SCHALLPLATTEN Bittere Pille
An wohlwollender Starthilfe fehlte es diesmal nicht. Einhellig wie selten zuvor lobten die Hi-Fi-Zeitschriften, die sich sonst gern von japanischer Technik blenden lassen, das neue Produkt aus dem Hause Philips.
Aus bierdeckelgroßen, silberglänzenden Scheiben zauberte das Philips-Gerät Klänge von bisher ungehörter Klarheit. Der mit Laserstrahlen arbeitende Digital-Plattenspieler übertraf nach Meinung fast aller Fachleute sämtliche Konkurrenzmodelle.
Das von der Fachpresse bejubelte Wunderwerk niederländischer Ingenieurkunst hat allerdings einen Nachteil: Es ist so gut wie nie im Laden zu kaufen.
Kunden, die das Erfolgsmodell CD100 erwerben wollen, sprechen in den Geschäften meist vergebens vor. Bei vielen Händlern können sich die Fans in Wartelisten eintragen; sie müssen oft monatelang auf die begehrte Musikmaschine warten.
Das neue Hi-Fi-Gerät, seit März in Deutschland zu kaufen, ist mit einem Preis von rund 2000 Mark noch reichlich teuer. Dennoch wird der Digital-Plattenspieler in der Branche als die bedeutendste Produktneuheit seit der Einführung des Videorecorders angesehen.
Binnen weniger Jahre könnte sich das Gerät zum wichtigsten Umsatzträger des Hi-Fi-Geschäfts mausern. Die neue Technik, bei der ein Laserstrahl winzige Vertiefungen in der Compact Disc (CD) genannten Schallplatte abtastet, kann nicht nur der heimischen Hi-Fi-Anlage zu störungsfreiem Super-Klang verhelfen. Die Laserspieler lassen sich ebenso leicht ins Auto oder in eine tragbare Stereo-Anlage einbauen. Die CD-Scheiben sind nämlich mindestens so robust und unempfindlich wie die beliebten Musikkassetten.
Entsprechend optimistisch sind die Absatzprognosen. Bis zu 70 000 Plattenspieler und mindestens 200 000 Platten zum Preis von rund 35 Mark sollen in diesem Jahr allein in Deutschland verkauft werden. Spätestens in zehn Jahren, so die Meinung von Branchenkennern, wird die Produktion der herkömmlichen Schallplatten eingestellt. Dann wird es nur noch Compact Disc geben.
Daß solche Prognosen nicht völlig unrealistisch sind, lassen die ersten Verkaufszahlen aus Japan ahnen, wo die CD-Geräte schon im Oktober letzten Jahres in die Geschäfte kamen. Die Japaner kauften in den ersten drei Monaten nach der Premiere 33 000 Geräte, der Absatz von 240 000 CD-Scheiben übertraf alle Schätzungen.
Im März begannen die japanischen Firmen die deutschen, französischen, englischen und niederländischen Geschäfte zu beliefern. Die Asiaten hatten ihre Fabriken inzwischen so weit ausgebaut, daß sie genügend Geräte nach Europa schicken konnten. Wenn es einmal knapp wurde, ließen sie Nachschub per Luftfracht einfliegen.
So griffen denn viele Hi-Fi-Freaks, die nicht länger auf das hochgelobte Philips-Modell warten wollten, kurz entschlossen zur Japan-Ware. Die steht überall in zahlreichen Modellen zur Auswahl.
»Für uns ist das eine bittere Pille«, umreißt ein Philips-Sprecher das Dilemma. Obwohl der Eindhovener Konzern technisch wieder vorn liegt, müssen die Niederländer fürchten, beim Konkurrenzkampf mit den Japanern ins Hintertreffen zu geraten.
»Wenn wir nicht verdammt aufpassen«, ahnt ein Philips-Manager, »passiert uns hier das gleiche wie bei den Videorecordern.«
Die Parallelen zur Entwicklung auf dem Videomarkt sind bestechend. Ebenso wie die ersten Heim-Videorecorder wurden die Digital-Plattenspieler bei Philips in Eindhoven entwickelt. Doch trotz des Vorsprungs mußten die Philips-Manager das große Geschäft mit den Videorecordern anderen überlassen: Ungeschickte Modellpolitik, anfängliche Fertigungsmängel und schlechtes Marketing sorgten dafür, daß Philips mit seinem System Video 2000 von dem japanischen VHS-System weit abgehängt wurde.
