Börsen-Teufelskreis Wie Amerikas Banken ihr Renommee verzockten

Erst Bear Stearns, dann vielleicht Lehman Brothers oder andere? Hilflos taumeln US-Großbanken dem Abgrund entgegen - und wissen oft selbst nicht, welche Milliardenlasten ihnen noch drohen. Die Finanzmärkte geraten in Panik - der Spielraum der Geldhäuser wird dadurch noch kleiner.

Hamburg - Er ist zwar nicht mehr im Amt, aber seine Stimme hat immer noch Gewicht - vor allem, wenn es darum geht zu beruhigen: "Wir werden nie ein perfektes Risikomodell haben", schrieb Alt-Finanzmarkt-Guru Alan Greenspan gestern in der "Financial Times". Schon immer habe es an den Finanzmärkten die Ausschläge zwischen Euphorie und Angst gegeben, die Finanzblasen würden heute genauso wachsen und zerplatzen wie seit den Anfängen des 18. Jahrhunderts.

Die Botschaft des ehemaligen US-Notenbankchefs ist klar: Don't panic - allen aktuellen Turbulenzen zum Trotz. Ob der Rat von Greenspan tatsächlich befolgt wird, bleibt abzuwarten. Denn tatsächlich verstärkt die Fast-Pleite der US-Traditionsbank Bear Stearns den fatalen Eindruck, dass auch die großen Banken inzwischen nicht mehr wissen, wie sie sich einigermaßen unbeschadet durch die nicht enden wollende Kreditkrise steuern können.

Denn nach Bear Stearns  , die in letzter Sekunde durch JPMorgan übernommen und damit gerettet wurde, legen diese Woche auch andere Großbanken wie Goldman Sachs  , Lehman Brothers   und Morgan Stanley   ihre Zahlen vor. Gerüchten zufolge muss allein Goldman Sachs Abschreibungen im Wert von etwa drei Milliarden Dollar einräumen, es wird mit einem Rückgang des Ergebnisses von etwa 50 Prozent gerechnet. Investoren sprechen von einer "Woche der Wahrheit".

Dabei ist es nicht so, dass die Geldhäuser genau wüssten, welche Belastungen noch auf sie zukommen: "Die Bewertung der verbrieften Kreditpakete hängt stark davon ab, wie der Markt sich verhält", sagt Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Galten aber im Herbst 30 Prozent Abschreibungen als realistisch, sind es jetzt 50 Prozent - und keiner weiß, wann es 60 oder 70 Prozent werden." Das erkläre, warum die Banken so große Schwierigkeiten hätten, genaue Angaben zur Höhe ihrer Verluste zu machen.

"Der Finanzmarkt, der bislang als schneller, fairer Maßstab für die Bewertung von Papieren galt, ist für die betroffenen Bereiche zusammengebrochen", sagt auch Manfred Jäger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Es herrsche eine komplette Vertrauenskrise, die nicht einfach zu beseitigen sei. Ihn erstaunt es deshalb nicht, dass die Banken ihre Zahlen - so sie sie denn kennen - nur zögerlich veröffentlichen: "Die Märkte reagieren derzeit auf jede neue Informationen übertrieben - und drücken den Kurs nach unten."

"Es ist ein Teufelskreis"

Die hohe Nervosität der Finanzmärkte führt außerdem dazu, dass der Handlungsspielraum der Banken immer kleiner wird - obwohl sie dringend Geld brauchen: "Wenn sie beispielsweise Hedgefonds auffordern, ihre Sicherheiten zu erhöhen, müssen diese Wertpapiere verkaufen. Der Verkauf aber drückt den Kurs der Wertpapiere weiter und der Grad der Verschuldung steigt. Es ist also ein Teufelskreis", sagt IW-Experte Jäger.

Es sind aber auch die Banken selbst, die in den Augen der Experten Fehler gemacht haben, für die sie jetzt zur Verantwortung gezogen werden: "Man hat sich mit den hochrisikoreichen Kreditpaketen auf eine ziemlich waghalsige Transaktion eingelassen und immer darauf vertraut, dass es gutgeht", sagt Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Um sich auf den Märkten Geld zu besorgen, habe man außerdem Lücken in der Regulierung bewusst ausgenutzt: "Kredite an Tochtergesellschaften, die dann in die spekulativen Finanzprodukte gegangen sind, wurden etwa auf 364 Tage begrenzt - weil ab einem Jahr Eigenkapital hinterlegt werden muss." Die Banken seien also nicht durch Zufall in die Krise geschlittert.

"Innovationseuphorie" umschreibt DIW-Expertin Schäfer den Grund für die großen Probleme der Banken diplomatisch. Die Geldinstitute hätten lange geglaubt, nur weil sie ihre Kredite zu Paketen zusammenpackten, minimiere sich das Risiko. Jetzt herrsche Ernüchterung, wie damals nach dem Crash des Neuen Marktes. "Obwohl Spekulationen und Übertreibungen zum System gehören, empfiehlt sich immer eine gesunde Skepsis gegenüber hohen Gewinnen."

Klare Verantwortlichkeiten fehlen

"Dass verbriefte Kredite risikoreich sind, hätten die Banken wissen müssen", sagt auch IW-Experte Jäger. Das Problem sei, dass die strukturierten Kreditpakete so komplex seien, dass es keine klaren Verantwortlichkeiten gebe - und sich damit alle herausreden könnten. "Es sind nicht nur die Rating-Agenturen, auf die jetzt alle mit dem Finger zeigen, tatsächlich tragen alle eine Mitschuld." Jäger plädiert deshalb für mehr Transparenz: Im Nachhinein müsse immer klar sein, wer das Risiko trägt, wer verantwortlich ist und wer verantwortlich gemacht werden kann. "Wenn Sie einen Mietwagen mit Selbstbeteiligung haben, fahren Sie automatisch vorsichtiger als ohne."

Das haben inzwischen auch die Banken begriffen - und versuchen derzeit krampfhaft dem Eindruck entgegenzuwirken, aus reiner Gewinngier die Risiken fundamental unterschätzt zu haben. Seit Oktober arbeiten deshalb Finanzexperten des Welt-Bankenverbands an einem neuen Kodex, der mit konkreten Vorschlägen künftige Krisen verhindern soll. Damit will das "Institute of International Finance", das von Deutsche-Bank  -Chef Josef Ackermann geleitet wird, nicht nur das Vertrauen in die Banken wieder herstellen, sondern auch verhindern, dass Regulierungsbehörden oder Politik vorpreschen und strengere Regeln durchsetzen.

Dabei würde es schon reichen, wenn sich die Banken auf das besinnen, was Börsenexperte Wolfgang Gerke als "Rückkehr zur Normalität" bezeichnet: "Es gilt nicht nur das Prinzip der Rendite, sondern auch wieder die Beachtung des Risikos. Das ist die alte und einfache Tugend."

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