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UNTERNEHMER Bestens gerüstet

Max Grundig, Hersteller von Fernsehern und Videorecordern, will sein Lebenswerk dem Philips-Konzern überlassen - oder doch nicht?
aus DER SPIEGEL 52/1983

Max Grundig hatte sich noch viel vorgenommen. Mindestens noch zwei Jahre, so ließ der 75jährige im Sommer wissen, wolle er selbst den von ihm gegründeten Konzern führen.

Er wollte es allen noch einmal zeigen, vor allem den Japanern, daß der Name Grundig immer noch »Weltklang« hat. Doch wie so oft im Leben des Fürther Fernsehfabrikanten scheint wieder einmal manches anders zu laufen als geplant.

Als Max Grundig Anfang Dezember zu einer Urlaubsreise in die Karibik aufbrach, war eine wichtige Entscheidung bereits gefallen. Der Firmengründer hatte einen Vorvertrag unterschrieben, der sein Leben und seinen Konzern einschneidend verändern soll.

Wenn Grundig am 5. Januar nach Fürth zurückkehrt, soll er nicht mehr lange Herr im eigenen Haus sein. Mit Beginn des nächsten Grundig-Geschäftsjahres (1. April) soll, so die Abmachung mit dem niederländischen Philips-Konzern, eine Mannschaft aus Holland in Fürth die Führung übernehmen.

Mit Grundig tritt ein Unternehmertyp ab, der noch aus einer anderen Zeit in die heutige Wirtschaftsordnung ragte - eigenwillig, selbstgerecht, ein Herr im Haus, kein Manager. Firmengründer und Unternehmer vom Schlage des Autofabrikanten Carl F. W. Borgward oder des Versandhändlers Josef Neckermann wird es nach Grundig nicht mehr geben.

Von April an soll Grundig in seinem Unternehmen nur noch als Berater und im Aufsichtsrat mitreden. Entscheiden kann er dann nicht mehr viel: Er wird nur noch eine Minderheit der Aktien besitzen - die Mehrheit liegt dann bei Philips und einem Bankenkonsortium.

Die Dresdner Bank, Hausbank von Grundig und Philips-Deutschland, die Schweizerische Bankgesellschaft sowie eine dritte Bank wollen zunächst Grundig-Aktien übernehmen, um den Niederländern den Einstieg in Fürth zu erleichtern. Im Laufe einer dreijährigen Übergangszeit werden sie ihre Anteile an Philips weiterreichen.

Genau so ist Philips auch schon vorgegangen, als die Niederländer den Hausgerätehersteller Bauknecht erwarben. Philips kann dadurch sofort die Regie in Fürth übernehmen, die Übernahmekosten jedoch werden auf mehrere Jahre verteilt.

Ende November hatten sich Grundig und Philips-Chef Wisse Dekker in Fürth geeinigt. Für den Niederländer war es das Ziel eines weiten Weges.

Schon seit fünf Jahren versucht Philips, den deutschen Marktführer der Unterhaltungselektronik enger an sich zu binden. Grundig ist mit einem Umsatz von rund drei Milliarden Mark als Abnehmer von Bildröhren und elektronischen Bauelementen einer der besten Kunden bei der Philips-Tochter Valvo.

Zunächst scheiterte eine geplante Übernahme an den deutschen Kartellgesetzen. Die Wettbewerbshüter in Berlin wollten eine Fusion des europäischen Branchenersten mit dem damals zweitgrößten nicht zulassen. Philips mußte sich 1979 mit einer Minderheitsbeteiligung von 24,5 Prozent zufriedengeben.

Doch in den folgenden Jahren wurde das Geschäft zunehmend härter. Der Ansturm der japanischen Elektronickonzerne zwang auch die europäischen Hersteller in immer größere Unternehmenseinheiten.

Mit dem Markt änderten sich auch die Maßstäbe der Kartellwächter. Als die Berliner Beamten sogar den Einstieg des französischen Staatskonzerns Thomson-Brandt bei den maroden TV-Unternehmen Nordmende, Saba, Dual und Telefunken tolerierten, rückte für Philips eine höhere Grundig-Beteiligung wieder in greifbare Nähe.

Im vergangenen Jahr zeigten die Niederländer deutlich, daß sie noch immer stark an Grundig interessiert waren: Sie verhinderten, daß die Fürther - für eine Milliarde Mark - an Thomson-Brandt verkauften. Philips-Chef Dekker pochte auf den 1979 geschlossenen Vertrag. Danach kann Grundig seine Anteile nur verkaufen, wenn Philips zustimmt.

