Billigflieger Germanwings "Das ist deutscher Masochismus -verbieten, teurer machen, einstellen"
SPIEGEL ONLINE: Herr Winkelmann, wie sind Sie heute zur Touristikmesse hier in Berlin angereist?
Winkelmann: Mit der S-Bahn vom Grunewald - zufällig habe ich ein Haus in Berlin. Aber mein Büro bei Germanwings ist in Köln, und von da aus bin ich natürlich mit einer unserer Maschinen geflogen.
SPIEGEL ONLINE: Und das mit gutem Gewissen?
Winkelmann: Wegen des Klimawandels, meinen Sie? Mein Gewissen ist rein. Zwei Gründe: Erstens kommt die Debatte mit dem deutschtypischen Masochismus daher - verbieten, teuer machen, einstellen. Der erhobene Zeigefinger schadet bei so wichtigen Themen nur. Er schreckt weite Teile der Bevölkerung ab. Zweitens kommt die Diskussion für uns Airliner gerade zum richtigen Zeitpunkt.
SPIEGEL ONLINE: Im Ernst? Wie das?
Winkelmann: Die Infrastruktur des Fliegens in Europa ist völlig veraltet. Uns kostet das Geld, der Kunde verliert Zeit, die Umwelt leidet. Das fängt mit den unendlichen Warteschleifen an, mit denen wir über vielen Flughäfen Kerosin vergeuden. Es geht damit weiter, dass es in Europa 47 Flugkontrollcenter gibt - die USA haben eins. Bitte, schafft diese Kleinstaaterei ab. Auf einer Strecke wie Köln-Moskau müssen wir deshalb jedes Mal 180 Kilometer Umweg fliegen. Es geht zu wie 1805 mit der Postkutsche, als man alle paar Kilometer den Pass zeigen musste.
SPIEGEL ONLINE: Die Lösung dieser Probleme ist Sache der Regierungen und der Flughäfen - was tun Sie selbst, um das Klima zu schonen?
Winkelmann: Die Fluggesellschaften sind doch aktiv dabei! Beim Thema "Single European Sky" wird gelobbyt wie es nur geht - seit Jahren. Glauben Sie mir, das Thema liegt mir am Herzen. Ich habe Kinder, die fragen mich danach. Ab heute bieten wir zum Beispiel allen deutschen Kunden an, für pauschal 19 Euro mit der Bahn zum nächsten Germanwings-Flughafen anzureisen. Besser Sie fahren im vollen Zug zum Flughafen als allein im alten Kadett.
SPIEGEL ONLINE: Einige Politiker fordern den Verzicht auf Fernreisen und Kurztrips per Flieger. Wenn nur ein Teil der Bevölkerung das beherzigt, könnte es Ihr Umsatzwachstum brüsk abbremsen.
Winkelmann: Ich glaube das nicht - wir arbeiten hart daran, die Passagiere von unserer Sicht zu überzeugen. Wir haben effiziente neue Airbusse, anderswo in Europa fliegen noch viele alte Mühlen herum. Die Flugzeuge sind viel voller als noch in den siebziger Jahren. Das mag mitunter unbequem sein, verbessert aber die Klimabilanz.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie so umweltbewusst sind - dann müssten Sie doch für eine Kerosinsteuer sein, deren Erlöse in den Klimaschutz fließen.
Winkelmann: Wenn, dann brauchen wir da eine weltweite Allianz. Die Zeit der Insellösungen ist vorbei. Wenn Sie eine Flugökosteuer nur für die EU machen, freuen sich unsere Freunde in der Schweiz. Wenn Sie's nur für Europa einführen, jubelt Emirates in Dubai, und die werden ohnehin mächtig subventioniert.
SPIEGEL ONLINE: Eine weltweit gültige Flugbenzin-Steuer ist doch Zukunftsmusik fürs Jahr 2025 oder später.
Winkelmann: Da wäre ich mir nicht so sicher. Gucken Sie sich Amerika an, da sind einige Steuern auf Flüge schon stark erhöht worden. Interessanterweise gilt das aber nicht für Inlands-, sondern für Auslandsreisen - das macht weniger Wähler sauer.
SPIEGEL ONLINE: Hand aufs Herz: Es wäre aus ökologischer Sicht doch klug, sich die schnellen Drei-Tage-Reisen zu verkneifen, die dank der Billigflieger möglich geworden sind.
Winkelmann: Ab 350 Kilometer Entfernung ist das Flugzeug das effizienteste Verkehrsmittel mit Ausnahme des Reisebusses. Natürlich wäre es umweltfreundlicher, wenn wir alle zu Hause blieben. Nur - wo landen wir, sobald wir mit solchen Fragen anfangen? Darf ich im Februar Sonne in Thailand haben? Muss ich im August nach Norwegen, nur weil's da so schön kühl ist? Wie warm darf meine Wohnung sein? Wir haben Freunde, die heizen so stark, da kann man im Winter im T-Shirt rumlaufen. Ist das legitim?
SPIEGEL ONLINE: Jetzt flüchten Sie ins Philosophische.
Winkelmann: Ich hab ja auch mal Philosophie studiert! Und das sind wirklich schwierige Fragen. Eine feste Überzeugung habe ich dabei: Das Fliegen ist in den vergangenen Jahren demokratisiert worden, und das darf nicht durch übertriebene Abgaben umgekehrt werden. Ich will nicht zurück in die Zeiten, als sich nur die Wohlhabenden eine Flugreise leisten konnten.
Das Interview führte Matthias Streitz