STEUERN Blockierte Blockade
Es war ein Frevel. Als Hans-Olaf Henkel im Juli 1997 gegen den deutschen Föderalismus zu Felde zog, schrien Kommentatoren und Politiker aller Couleur Verrat. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) - mal wieder Rambo von Bonn.
Vergangene Woche erhielt Henkel Absolution von höchster Stelle. Der Industrieboß feilte in seinem Haus in Konstanz gerade am Manuskript seines Buches, das im Herbst erscheinen soll (Arbeitstitel: »Jetzt oder nie"), als die Kölner BDI-Zentrale ein E-Mail schickte.
Theo Waigel, so lautete die elektronische Botschaft, macht sich für eine »umfassende Reform des Föderalismus« stark. Der Bundesfinanzminister will im Finanzwirrwarr zwischen Bund und Ländern radikal aufräumen, er will mehr Wettbewerb im Staate - auch bei den Steuern.
Henkel ("Der Waigel hat völlig recht!") fühlte sich bestätigt. Denn nirgends zeigt sich die Lähmung des Föderalismus derart deutlich wie beim Verteilungskrieg ums liebe Geld, in dem Bund, Länder und Gemeinden sich verheddert haben.
Es sind die Tücken eines komplizierten Systems: Bislang werden 70 Prozent aller Steuereinnahmen in einen großen Topf geworfen und nach verworrenen Kriterien aufgeteilt und umverteilt. Eine stete Blockade ist die Folge.
Waigels Gegenvorschlag: Er will das System der Gemeinschaftsteuern weitgehend abschaffen, statt dessen sollen Bund und Länder über mehr eigene Einnahmequellen verfügen. In diesem Trennsystem, so der Fachjargon, könnten den Ländern die direkten Steuern zufallen, also Einkommen- und Körperschaftsteuer; dem Bund dagegen blieben die indirekten Steuern, also die Mehrwertsteuer und, wie bisher, Mineralöl-, Tabak- und Alkoholsteuer.
Das brächte nach Waigels Wettbewerbslogik einen doppelten Nutzen:
* Wenn jeder Finanzminister über eigene Einnahmequellen verfügt, müßten viele Steuergesetze nicht mehr gleichzeitig durch Bundesrat und Bundestag; wechselseitige Blockaden wie bei der großen Steuerreform wären blockiert.
* Zudem könnten die Länder darum wetteifern, wer die niedrigsten Steuersätze anbietet. Ein Land, das gut wirtschaftet, würde die Sätze senken, dadurch Investoren und Steuerzahler anlocken.
Die Idee ist nicht ganz neu. Wolfgang Schäuble, Fraktionschef der Union, macht sich in seinem Zukunftspapier dafür stark, Otto Graf Lambsdorff, Grandseigneur der Liberalen, plädiert schon lange »wider die Erstarrung in unserem Staat«, und die Finanzexperten der Grünen, Oswald Metzger und Christine Scheel, legten schon Wochen vor Waigel ein detailliertes Konzept vor.
Fast unbemerkt hat sich auch eine »große Koalition« dafür erwärmt, und zwar innerhalb der Reformkommission Soziale Marktwirtschaft, einem Expertengremium, dem auch die Bundestagsabgeordneten Friedrich Merz (CDU) und Siegmar Mosdorf (SPD) angehören. Auch Schattenwirtschaftsminister Jost Stollmann ist dafür.
Dennoch - es ist ja Wahlkampf - schlug Waigel von allen Seiten Ablehnung entgegen. Sein Vorschlag sei nicht praktikabel, sagte die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier. Und die Grünen warfen Waigel »wahltaktische Schaumschlägerei« vor.
Dabei wäre das Trennsystem die Rückkehr zu einem Modell, wie es die Verfassungsväter 1949 ins Grundgesetz geschrieben hatten. Allerdings machten die Länder vom Steuerwettbewerb keinen Gebrauch. Sechs Jahre später wurde das Trennsystem offiziell beerdigt und Einkommen- sowie Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. 1969 kam auch die Umsatzsteuer hinzu.
Der Länderfinanzausgleich, der die gröbsten Finanzkraft-Unterschiede zwischen den 16 Ländern beseitigen soll, führt seither ein wirres Eigenleben. Inzwischen sorgt er dafür, daß die Steuerunterschiede zwischen den Ländern zu 99,5 Prozent ausgeglichen werden: Fünf Länder zahlen, elf kassieren. Nimmt man alle Sonderzahlungen aus der Bundeskasse hinzu, dreht sich die Reihenfolge der Länder gar um: Bayern rutscht vom dritten auf den drittletzten Rang, Baden-Württemberg vom zweiten auf den zwölften.
Doch den Profiteuren ist kaum an einer Änderung gelegen. Sie haben alle Versuche von Bayern und Baden-Württemberg abgeblockt, das wirre System zumindest teilweise zu entrümpeln. Kein Wunder, daß Christiane Krajewski, Wirtschafts- und Finanzministerin des Saarlands, sofort Front gegen Waigel machte. Ihr Argument: Es sei »nicht zeitgemäß, über Steuerharmonisierung in Europa nachzudenken und gleichzeitig in Deutschland 16 verschiedene Steuergebiete zu schaffen«.
Gravierender ist der Einwand, die Länder könnten bei Verwirklichung der Waigel-Pläne den kürzeren ziehen. Schließlich will sich der Bund die stabile Mehrwert- und Mineralölsteuer sichern, während die Länder auf den Konjunkturrisiken der Einkommensteuer sitzenblieben.
Vorsorglich hat Waigel wissen lassen, eine andere Aufteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern sei möglich. Nur getrennt sollten sie eben sein.
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Aufteilung der Steuereinnahmen 1996
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