Grundig war über das Veto aus Eindhoven so erbost, daß er zunächst jede weitere Zusammenarbeit mit den Niederländern ablehnen wollte. »Wir sind stark genug«, verkündete er Anfang April in der Firma, »um allein zu bleiben.« Vier Monate später, bei der Berliner Funkausstellung, zeigte er sich wieder gesprächsbereit. Für 1984 stellte er den Niederländern eine Aufstockung ihres Aktienanteils auf etwas mehr als 25 Prozent in Aussicht. Die Mehrheit aber sollten sie erst in einigen Jahren erhalten.

Daß nun doch alles etwas schneller geht, führen Insider auf die kritische Lage des Konzerns und die sich häufenden Fehlentscheidungen des Firmenchefs zurück. In den beiden vorletzten Geschäftsjahren mußte Grundig einen Verlust von fast einer Viertelmilliarde Mark verkraften.

Die neueste Bilianz für das Geschäftsjahr 1982/83 weist zwar einen Konzerngewinn von 104 Millionen Mark aus. Doch dieser Gewinn kam nur durch umfangreiche Bilanzkosmetik zustande; etwa dadurch, daß die Grundig AG ihren Lagerbestand mit zahlreichen Ladenhütern an eine neugegründete Tochterfirma verkaufte.

Grundig selbst mußte eingestehen, daß der ausgewiesene Gewinn wenig besagt. »Das operative Ergebnis«, heißt es listig im Geschäftsbericht, »konnte nicht befriedigen.«

Im laufenden Geschäftsjahr wird sich daran wenig ändern. Dafür hat der Konzernherr durch seine unberechenbare Geschäftspolitik selbst gesorgt. Allein die überstürzte Einführung eines neuen Vertriebssystems mit Festpreisen im Handel, das Grundig im November nach nur dreimonatiger Laufzeit wieder aufgab, hat dem Konzern einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe eingebracht.

Es war nur einer von vielen Fehlern, mit denen der starrsinnige Konzernherr seinen Ruf als Unternehmer verspielte und seine Firma in die Arme eines Riesen trieb. »Früher«, sagt ein Grundig-Konkurrent, »da haben wir alle nach Fürth geschaut und an Grundig unsere eigene Geschäftspolitik ausgerichtet. Aber jetzt kommt von dort nichts mehr.«

Die Kette der Fehlentscheidungen begann Mitte der siebziger Jahre, als der bis dahin kümmerliche Videomarkt allmählich in Bewegung kam. Grundig, der seine Recorder nach dem bereits veralteten Philipsstandard VCR produzierte, erkannte rasch, daß die japanischen Systeme Beta und VHS der europäischen Technik weit überlegen waren.

Statt sich um eine japanische Lizenz zu bemühen, scherte Grundig sogar aus der Philips-Partnerschaft aus und wagte 1978 einen Alleingang. Doch der Fürther Eigenbau, großsprecherisch Super Video Recorder (SVR) genannt, erwies sich als sehr reparaturanfällig und brachte mehr Ärger als Geld ein.

Drei Jahre später, Grundig produzierte inzwischen wieder im Gleichklang mit Philips das System Video 2000, scherte Grundig erneut aus. Weil Philips noch keinen tragbaren Recorder im Programm hatte, besorgte er sich einen Mini-Recorder in Japan.

Das exotische Gerät mit dem Kürzel CVC hatte gegen die etablierten Systeme nie eine Chance. Die hohen Lagerbestände ließen sich schließlich nur noch unter schweren Verlusten verramschen.

Spät aber doch hat Grundig inzwischen erkannt, daß er selbst mit Video 2000 auf Dauer keine Chance gegen das führende VHS-System hat. Im Oktober suchte er deshalb in Japan um eine VHS-Lizenz nach. Wenn Grundig 1984 VHS-Recorder herausbringt, dann ändert er damit - ein einsamer Rekord - zum sechsten Mal innerhalb von zehn Jahren seine Videotechnik.

Die Sprunghaftigkeit des Chefs bekamen nicht nur die Kunden und Konkurrenten, sondern auch die Belegschaft zu spüren. Innerhalb von vier Jahren sank die Zahl der Beschäftigten von 40 000 auf nicht einmal 30 000. Doch dahinter steckt kein klares Konzept: Wenn es Grundig ratsam schien, stellte er zwischendurch auch wieder Leute ein - im nächsten Jahr waren dann um so mehr Entlassungen fällig.

