IMPORT-BESCHRÄNKUNG Billiger Wein verboten
Als vor zehn Wochen im pfälzischen
Neustadt die 19jährige Winzerin Margrit Hoffranzen aus Mehring an der Mosel zur neuen deutschen Weinkönigin gewählt und dazu auserkoren wurde, während der nächsten zwölf Monate die Liebe zum Wein wachzuhalten, litt diese Liebe bereits an einer akuten Preiskrise. Sie spitzte sich vor Weihnachten so weit zu, daß jetzt ein Schoppen Wein im Durchschnitt zwei Mark kostet.
Ursache dieses Preisanstiegs ist das Wirken von Natur- und Regierungsgewalten, ganz besonders aber die Agrar- und Importpolitik des Bundesernährungsministeriums, das sich wieder einmal den Wünschen der Interessenverbände unterordnete.
Tatsächlich erfroren im vergangenen Winter viele Rebpflanzen, so daß man schon im Frühsommer mit höchstens einer halben Ernte rechnete. In der Öffentlichkeit wurden die Frostschäden zunächst bagatellisiert. Noch Ende Juni versicherte der Präsident des Deutschen Weinbauverbandes, Richard Maria Graf von Matuschka -Greiffenclau, in einer Versammlung des Rheingauer Weinbauvereins: »Die Befürchtungen, daß große Rebflächen wegen Totalschadens ausgehauen werden müßten, haben sich als übertrieben erwiesen.«
Dieser Optimismus war reichlich zweckbetont. Anscheinend wollte der Winzerverband verhindern, daß die Weinhändler, die schon damals unruhig geworden waren, höhere Weinimport-Kontingente verlangen. Als sich die schlechte Ernte nicht mehr verheimlichen ließ, stimmten die Winzer -Verbände laute Klagelieder an. Plötzlich wußte die Wein-Fachpresse des Grafen Matuschka zu berichten, »daß eine äußerst große Anzahl von Winzern so gut wie gar keine oder nur eine ganz geringe Weinernte heimbringen wird«.
Ende Juli fuhr der Weingraf zu Ernährungsminister Heinrich Lübke nach Bonn, um staatliche Subventionen und zinsverbilligte Darlehen für seine geschädigten Winzer zu fordern. 50 Millionen Mark, erklärte er, seien das mindeste, was die Winzer zur Überbrückung ihres Notstandes brauchen. Doch Minister Lübke zierte sich, den Wünschen dieser Gruppe der bundesdeutschen Agrarier so offen nachzugeben.
Inzwischen trieben die Winzer die Preise für ihre Weinvorräte um etwa 100 Prozent in die Höhe. Billige Sorten von der Mosel, die vor einem Jahr noch je Fuder (1000 Liter) für 1200 bis 1400 Mark verkauft wurden, waren bald nur noch für 2600 bis 2700 Mark das Fuder zu haben; Naturweine, die vor einem Jahr etwa 2000 Mark das Fuder kosteten, wurden nur noch für 4000 Mark abgegeben.
In dieser Situation hätte eigentlich nichts näher gelegen, als die westdeutsche Weinlücke durch Einfuhren zu schließen, zumal Italien in diesem Jahr eine unerwartet gute Weinernte hatte. Der Bund der Deutschen Weinhandelsvereinigungen e.V. beeilte sich auch, in Bonn die Genehmigung für den zusätzlichen Import von einer Million Hektoliter Tischwein zu beantragen (die Weineinfuhr ist immer noch kontingentiert). Der Weinbauverband wußte diese Pläne jedoch zu hintertreiben. Er beharrte darauf, daß den Händlern nur ein Sonderkontingent von höchstens 700 000 Hektolitern zugestanden werden dürfe.
Während man sich auf offizieller Ebene noch wochenlang um die Importkontingente stritt, entschlossen sich die Weinhändler zur Selbsthilfe. Sie unterliefen das Dickicht der agrarpolitischen Marktordnung, indem sie unvergorenen Traubensaft einführten, für den weniger strenge
Importbeschränkungen gelten als für billigen Tischwein.
Da das heute noch gültige Weingesetz vom 25. Juli 1930 die Vergärung von eingeführtem Traubensaft nicht ausdrücklich verbietet, nutzten die Weinhändler diese von den Winzern als Gesetzeslücke empfundene Gelegenheit weidlich aus, zumal der Staat für Traubensaft wesentlich weniger Einfuhrzoll fordert als für Wein.
