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»Bis der Dümmste es versteht«

aus DER SPIEGEL 17/1991

Miscoll, 56, ist Vorstandsmitglied der Bank of America, er hat für sein Institut die Büros in Moskau und Peking eröffnet.

SPIEGEL: Wann macht Ihre Bank eine Zweigstelle in Ostdeutschland auf?

MISCOLL: Eines Tages werden wir sicher in Berlin vertreten sein. Aber zur Zeit kommt der größte Teil unserer Kunden aus dem Westteil Deutschlands, und die bedienen wir von unserem Büro in Frankfurt.

SPIEGEL: Sehen Sie im deutschen Osten keine Chance für ein lohnendes Investment?

MISCOLL: Vor dem Zweiten Weltkrieg hat der Ostteil Deutschlands mit den USA mehr Handel getrieben als der Westteil. Das muß sich jetzt erst wieder entwickeln. Wir haben Gespräche mit dem Leipziger Unternehmen Takraf begonnen, das die größten Hafenkräne der Welt baut. Ich selbst war bei der Treuhand in Berlin und habe das berühmte rote Buch mit den Namen von 8000 ostdeutschen Betrieben durchgeblättert.

SPIEGEL: Mit welchem Ergebnis?

MISCOLL: Banker und Frauenärzte sollten keine Geheimnisse preisgeben.

SPIEGEL: Lohnt es im deutschen Osten zu investieren, oder lohnt es nicht?

MISCOLL: Es lohnt, auf ausgewählten Gebieten. Geld allein wird allerdings nicht weiterhelfen. Wir müssen den Ostdeutschen nicht nur Fisch bringen, wir müssen ihnen auch zeigen, wie man Fisch fängt.

SPIEGEL: Bisher sind die amerikanischen Investoren zögerlich. Warum?

MISCOLL: Die Ostdeutschen sprechen kein Englisch. Das ist das erste Problem. Hinzu kommen Schwierigkeiten mit den Unternehmensbilanzen, dem System der gesamten Rechnungsführung, ohne das nichts funktioniert. Wenn man etwas kauft, muß man den Wert der Sache kennen. Man kann nicht die Katze im Sack kaufen, denn am Ende öffnen wir den Sack, und es ist keine Katze drin.

SPIEGEL: Sie haben kürzlich kritisiert, daß amerikanische Firmen in Osteuropa zu wenig riskieren.

MISCOLL: Ich kritisiere, daß sie sich zum Teil überhaupt nicht engagieren. Schuld daran ist die Ausbildung unserer Manager. An der Harvard University, an der ich übrigens auch studiert habe, hat man erst jetzt den Lehrplan umgestellt, so daß nun ein längerfristiges ökonomisches Denken gelehrt wird. Nur wer langfristig denkt, wird Erfolg haben. Wer nur das schnelle Geld machen will, riskiert, daß er schon in naher Zukunft nicht mehr existiert.

SPIEGEL: Die Berliner Treuhandanstalt hat ausländischen Unternehmern das Investieren nicht gerade erleichtert.

MISCOLL: Es geht in Berlin sehr bürokratisch zu. Sie wissen, man muß sich da wirklich durchkämpfen. Alle Vorgänge dort sollte man sehr stark vereinfachen. Mein Motto wäre: Macht es so einfach, daß auch der Dümmste es verstehen kann. Alles andere verschreckt die Menschen. Denn warum soll ich nach Deutschland kommen, wenn ich dasselbe Geschäft in Ohio problemlos abwickeln kann.

SPIEGEL: Es gab in Deutschland sogar die Forderung, die Treuhand sofort aufzulösen.

MISCOLL: Ich würde nur das Verfahren vereinfachen. Wir haben einen Mann auf den Mond gebracht, Hannibal hat Elefanten über die Alpen geschafft. Also warum können wir nicht ein paar Betriebe verkaufen?

SPIEGEL: Im Ausland wird kritisiert, die deutschen Unternehmen wollten unter sich bleiben. Sind die Amerikaner beim Zugriff auf die ehemaligen Kombinate benachteiligt?

MISCOLL: Mein Eindruck ist, zumindest die Ostdeutschen würden gern mit uns zusammenarbeiten. Sie wollen nicht nur von den Westdeutschen aufgekauft werden. Sie wollen nicht nur Anhängsel großer westdeutscher Unternehmen und Banken sein. Ministerpräsident Gomolka hat zu mir gesagt: Bringen Sie etwas von Ihrem amerikanischen Enthusiasmus zu uns.

SPIEGEL: Wer hindert Sie?

MISCOLL: Wir hindern uns zum Teil selber. Wir sollten uns mit den Deutschen und den Japanern zusammentun, und wir werden Europa und sogar China helfen können. Das klingt aufregend, aber es ist realistisch.

SPIEGEL: In welchem Zeitraum wird die ehemalige DDR-Wirtschaft das Westniveau erreichen?

MISCOLL: Ich kalkuliere mit ungefähr fünf Jahren bei einer jährlichen Investitionssumme von 100 Milliarden Dollar. Aber die Deutschen sollten nicht der Eile zum Opfer fallen. Es hat in Westdeutschland 40 Jahre gebraucht, um den heutigen Standard zu erreichen. Bringen Sie nun auch im Osten ein bißchen Geduld auf.

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