Aktienrückkäufe von US-Konzernen Doping für die Börse

Händler an der New Yorker Börse
Foto: Brendan McDermid/ REUTERSAuf den ersten Blick läuft es glänzend: Diese Woche hat der Dow Jones mal wieder einen Rekord gebrochen. Und nicht nur die Blue Chips schlossen auf einem Rekordhoch, auch der S&P 500 und der Nasdaq-Index erreichten bisher nie dagewesene Höchststände. Die Anleger vertrauen offenbar darauf, dass die US-Wirtschaft trotz aller Risiken weiter wächst.
Doch hinter dem schier nicht enden wollenden Börsenaufschwung steckt auch ein Faktor, der mit Konjunkturdaten wenig zu tun hat: die milliardenschweren Aktienrückkäufe der amerikanischen Konzerne. Sie sind das Doping, das den Märkten auch während widriger Umstände in den vergangenen Jahren zuverlässig den ultimativen Kick versetzt hat.
Nun aber droht der Stoff knapp zu werden, der nicht nur den Investoren, sondern auch vielen der mit Aktien entlohnten CEOs monetäre Glücksmomente verschaffte. Die Rückkäufe sind ins Stocken geraten. Und wenn es nach den Politikern der Demokraten geht, soll das Instrument zur Kurssteigerung eingeschränkt oder sogar ganz verboten werden.
Grundsätzlich haben Unternehmen eine Palette von Möglichkeiten, ihre überschüssigen Mittel einzusetzen. Sie können zum Beispiel
- ihre Beschäftigen besser bezahlen,
- in Maschinen, Fabriken, weitere Standorte oder neue Produkte investieren,
- höhere Dividenden ausschütten,
- oder eben Aktien des eigenen Unternehmens zurückkaufen.
Vor allem Großkonzerne haben sich in den vergangenen Jahren für die letzte Option entschieden. Mehr als 800 Milliarden Dollar haben die Firmen 2018 für Buybacks aufgewendet, dreimal so viel wie 2012. Vor allem die Tech-Konzerne lassen Geld auf das Parkett regnen. Allein Apple hat für die Aktienverknappung seit Anfang 2018 insgesamt 122 Milliarden Dollar ausgegeben. Aber auch Walmart, GM oder Boeing kauften Anteile zurück. Der Appetit der Unternehmen auf Aktien übersteigt den jeder anderen Investorengruppe, seien es Pensionsfonds oder Privathaushalte.
Genauso wie bei Dividenden fließt das Geld beim Rückkauf den Investoren zu, aus Sicht des Managements allerdings hat die moderne Ausschüttungsvariante viele Vorteile: Wenn Unternehmen Anteile zurückkaufen, löst das - zumindest kurzfristig - regelmäßig eine Kurssteigerung aus. Denn je weniger Aktien es gibt, desto mehr ist das einzelne Papier wert. Der Kuchen bleibt gleich, die Zahl der Esser sinkt. Das hübscht auf magische Weise auch die Quartalszahlen auf:
Selbst wenn der Gesamtgewinn stagniert, fällt er pro Aktie höher aus.
Große Teile von Trumps Steuerreform flossen in Aktienrückkäufe
Über den volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Transaktionen wird gestritten. Die Befürworter argumentieren, dass es doch sinnvoll sei, wenn ein Unternehmen nicht benötigte Finanzmittel freigibt, sodass das Geld in andere zukunftsträchtigere Bereiche fließen kann. Andere halten es für eine Schande, wenn ein Konzern nicht mehr weiß, wohin mit dem Geld. So verwendete die Wirtschaft die Entlastungen aus Trumps Steuerreform 2017 nur zum Teil für Investitionen, also für die Schaffung neuer Jobs. Große Teile flossen in Aktienrückkäufe.
Viele Politiker wollen dem nicht länger tatenlos zusehen. Die Präsidentschaftsbewerber Elizabeth Warren und Bernie Sanders haben angekündigt, Aktienrückkäufe einzuschränken. Im Kongress liegen mehrere Gesetzentwürfe, von denen einer das Instrument faktisch verbieten würde, das nach Ansicht der Senatorin Tammy Baldwin "Vermögensungleichheit und stagnierende Löhne fördert, indem es die langfristigen Wachstumsaussichten und Wohlstandsgewinne der Beschäftigten schädigt". Ihr Amtskollege Sherrod Brown fordert, dass die Unternehmen für jede Million Dollar an Aktienrückkäufen jedem Mitarbeiter einen Dollar spendieren. Jeder Beschäftigte der Bank JPMorgan Chase hätte 2018 dann 20.000 Dollar bekommen, rechnet Brown vor.
Auf seiner Website hat Brown ein Tool installiert, mit dem die Wähler ausrechnen können, welche "Arbeiterdividende" ihnen zustünde. Und immerhin auch ein Republikaner sieht Handlungsbedarf: Senator Marco Rubio aus Florida will die Attraktivität von Aktienrückkaufprogrammen mithilfe der Kapitalertragsteuer verringern.
Missbrauch durch die Manager
Der Corporate-Governance-Experte Jesse Fried bestreitet den Vorwurf, dass die Unternehmen zu viel Geld an die Aktionäre verteilten. Gemessen an den Erträgen sei die Quote der Kapitalinvestitionen und der Ausgaben für Forschung und Entwicklung so hoch wie seit Jahrzehnten nicht, argumentiert der Professor von der Harvard Law School. Ein Problem sieht er trotzdem: Das Instrument lade zum Missbrauch durch die Manager geradezu ein. Denn zum einen seien deren Boni oft an den Gewinn pro Aktie gekoppelt, der sich durch Rückkäufe steigern lässt. Vor allem aber profitierten sie von der künstlichen Kurssteigerung durch eigene Aktiendeals.
Eine Analyse der Börsenaufsicht SEC ergab, dass Insider in den acht Tagen nach einer Rückkaufankündigung doppelt so oft Aktien verkauften wie sonst. Das Magazin "The Atlantic" hat am Chef der Baumarktkette Home Depot vorgerechnet, wie lukrativ das sein kann. Die reguläre Vergütung von Craig Menear 2018 betrug 11,4 Millionen Dollar - die rund 100.000 Home-Depot-Aktien, die er nur ein paar Stunden nach der Ankündigung eines Rückkaufprogramms verkaufte, brachten ihm 18 Millionen Dollar ein.
In den kommenden Monaten aber dürfte die schlechtere Konjunkturlage den Boom der Buyback-Programme bremsen. Viele Finanzvorstände halten das Geld angesichts der unsicheren Zukunft inzwischen lieber zusammen, als es an die Aktionäre auszukehren. Im zweiten Quartal kauften die Unternehmen des S&P 500 nur noch für 191 Milliarden Dollar Aktien, ein Rückgang zum vorangegangenen Vierteljahr um 20 Prozent.
Die Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass im Wahljahr 2020 insgesamt nur noch 675 Milliarden Dollar in Rückkaufprogramme fließen werden. Freuen dürfte das nicht einmal die Kritiker. Denn die neue Sparsamkeit wird wohl auch die Investitionen und Forschungsausgaben treffen.