Bald rollten ganze Kolonnen von Tankwagen mit Traubensaft über die Grenze nach Westdeutschland. Schätzungsweise eine halbe Million Hektoliter - doppelt soviel wie die gesamte Traubensafteinfuhr des Vorjahres - flossen seit Ende September in die bundesdeutschen Kellereien.
Die Weinhändler kümmerten sich auch nicht um die Anordnung der Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Landwirtschaft, die verfügte, daß die Traubensäfte »ausschließlich zur Verwendung als solche« importiert werden dürfen. (Der Saft sollte nur als Grundstoff zur Herstellung von alkoholfreiem Traubensaft dienen.) »Traubensaft vergärt nun mal zu Wein und nicht zu Sprudelwasser«, so erklärten die Importeure, »und wenn wir ihn bei uns vergären lassen, dann haben wir ihn eben als solchen verwendet.«
Während der billige Traubensaft seit Wochen in den Gärbehältern der Weinhändler brodelt, richteten die Winzer-Verbände Hilferufe an das Bundesernährungsministerium und erreichten durch ihre scharfen Proteste schließlich, daß die Außenhandelsstelle in Frankfurt am Main auch für Traubensaft keine Import-Lizenzen mehr ausgab.
Die Wirkung dieser Maßnahme war freilich gering: Es wurde weiter Saft nach Westdeutschland transportiert. Die Importeure hatten sich vorsorglich schon im September und Anfang Oktober mit Stößen von Traubensaft-Lizenzen eingedeckt. Da drohten die Winzer im pfälzischen Grenzgebiet, sie würden die Zufahrtstraßen mit Balken und Fässern verbarrikadieren. Transparente wurden über die Straßen gespannt und schwarze Fahnen gehißt. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier richtete an Bundeskanzler Adenauer telegraphisch die Bitte, die Einfuhr von Traubensaft »sofort zu stoppen«. Am Tage darauf rief der rheinlandpfälzische Weinbauminister Oskar Stübinger, dessen Vater ein Weingut besitzt, den Staatssekretär im Bundesernährungsministerium, Dr. Theodor Sonnemann, gleichfalls um Hilfe an. Das half sofort. Ab 1. Dezember dürfen die westdeutschen Zöllner Traubensafttransporte nur über die Grenze lassen, wenn die Importeure sich vorher schriftlich verpflichten, den Saft nicht in ihren Kellern in billigen Wein zu verwandeln.
Inzwischen hat man sich in Bonn entschlossen, wenigstens die Einfuhr von 500 000 Hektolitern Rotwein zu genehmigen. Der größte Teil dieses Rotweins wird jedoch nicht mehr bis Neujahr in der
Bundesrepublik eintreffen, denn weder in Frankreich noch in Italien sind zur Zeit genügend Kesselwagen verfügbar.
Als die Winzer erfuhren, daß Minister Lübke sich mit dem Gedanken trägt, auch noch eine Partie Weißwein einführen zu lassen, veranlaßten sie in der vergangenen Woche den Weinbau- und Weinwirtschaftsausschuß des rheinland-pfälzischen Landtages, ein scharfes Veto gegen jeden Weißweinimport einzulegen.
Lübke will die protestierenden Winzer dadurch besänftigen, daß er ihnen auf eine sehr komplizierte Weise zu einer Schadensrente verhilft. Die frostgeschädigten Winzer sollen Zertifikate - sogenannte Schadensbestätigungen - erhalten, die ihnen eine Ernte-Ausfall-Entschädigung garantieren. Jeder Weinhändler, der aufgrund einer Ausschreibung Wein einführen will, muß dann solche Zertifikate - über Treuhandstellen der Länder - kaufen; erst dann hat er Aussicht, eine Importlizenz zu erhalten.
Die Importeure wollen sich mit diesem merkwürdigen Verfahren abfinden; sie sind aber auch fest entschlossen, die Abgaben an die Winzer uneingeschränkt auf die Verbraucher abzuwälzen.
Winzer-Graf Matuschka-Greiffenclau
»Traubensaft-Einfuhr sofort stoppen«
Minister Lübke mit Weinkönigin: Hilfe für die Winzer