Selbst im Geschäft mit Fernsehern, das er seit Jahrzehnten beherrschte, ließ Grundig immer weniger unternehmerisches Talent erkennen. Als einer der letzten Hersteller in Deutschland rüstete er erst Anfang der achtziger Jahre seine Produktion von der veralteten und teuren Modulbauweise auf die rationellere Platinentechnik* um. Auf einen Schlag konnten dadurch die Produktionskosten um mehrere hundert Millionen Mark gesenkt werden.

Je tiefer das Unternehmen in die roten Zahlen rutschte, um so mehr schien der Konzernführer den Kontakt zur Realität zu verlieren. Obwohl kaum noch Anlaß zu großen Sprüchen bestand, prägte Überheblichkeit den Stil des Hauses.

Noch im August 1980 tat Grundig die Überlegenheit der japanischen Konkurrenz als »reine Legende« ab und wähnte sein Unternehmen »bestens für die Zukunft gerüstet«. Ein Jahr später bescheinigte er sich »die beste Technologie der Branche«. Und noch vor wenigen Monaten lobte er seine Videoproduktion als »First-Class-Fabriken, gegen die viele japanische Betriebe wie Klitschen aussehen«.

Im Hause wagte schon längst niemand mehr, dem Chef zu widersprechen. Denn mit seinem ruppigen Führungsstil, der keine Einwände duldete ("Ich bin ein bißchen Choleriker"), hatte der Chef seit Mitte der siebziger Jahre mehr als ein Dutzend Führungskräfte vergrault.

Zuletzt kehrten Spitzenmanager dem Unternehmen immer schneller den Rücken: Kurt W. Hackel ging nach einem Jahr zu Pelikan, Horst Rosenbaum durfte Grundig nur wenige Monate dienen; er ist heute bei Kienzle.

Seit März regiert Grundig ganz allein. Lediglich in Finanzfragen läßt er sich von Ludwig Poullain, dem Ex-Bankier, beraten. Der jüngste Geschäftsbericht nennt deshalb, entgegen den Vorschriften des Aktienrechts, keinen Vorstand. Es werden lediglich 20 Männer erwähnt, die angeblich »leitende Funktionen in der Grundig-Gruppe« ausüben.

Die selbstherrliche Art, mit der Grundig seinen Konzern ins Schlingern brachte und nun ohne handlungsfähiges Management über Wasser zu halten sucht, machte nicht nur seinem Partner Philips zunehmend Sorgen. Die Banken, die lange alle Wendungen des Seniors mitgemacht hatten, drängten auf eine rasche Lösung des Führungsproblems.

Das schien um so dringender geboten, als der Gesundheitszustand des greisen Firmenchefs nicht der beste ist. Grundig leidet seit mehr als zehn Jahren an einer schweren Venenerkrankung, die trotz mehrerer Operationen nicht zu beseitigen war. Bisweilen kam Grundig sogar im Rollstuhl in sein Büro.

Aber nur ungern will er von seiner Firma lassen. Wann immer es seine angeschlagene Verfassung erlaubte, saß Grundig auch in den vergangenen Wochen noch von morgens acht bis abends acht im Büro.

Er hat Angst vor der Zeit nach dem Abgang. »Ohne Macht und Firma«, erklärt ein Grundig-Vertrauter, »kann der nicht atmen.«

So halten viele, die den Franken kennen, es keineswegs für ausgeschlossen, daß Grundig es sich unter karibischer Sonne alles noch einmal anders überlegt - und seine Unterschrift unter den endgültigen Vertrag mit Philips in letzter Minute verweigert.

Es würde ins Bild passen. Seinem Biographen Egon Fein hatte Grundig anvertraut: Wenn er seine Firma abgeben müßte, dann sei das für ihn, »als wenn ich ein eigenes Kind verkaufe«.

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* Bei der Modultechnik, die in der Frühzeit der Farbfernseher für höhere Zuverlässigkeit sorgte, wurde die TV-Elektronik in zahlreiche getrennte Kästchen aufgeteilt. Die Fortschritte der Mikroelektronik machen es heute möglich, alle Bauelemente auf einer einzigen Platine zusammenzufassen.

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