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Handel Besenrein übernehmen

Die Konsumgenossenschaften im Osten gehen reihenweise pleite. Den Vorteil haben die Handelsketten aus dem Westen.
aus DER SPIEGEL 12/1992

Der Konsum in der Freitaler Poisentalstraße ist ein Tante-Emma-Laden wie aus dem Bilderbuch. Kaffee, Kekse und Konserven sind ackurat in altmodischen Holzregalen gestapelt, eine freundliche Verkäuferin hilft beim Einkauf.

»Vor allem ältere Menschen«, sagt Ladenchefin Gerlinde Schorf, 33, »wissen unseren Service zu schätzen.«

Auf die Annehmlichkeit müssen die Rentner künftig verzichten. Die Freitaler Konsum-Filiale wird Ende Juni geschlossen. Auch 650 andere Läden im Umland machen demnächst dicht.

Die Zentrale der Konsumgenossenschaft Ostsachsen in Dresden mußte kürzlich Konkurs anmelden. Nun geht den Miniläden das Geld aus.

Es ist noch nicht lange her, da war der Konsum die zweitgrößte Einzelhandelskette der DDR. Jetzt müssen immer mehr regionale Geschäftsführer Konkursantrag stellen.

Bereits vor einigen Wochen gaben die Verbände Neubrandenburg und Rostock auf. Wenig später folgten die Genossenschaften Halle und Ostsachsen. Diese Großunternehmen machen zusammen fast zweieinhalb Milliarden Mark Umsatz.

Den Konsumgenossenschaften Frankfurt/Oder und Cottbus droht ebenfalls die Pleite. Dann fallen auch dort Tausende von Arbeitsplätzen weg.

Die Konkurse haben alle denselben Grund: Den Unternehmen gehören zwar die Geschäftsgebäude, nicht aber der Grund und Boden, auf dem diese stehen. Die Banken geben deshalb nicht die notwendigen Kredite.

Die Entwicklung war vorherzusehen, doch Hilfe gab es nicht. Die Bundesregierung hat sich bislang um die notleidenden Nahversorger nicht gekümmert.

Andere Großunternehmen werden von der Treuhand mit Milliardenspritzen unterstützt. Die Konsum-Manager mußten den Marsch in die Marktwirtschaft allein antreten.

Die Verantwortlichen schreckten auch vor harten Einschnitten nicht zurück. Seit dem Fall der Mauer schlossen die Konsum-Chefs fast zwei Drittel ihrer ehemals über 30 000 Verkaufsstellen. Außerdem mußten sie mehr als 140 000 der einst 210 000 überwiegend weiblichen Beschäftigten entlassen.

Kaum jemand nahm von dem beispiellosen Arbeitsplatzabbau Notiz. »Wenn im Ruhrgebiet nur ein Bruchteil dieser Stellen auf dem Spiel steht«, kritisierte die Lebensmittelzeitung, »wackelt die gesamte Republik.«

Auch die Sanierungskosten mußten die Konsumgenossenschaften im Gegensatz zu anderen Unternehmen aus eigener Kraft aufbringen. Allein im vergangenen Jahr zahlten die Genossen für Sozialpläne und die Schließung unrentabler Filialen fast 400 Millionen Mark. Nun fehlt das Geld, um Waren einzukaufen.

In ihrer Not wandten sich die Lebensmittelmanager an die Bundesregierung und die ostdeutschen Ministerpräsidenten. Die Politiker sollten den Konsumgenossenschaften für eine Übergangszeit Bürgschaften gewähren.

Doch die zuständigen Beamten verschleppten die Verfahren. Sie verlangten immer wieder neue Unterlagen und Konzepte. Anfang März zog ein Kreditversicherer seine Zusage zurück, die Belieferung ausgewählter Konsumgenossenschaften abzusichern. Für Halle und Ostsachsen bedeutete diese Entscheidung das Ende.

Einige Schwesterorganisationen müssen ihre Waren seither bar bezahlen. Das aber können die meisten von ihnen nur noch kurze Zeit. »Weitere Konkurse«, fürchtet Konsum-Verbandschef Frank Dahrendorf, »sind programmiert.«

Den großen westdeutschen Handelsketten kann das nur recht sein. Filialisten wie Spar, Rewe oder Edeka versuchen schon seit Monaten, den Konsumgenossenschaften die attraktivsten Standorte abzujagen. _(* In der Freitaler Konsum-Filiale ) _(Poisentalstraße. )

Seit Mammutunternehmen wie die Konsumgenossenschaft Halle oder Ostsachsen pleite sind, werden deren Ladennetze von den West-Konzernen ausgeschlachtet. Eine Tochter des Hamburger Edeka-Konzerns will zum Beispiel 200 der verbliebenen knapp 1000 Filialen der Hallenser übernehmen. Die Düsseldorfer Kaufring-Gruppe und die selbständige co op Schleswig-Holstein sicherten sich die besten Standorte im Norden. Edeka bot in der vergangenen Woche einem weiteren halben Dutzend Konsumgenossenschaften an, Teile ihres Ladennetzes zu schlucken.

Der Gesetzgeber erleichtert den Konzernen sogar das Geschäft. Anders als im Westen müssen die Aufkäufer die Arbeitskräfte nicht übernehmen. »Die großen westdeutschen Handelsketten«, empört sich der Chef der zuständigen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Lorenz Schwegler, »können attraktive Läden quasi personalbesenrein übernehmen.«

Damit soll nun Schluß sein. Das Bundesfinanzministerium legte Ende vergangener Woche Bedingungen fest, zu denen die Konsumgenossenschaften die zu den Läden gehörigen Grundstücke erwerben können. Dadurch soll der Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert werden.

»Verbänden, die ums Überleben kämpfen«, rügt allerdings der Chemnitzer Konsum-Chef Hans Leichsenring, »nützt das auch nichts mehr.«

Einen anderen Vorschlag unterbreitete vergangene Woche der HBV-Chef. Schwegler will einen unabhängigen Sanierer mit der Rettung der bedrohten Konsumgenossenschaften beauftragen.

Er müßte allerdings bald antreten - sonst gibt es nichts mehr zu tun. o

* In der Freitaler Konsum-Filiale Poisentalstraße.

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