Brandrede nach Tarifeinigung Alle gegen Mehdorn

Rüffel von allen Seiten: Union, SPD und Grüne sind empört über Bahnchef Mehdorn, der nach dem GDL-Tarifabschluss Jobs abbauen und Preise erhöhen will. Jetzt blasen die Gewerkschaften zum Gegenangriff. Experten sagen, Mehdorn übertreibe maßlos.

Berlin - Hartmut Mehdorn provoziert oft - doch der Sturm der Empörung, den er diesmal verursacht hat, ist selbst für die Verhältnisse des Bahn-Chefs ungewöhnlich. "Erst unterschreibt er den Kompromiss mit der GDL - dann tritt er", empört sich der Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann. CSU-Verkehrsexperte Hans-Peter Friedrich schimpft: "Man muss die Bahn davor warnen, den Abschluss mit der GDL als Erklärung für ohnehin geplante Rationalisierungsmaßnahmen zu benutzen." Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) rüffelt, es gebe keinen Grund "für ein wirtschaftlich so starkes Unternehmen wie die DB AG, sofort mit der Entlassung von Beschäftigten und der Verlagerung von Arbeitsplätzen zu drohen oder gar den Beschäftigungspakt aufzukündigen."

Nun bläst die GDL-Konkurrenzgewerkschaft GDBA zur Gegenattacke: Wenn die Sicherheit der Jobs bei der Bahn in Frage gestellt werde, "werden die Mitarbeiter bereit sein, dafür zu kämpfen", sagte GDBA-Chef Dieter Hommel zu SPIEGEL ONLINE. Und die Transnet springt bei: "Wenn Mehdorn jetzt einen Klimawandel will, werden wir eine Antwort finden."

In einer wahren Brandrede hatte der Bahn-Chef angesichts der Tarifeinigung mit der Lokführergewerkschaft GDL harsche Einschnitte angekündigt. Bei Arbeitsplätzen und auch Preisen werde es "Konsequenzen" geben, sagte Mehdorn, ohne Details zu nennen. Wegen der Kosten werde die Bahn an Konkurrenzfähigkeit verlieren: "Es werden also wettbewerbsfähige Arbeitsplätze bei der Bahn vernichtet mit allem, was da für die Beschäftigten dran hängt - bis hin zur Beschäftigungssicherung." Die GDL habe "beispielhaft" vorgeführt, wie "Minderheiten in einem Unternehmen sich auf Kosten der Gesamtbelegschaft bedienen".

Zwei Tage zuvor hatte es noch so ausgesehen, als kehre endlich Ruhe ein bei den Verhandlungen zwischen Vorstand und Lokführern. Bahn und GDL hatten sich nach monatelangem Gerangel auf Lohnerhöhungen von im Schnitt elf Prozent sowie eine Einmalzahlung von 800 Euro geeinigt. Doch Mehdorn findet, das sei "keineswegs ein Sieg der Vernunft", sondern eine "Niederlage nicht nur für die Bahn, sondern auch für den Standort Deutschland". Der Abschluss sei "schiere Schadensbegrenzung".

Die Bahn müsse nun 400 bis 450 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten jährlich stemmen, heißt es dieser Tage im Unternehmen. Eine realistische Summe, sagt Michael Holzhey, Bahnexperte bei der Unternehmensberatung KCW - allerdings werde dieser Tage bewusst unter den Tisch gekehrt, dass sie auch die Kosten des Abschlusses mit der GDBA und Transnet beinhalte. Die Tarifgemeinschaft der beiden GDL-Konkurrenten hatte Gehaltserhöhungen von 4,5 Prozent im vergangenen Jahr ausgehandelt sowie eine Neuordnung der Gehaltsstruktur, durch die nach Angaben der GDBA bis 2010 ebenfalls durchschnittliche Lohnsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich erreicht werden.

Der Anteil für die Lokführer an der in Bahnkreisen genannten Summe mache deshalb höchstens 60 bis 70 Millionen Euro aus, sagt Holzhey auf. FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich spricht von 50 bis 65 Millionen Euro im Jahr. Hätte die GDL sich ohne Sonderverhandlungen dem Abschluss der beiden anderen Organisationen angeschlossen, hätte die Bahn "höchstens 20 Millionen Euro im Jahr" gespart, schlussfolgert Holzhey.

Die Gesamtpersonalkosten für die rund 229.000 Mitarbeiter des Konzerns beliefen sich laut Geschäftsbericht 2006 auf rund 9,8 Milliarden Euro.

Die GDBA findet die zusätzlichen Lohnkosten von 400 Millionen Euro im Jahr "gerechtfertigt". "Die Mitarbeiter haben bei der Sanierung des Unternehmens jahrelang Vorleistungen erbracht. Eine Gegenleistung für den Beschäftigungssicherungsvertrag war, dass die Personalkosten etwa über flexiblere Arbeitszeiten um fünf Prozent gesenkt wurden", sagt GDBA-Chef Hommel. Nun sei das Unternehmen aber profitabel, "und die Mitarbeiter sind jetzt auch mal dran".

Tiefensee nennt den Tarifabschluss mit der GDL einen "guten Kompromiss", "der den Belangen der Beschäftigen, des Unternehmens und der Volkswirtschaft Rechnung trägt". Dass Tiefensee die Einigung verteidigt, mag auch damit zusammenhängen, dass der Durchbruch erst bei den letzten Gesprächen zwischen Vorstand und GDL-Vertretern in seinem Ministerium erreicht wurde. Doch auch CSU-Experte Friedrich sagt: Natürlich müsse sich jeder Gewerkschaftsführer über die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen von Tariferhöhungen im Klaren sein - "das gilt aber auch für den Konzernvorstand, der die Tarifeinigung mit unterschrieben hat".

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