Börsengang Kabinett beschließt Teilprivatisierung der Bahn

Das Bundeskabinett hat heute die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn beschlossen. Verkehrsminister Tiefensee nannte erstmals einen Termin für den Börsengang. Ob es den gibt, ist äußerst fraglich. Der Widerstand in den Ländern ist groß.

Berlin - Die lange umstrittene Teilprivatisierung der Bahn ist auf den Weg gebracht: Das Kabinett billigte den Gesetzentwurf zur Privatisierung der Deutschen Bahn, wie ein Regierungsvertreter in Berlin mitteilte. Die Entscheidung sei einstimmig gewesen, hieß es weiter.

Wenn Bundestag und Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen, kann nach Einschätzung von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) in einem ersten Schritt bis spätestens Ende 2008 ein Anteil, "der unter oder um die 25 Prozent liegt", in private Hände gehen. Insgesamt können bis zu 49 Prozent privatisiert werden. Der Rest muss aus Verfassungsgründen beim Bund bleiben, da dieser laut Grundgesetz ein Schienennetz aufrechterhalten muss.

"Damit sind wir einen entscheidenden Schritt weiter bei der Umsetzung der Bahnreform II", erklärte Tiefensee nach der Kabinettssitzung. Das Gesetz zur Kapitalprivatisierung müsse sicherstellen, dass der Bund seiner verfassungsrechtlichen Gemeinwohlverpflichtung nachkommen kann. Der Staat habe eine Verantwortung für die Infrastruktur, gerade deshalb würden Schienen und Bahnhöfe beim Bund bleiben. "Das Netz bleibt beim Bund. Kein Investor erhält Zugriff auf nur einen Kilometer Schiene. Der Bund behält immer die Mehrheit der Aktien. Der Konzern bleibt integriert mit Netz und Betrieb erhalten", sagte der Minister.

Die Frage, ob die Teilprivatisierung über einen Börsengang oder einen Anteilsverkauf an private Investoren erfolgt, lässt der Gesetzentwurf offen. Der Entwurf sieht zudem vor, die sogenannte Sicherungsübertragung der Eisenbahninfrastruktur, also des rund 34.000 Kilometer langen Netzes, an die Bahn auf 15 Jahre zu begrenzen. Während dieser Zeit darf der Berliner Konzern das Netz bewirtschaften und bilanzieren.

Tiefensee kündigte außerdem den Börsengang der Bahn für Ende kommenden Jahres an - wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen. Genau das ist allerdings fraglich, denn vor allem von Seiten der Länder war massiv Kritik an dem Entwurf geübt worden. Sie befürchten eine deutliche Verschlechterung vor allem im Regionalverkehr. So muss der beschlossene Gesetzentwurf nach Ansicht des rheinland-pfälzischen Verkehrsministers Hendrik Hering (SPD) nachgebessert werden. "Insbesondere muss gewährleistet sein, dass der Regionalverkehr nicht unter den Plänen leidet", sagte Hering heute in Mainz. "Wir sehen auch das Risiko, dass die Länderhaushalte zunehmend zur Finanzierung des Nahverkehrs herangezogen werden", ergänzte er.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat den vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn als völlig inakzeptabel kritisiert. Die im Grundgesetz festgeschriebene Gemeinwohlverantwortung des Staates für die Schiene würde mit diesem Gesetz faktisch abgeschafft, erklärte der VCD. Der Verband forderte die Bundesländer dazu auf, dem Gesetzentwurf in der Verkehrsministerkonferenz am 2. August eine klare Absage zu erteilen.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hat mit heftiger Kritik an der Teilprivatisierung der Bahn reagiert. "Das zentrale Ziel der Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, droht durch die Privatisierung der Deutschen Bahn AG auf dem Abstellgleis zu landen", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki. Da werde ein Gesetzentwurf im Eilverfahren durchgepeitscht, der kaum Rücksicht auf die erheblichen Bedenken vieler Experten und Juristen nehme.

"Bürger nicht den Renditewünschen unterwerfen"

Die Bahn gehöre zur öffentlichen Daseinsvorsorge, erklärte Matecki. Deshalb lehne er die Teilprivatisierung weiterhin ab. Die Mobilität der Bürger dürfe nicht Renditewünschen der Kapitalmärkte unterworfen werden. Die internationalen Erfahrungen mit Bahnprivatisierungen seien negativ. Gravierende Nachteile für die Beschäftigten wie Leistungsabbau und Lohndumping könnten nicht ausgeschlossen werden.

Von Seiten der SPD-Linken kam grundsätzliche Kritik. Er habe noch kein überzeugendes Argument für einen Börsengang der Bahn gehört, hatte der Juso-Vorsitzende Björn Böhning im Vorfeld der Kabinettssitzung gesagt. Die großen Privatisierungswellen der neunziger Jahre hätten auf kommunaler Ebene gezeigt, dass man politische und demokratische Entscheidungsspielräume abgebe, ohne zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten durch mehr Geld in den Haushalten zu erhalten.

Der Fahrgastverband Pro Bahn warnte ebenfalls davor, beim geplanten Börsengang auch das Schienennetz zu privatisieren. Der Verbandsvorsitzende Karl-Peter Naumann sagte im Südwestrundfunk, für das Schienennetz müsse es eine staatliche Verantwortung geben, weil Strecken nicht überall betriebswirtschaftlich geführt werden könnten. Würde nur noch die Rendite zählen, sei zu befürchten, dass Strecken in der Region, die für die Menschen wichtig seien, stillgelegt würden. Den Kompromiss, das Schienennetz zunächst 15 Jahre bei der Bahn zu belassen und danach neu zu entscheiden, nannte Naumann zwar praktikabel, aber rechtlich äußerst fragwürdig.

Unter dem Namen "Bahn für alle" hatte heute ein Bündnis aus Umweltschutzverbänden, Globalisierungskritikern und Gewerkschaften vor dem Kanzleramt gegen die Teilprivatisierung demonstriert. Das Bündnis befürchtet ausgedünnte Fahrpläne und stillgelegte Strecken. Der Verkehrsexperte des BUND, Werner Reh, erklärte, nicht nur die Bahn, sondern das gesamte Streckennetz werde verramscht. Die Entscheidung sei unumkehrbar. Die Verkehrsexpertin von Robin Wood, Monika Lege, forderte Bundespräsident Horst Köhler auf, seine Unterschrift unter das Gesetz zu verweigern.

sam/Dow Jones/dpa/AP

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