Bespitzelung von Mitarbeitern Datenschützer gehen gegen Stasi-Methoden bei Lidl vor
Hamburg - Es ist unfassbar, was sich beim Discountriesen Lidl abgespielt haben soll. Laut "Stern" hat das Unternehmen seine Mitarbeiter mit Miniaturkameras planmäßig überwacht. In seitenlangen Protokollen wurde notiert, wann und wie häufig Mitarbeiter auf die Toilette gingen, wer mit wem möglicherweise ein Liebesverhältnis habe, wer nach Ansicht der Kontrolleure unfähig sei - oder einfach nur "introvertiert und naiv wirkt".
Es ist nicht das erste Mal, dass der Konzern in der Kritik steht. Schon vor Jahren listete die Gewerkschaft Ver.di in einem "Schwarzbuch Lidl" massenweise Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern auf. Doch diesmal droht dem Billiganbieter ein ernstes Nachspiel.
"Die zuständige Aufsichtsbehörde leitet eine datenschutzrechtliche Überprüfung ein", sagt eine Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums. Aktiv wird demnach die "Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich", ein weitgehend selbständiges Referat im Stuttgarter Innenministerium. "Der Sachverhalt muss aufgeklärt werden", sagt die Sprecherin. Das Ministerium ist zuständig, weil Lidl seinen Konzernsitz im baden-württembergischen Neckarsulm hat.
Auch die Gewerkschaft Ver.di kündigt Konsequenzen an. "Wenn Mitarbeiter gegen Lidl klagen wollen, werden wir sie selbstverständlich unterstützen", sagt Ver.di-Handelsexperte Achim Neumann zu SPIEGEL ONLINE. Das Vorgehen des Konzerns sei "eine Schweinerei sondergleichen".
Aus Ver.di-Sicht stellen die Überwachungsprotokolle einen doppelten Rechtsbruch dar: Zum einen seien Datenschutzrechte verletzt worden. Zum anderen gehe es aber auch um einen Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Würde des Menschen. "Hier wurde überwacht und bespitzelt wie in einem Unrechtsstaat", sagt Neumann. "Solche Unternehmen braucht das Land nicht."
Ver.di geht davon aus, dass andere Discounter ähnlich vorgehen wie Lidl. "Fast überall finden Videoaufzeichnungen zur Diebstahlverhinderung statt", sagt Neumann. Man müsse vermuten, dass in vielen Fällen Protokolle angefertigt würden. Dies lasse sich aber nur schwer beweisen.
Lidl gibt die Existenz der Protokolle zu
Der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Peter Zimmermann, würde sich in die Ermittlungen gegen Lidl ebenfalls gerne einschalten. Ihm sind jedoch die Hände gebunden, weil er nach baden-württembergischer Rechtslage nicht gegen Privatunternehmen vorgehen darf. Dies ist dem Innenministerium vorbehalten. "Ich bedauere das zutiefst", sagt Zimmermann zu SPIEGEL ONLINE. Der Fall hätte ihn brennend interessiert.
Nach Angaben der Ministeriumssprecherin sind die Vorwürfe gegen Lidl einmalig. "In meiner ganzen Zeit hier habe ich so etwas noch nicht erlebt." Sie gehe davon aus, dass die Überprüfung mehrere Wochen dauern werde. Welche Folgen dem Konzern drohen, lasse sich derzeit nicht abschätzen.
Die meisten Spionagefälle waren laut "Stern" in Niedersachsen aufgetreten. Der dortige Datenschutzbeauftragte hat die Ermittlungen jedoch den Baden-Württembergern überlassen. "Es kommt jetzt darauf an, was Lidl dazu sagt", erklärte eine Mitarbeiterin der Behörde. "Eventuell lässt sich das Vorgehen des Unternehmens in einzelnen Bereichen rechtfertigen."
Lidl selbst hat die Existenz der Protokolle nicht bestritten, berichtet der "Stern". Sie dienten aber "nicht der Mitarbeiterüberwachung, sondern der Feststellung eventuellen Fehlverhaltens", zitiert das Magazin eine Sprecherin.
Jürgen Kisseberth, Mitglied der Lidl-Geschäftsführung, sagte zu den Überwachungen: "Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass es dazu Aufträge gegeben hat." Dies sei aber nicht der Wille der Geschäftsleitung gewesen. Das Unternehmen habe zwei Detekteien beauftragt. Diese hätten den Auftrag gehabt, über Kameraanlagen Diebstähle von Kunden aufzudecken.
"Ich war fix und fertig"
Die Gewerkschaft Ver.di lässt sich dadurch nicht beruhigen. Sie hatte sich schon früher mit dem Firmenkonglomerat um Unternehmensgründer Dieter Schwarz angelegt. In dem von der Gewerkschaft vertriebenen "Schwarzbuch Lidl" wurden 2004 massive Vorwürfe gegen den Discounter erhoben.
Autor Andreas Hamann listet in dem Buch Hunderte Zeugenaussagen auf, wonach Lidl seine Mitarbeiter auf "menschenunwürdige" Weise schikaniere. So müssten sich die Angestellten ständigen Taschenkontrollen unterziehen, selbst die Privat-Pkw der Mitarbeiter würden überprüft.
Schon der Gang zum WC sei für viele Kassiererinnen Luxus. "Ich hatte nicht mal Zeit, auf die Toilette zu gehen. Wenn ich die Kasse verlassen hätte, hätte es eine Abmahnung gegeben. Manchmal kam ich nach Hause und hatte einen nassen Schlüpfer", sagte eine Mitarbeiterin.
In einem Fall sei eine Mitarbeiterin in einem dreistündigen "Verhör" fälschlich beschuldigt worden, Pfandgeld unterschlagen zu haben. "Ich war fix und fertig", wird die Frau im Schwarzbuch zitiert.
Laut Hamanns Recherchen ziehen sich bei Lidl die Spätschichten, die offiziell um 20 Uhr enden, oft bis spät in den Abend. In einem Fall habe der Filialleiter die Türen des Geschäfts so lange verrammelt, bis die Arbeiten erledigt waren. Als er dies am zweiten Abend wiederholte, rief ein Student, der dort als Aushilfe arbeitete, die Polizei.
Lidl wies die Anschuldigungen damals als "Diffamierungskampagne" zurück.