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FOTOINDUSTRIE Blende zu

Die Traditionsfirma Leica steht vor dem Aus. Zu lange hat der letzte namhafte deutsche Kamerahersteller den Trend zur Digitaltechnik unterschätzt.
Von Klaus-Peter Kerbusk
aus DER SPIEGEL 17/2005

Hanns-Peter Cohn gab sich ganz zuversichtlich. »Die Digitaltechnik«,erklärte der Chef der Kamerafirma Leica, sei »wie die E-Mail einAusdruck unserer Zeit« - also nur ein kurzes »Intermezzo«.»Fotografieren«, sinnierte der Manager im September in einemSPIEGEL-Interview, »ist etwas anderes, etwas Besinnliches - das wird esimmer geben.«

Zumindest für den traditionsreichen Kamerahersteller Leica ist daskeineswegs mehr gewiss. Wenige Wochen nach seiner vollmundigenEwigkeitsprognose für die herkömmliche Fotografie gab Cohn seinen Jobin der Leica-Zentrale im hessischen Solms auf. Mitte April musste auchCohns Nachfolger den Chefsessel räumen. Seither versucht der neueInterimschef Josef Spichtig, das Unternehmen vor dem finanziellenKollaps zu retten - Ausgang offen.

Die Umsätze brechen weg, und mit einem Minus von 15,5 Millionen Eurorutschte die Kultfirma im Ende März abgelaufenen Geschäftsjahr tieferin die roten Zahlen als je zuvor im vergangenen Jahrzehnt. Kommt EndeMai die eilig geplante Kapitalerhöhung nicht zustande, dürfte für dieFirma, in der vor 80 Jahren die erste Kleinbildkamera der Welt in Serieging, der Weg zum Konkursrichter unausweichlich sein.

Für Branchenkenner grenzt es ohnehin an ein Wunder, dass die Firmaals letzter bedeutender Vertreter der einst legendären deutschenKameraindustrie so lange überlebt hat. Unternehmen wie Rollei,Voigtländer oder Zeiss Ikon sind längst unter dem Ansturm derjapanischen Konkurrenten zusammengebrochen. Leica dagegen stellt nochimmer einen Großteil der bis zu 10 000 Euro teuren Kameras inHandarbeit her - und schien dennoch allen Umwälzungen des Fotomarkts zutrotzen.

Dabei mangelte es nicht an Krisen in dem 1869 von Ernst Leitz inWetzlar gegründeten Optik-Unternehmen, das sich zunächst auf Mikroskopespezialisiert hatte, ehe es sich 1925 mit den Leitz-Cameras (MarkennameLeica) zu einem Pionier der Fotografie wandelte. Schon Anfang dersiebziger Jahre, als Firmen wie Canon, Nikon und Minolta die japanischeOffensive einleiteten, stand die Firma am Abgrund. Nur der Verkauf andie schweizerische Industriellenfamilie Schmidheiny rettete die Firma,die alle technischen Spielereien der neuen Konkurrenten aus Asienstrikt ablehnte und stattdessen auf Präzision und Langlebigkeit ihrerKameras setzte.

Das Festhalten an der Tradition bewirkte Anfang der neunziger Jahreeine Renaissance der Kultmarke - innerhalb weniger Jahre verdoppeltesich der Umsatz auf umgerechnet über 100 Millionen Euro. Und dieSchweizer Besitzer sahen mit einem Mal eine gute Chance, die langekriselnde Firma doch noch mit Gewinn abzustoßen.

Der Börsengang im Jahr 1996 gab sogar schon eine Vorahnung auf denHype der bald folgenden Ära der New Economy. Fast 20fach überzeichnetwaren die zum Preis von umgerechnet 24 Euro angebotenen Aktien derLeica Camera AG.

Doch damals wie heute basierte das Geschäftsmodell auf dem PrinzipHoffnung. Bis zum Geschäftsjahr 1998/99, so die rosarote Prognose desdamaligen Managements, sollte der Umsatz auf 170 Millionen Euro steigen- ein Wert, der niemals erreicht wurde. Aus den versprochenen Gewinnenwurden bald herbe Verluste. Der 1999 als Sanierer berufene Cohn setztedie Schönfärberei seiner Vorgänger fort. »Wir haben Leica saniert undgehen jetzt in die Offensive«, verkündete er im April 2000, als nachdrastischen Kostensenkungen gerade wieder die Gewinnzone erreichtwar.

Ein Jahr später gab er das Motto aus: »Blende auf für schwarzeZahlen«. Die Haltbarkeit solcher Prognosen war begrenzt. Schon imGeschäftsjahr 2002/03 rutschte die Firma wieder tief in dieVerlustzone. Jetzt droht der endgültige Filmriss. Nun rächt sich, dassdie Traditionsfirma viel zu lange den Trend zur Digitaltechnikunterschätzte. Zwar hat Leica seit einigen Jahren auch Digitalkamerasim Programm, doch die stammen im Wesentlichen aus Japan und bringenkaum Geld in die Kasse.

Eine digitale Spiegelreflexkamera für hohe Ansprüche, wie sie Canon,Nikon und Minolta seit langem im Angebot haben, fehlt. EineKombi-Lösung, bei der analoge Spiegelreflexkameras mit ein paarHandgriffen in eine Digitalkamera verwandelt werden können, sollteeigentlich im Oktober auf den Markt gebracht werden und verzögert sichimmer weiter. Nach neuester Planung sollen die 4500 Euro teuren Adapterim Mai in die Geschäfte kommen.

Dann könnte es womöglich zu spät sein. Mindestens 22 Millionen Euromuss Leica bei den seit Jahren vom Kursverfall gebeutelten Aktionäreneinsammeln, um weitermachen zu können. Bislang haben nicht einmal diebeiden Großaktionäre, der französische Luxuskonzern Hermés sowie dieösterreichische Unternehmerfamilie Kaufmann, eine Garantie abgegeben,dass sie bei der Kapitalerhöhung mitziehen.

Derweil macht Betriebsratschef Edgar Zimmermann der Belegschaftunverdrossen Mut. In seinem Büro hängt eine Karikatur mit einem Frosch,der schon halb im Schnabel eines Storchs steckt. Mit letzter Kraftumklammert der Frosch den langen Hals des Vogels und verhindert so,gefressen zu werden. Die Deutung ist für Zimmermann klar: »Niemalsaufgeben.« KLAUS-PETER KERBUSK

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