gleichermaßen ernst genommen zu werden. Der US-Konzern Monsanto beschreibt den Publizisten auf einer Webseite als "Technophoben" mit "verrückten Ideen". Der freihändlerisch ausgerichtete "Economist" nennt ihn "theorielastig, prätentiös und langatmig", während ihm der linke "Guardian" eine regelmäßige Kolumne einräumt.
Wissenschaftlicher Autodidakt
Wenn es um wissenschaftliche Fragen geht, ist Rifkin ein Autodidakt. Er studierte internationale Politik und Wirtschaftswissenschaften und wandte sich erst Ende der siebziger Jahre den potentiellen Gefahren der Biotechnologie zu. An großartigen Visionen herrscht in seiner Welt kein Mangel. Sein Buch zur H2-Revolution malt eine heranbrechende Ära aus, in der Wasserstoff die nie versiegende Energiequelle "für alle Ewigkeit" ist.
Ein globales H2-Energie-Web (HEW), analog zum Internet, wäre laut Rifkin die nächste große technische, wirtschaftliche und soziale Revolution. Und der Weg zu einer Energiewirtschaft, die auf der dezentralen Erzeugung von Wasserstoff und somit Strom aus erneuerbaren Quellen beruht, ist bereits in Sicht: "Eine neue Infrastruktur aufzubauen, die eine voll entwickelte H2-Wirtschaft trägt, wäre in weniger als einem Jahrzehnt möglich, wenn der Enthusiasmus und kommerzielle Eifer vorhanden sind."
An solchen Punkten legen Kenner der Materie Einspruch ein. "Rifkin ist ein Generalist, der über die komplizierten, aber kritischen Details elegant hinweggeht: Wie kommt man von den heutigen Energieproblemen zur H2-Wirtschaft? Weil er so viel weglässt, kann man ihm keine faktischen Fehler nachweisen", bemängelt der Energiejournalist Paul Roberts. "Den harten Fragen geht er einfach aus dem Weg, damit am Ende ein Spannungsbogen und romantische Utopien herauskommen - wie bei einem Fernsehdrama über Wasserstoff."
Satzungetüme aus Technik und Philosophie
Ähnlich selektiv verfährt Rifkin bei seinem Lob des europäischen Traums, das genau in die seit dem Irak-Krieg entflammte Supermacht-Debatte passt. "Amerika hat seine Orientierung verloren - Angst und Furcht haben den optimistischen Traum überschattet, dass alles machbar ist. Europäern hingegen muss man Mut machen: Sie haben etwas Außergewöhnliches erreicht - das erste System, das auf globalem Bewusstsein basiert." Aber so ausführlich Rifkin die Vorzüge des europäischen Systems lobt, so kurz handelt er schleppendes Wirtschaftswachstum und die mangelnde Kommerzialisierung innovativer Ideen ab - Gründe dafür, dass Grundlagenforschung oft in Europa angestoßen wird und dann in die USA abwandert.
Was ist der nächste Trend, auf den Rifkin aufspringen will? Er hält inne, blickt auf den Schreibtisch, auf dem das Buch "The God Gene. How Faith is Hardwired into our Genes" von Dean Hamer liegt, und weicht aus: "Keine Ahnung, die Ideen kommen mir unversehens. Meine Frau sagt immer, ich leide am jüdischen Selbstzweifel-Syndrom. Eigentlich müsste ich mir mehr Zeit zum Leben nehmen. Vielleicht sollte ich wieder regelmäßig schwimmen gehen." Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit fehlt den Amerikanern eben. Das kann man bei Jeremy Rifkin nachlesen.
© Technology Review , Heise Zeitschriften Verlag, Hannover