Um nicht wieder mit einer eigenen Entwicklung ausgezählt zu werden, verbündeten sich die Philips-Manager bei den CD-Apparaten 1979 mit dem japanischen Sony-Konzern. Dessen Chef Akio Morita konnte den Niederländern nicht nur mit einigen Patenten dienlich sein. Morita brachte auch den Star-Dirigenten Herbert von Karajan dazu, die Compact Disc öffentlich zu loben: »Alles andere ist Gasbeleuchtung.« Vor allem aber sorgte Morita dafür, daß die Philips-Technologie 1981 von der japanischen Elektronikindustrie anerkannt wurde.
Das bedeutete den Durchbruch zum Weltstandard; Systemkämpfe wie bei den Videorecordern waren nicht mehr zu befürchten. Die Einführung von CD konnte weltweit gesteuert und in Ruhe vorbereitet werden.
Jede Firma, die Laser-Plattenspieler herstellen will, ist nun auf eine Philips-Lizenz angewiesen. Von den Lizenzgebühren kassieren die Holländer vier Fünftel, System-Partner Sony bekommt ein Fünftel. Damit holen die Holländer einen Teil der für die CD-Entwicklung aufgewandten Milliarden wieder herein.
Während sich japanische Firmen eifrig um die CD-Lizenz bemühten und inzwischen mehr als zehn neue Fabriken einrichteten, hielten sich die europäischen Elektronikfirmen gänzlich zurück. Weder der in Deutschland mit Telefunken, Saba, Nordmende und Dual vertretene französische Staatskonzern Thomson-Brandt noch der Europa-Ableger des US-Konzerns ITT sind bisher mit der Lasertechnologie vertraut. Ganz ruhig ist es auch bei der Bosch-Tochter Blaupunkt, die als Marktführer bei Autoradios eigentlich aufpassen müßte, daß die digitale Klangrevolution nicht ohne sie stattfindet. Frühestens in zwei Jahren will Blaupunkt mit der Produktion von _(Mit Compact Disc. )
Laserspielern für das Autoradio beginnen.
Alle europäischen Firmen scheuen die hohe und risikoreiche Investition in den Zukunftsmarkt; sie besitzen zudem häufig nicht das notwendige Know-how für die komplizierten Produktionstechniken. Statt selber zu produzieren, lassen sie ihre Geräte in Japan fertigen. So stammen etwa die Modelle von Dual, Saba, Nordmende und Blaupunkt aus den Hitachi-Fabriken, während ITT und Siemens ihre Geräte vom Sanyo-Konzern beziehen.
So begeben sich die europäischen Unternehmen der Unterhaltungselektronik in immer größere Abhängigkeit von den Japanern. Die können nicht nur das Entwicklungstempo weitgehend selber bestimmen, sondern auch entscheiden, was angeboten und zu welchem Preis verkauft wird.
Den Anschluß an die Videoproduktion haben die meisten europäischen Elektronikhersteller bereits verpaßt. Denn die unter japanischer Anleitung etwa bei Telefunken in Berlin oder bei Blaupunkt in Osterode/Harz arbeitenden Videofabriken sind reine Montagebetriebe ohne eigenständiges Produktions-Know-how.
Wenn sich diese Entwicklung bei den CD-Spielern wiederholt, bleibt den Europäern als Geldbringer nur noch das Geschäft mit Fernsehern. Und da sind keine großen Zuwachsraten mehr zu erwarten.
Auch Max Grundig, der bisher technischen Neuerungen gegenüber stets aufgeschlossen war, mag nicht in die neue Klangtechnik investieren. Er bezieht seine CD-Spieler demnächst von Philips.
Dabei ist die Philips-Fabrik im belgischen Hasselt schon jetzt völlig überlastet. Im Juli rollten täglich 700 CD-Plattenspieler von den Bändern, zur Zeit sind es 900, zum Jahresende sollen täglich mehr als 1200 Geräte das Werk verlassen. Die Japaner aber bauen bereits 1983 rund 300 000 Abspielgeräte.
Die Philips-Manager müssen schon seit langem geahnt haben, daß sie wieder einmal ins Hintertreffen geraten. Noch bevor die ersten CD-Spieler die Fabrik in Hasselt verließen, baten sie die EG-Kommission um Schutz vor den Japanern.
Brüssel solle, so der Wunsch der Philips-Manager, die Einfuhrzölle für CD-Spieler auf 19 Prozent festsetzen, bisher gilt für Hi-Fi-Geräte ein Zoll von 9,5 Prozent. Dann, so die Rechnung, müßten die Japaner einschließlich des Systempartners Sony ihre Geräte um rund 200 Mark teurer verkaufen.
Die Asiaten nahmen die Herausforderung an, noch ehe die EG über die Erhöhung entschieden hatte. Vorletzte Woche kündigte der Elektronikriese Matsushita ein Modell an, das selbst bei höherem Einfuhrzoll in Europa noch um mindestens 100 Mark unter den Preisen für die Philips-Geräte bliebe.
Mit Compact Disc.