Brexit-Plan der Regierung May "Ein ernster Schlag für Großbritanniens Finanzsektor"

Theresa Mays neueste Brexit-Vorschläge bekommen viel Applaus aus der britischen Industrie. Doch im wichtigsten Wirtschaftszweig herrscht Alarmstimmung: Bankenvertreter sehen den Zugang zum europäischen Markt in höchster Gefahr.
Londoner Bankenviertel Canary Wharf

Londoner Bankenviertel Canary Wharf

Foto: Reinhard Krause/ REUTERS

Theresa May hat für ihre jüngsten Brexit-Vorschläge bislang vor allem Kritik geerntet. Viele Hardliner wettern gegen die Pläne der britischen Regierungschefin, mit denen sie das Land auf einen weitaus sanfteren Brexit zusteuern möchte, als es bislang den Anschein machte. May gehe zu stark auf die EU zu, bemängeln sie.

Schützenhilfe bekamen die Hardliner am Freitag von US-Präsident Donald Trump, der gerade zu Besuch in Großbritannien ist: Trump drohte damit, Mays Vorhaben werde ein Handelsabkommen mit den USA unmöglich machen. Dabei habe er May doch erklärt, wie sie den Brexit anpacken solle, sagte Trump in einem Interview . "Aber sie hat nicht auf mich gehört."

Doch auch viele Anhänger der Remain-Bewegung sind wenig begeistert von Mays Plänen: Sie fragen, warum Großbritannien nicht gleich so eng an die EU angebunden bleibt wie etwa Norwegen.

Nur aus einer Ecke kommen anerkennende Worte: aus der Wirtschaft.

Führende Wirtschaftsvertreter haben die Pläne der Regierung begrüßt, die diese in einem am Donnerstag veröffentlichten Weißbuch konkretisiert hat. "Das ist ein massiver Schritt nach vorne und eine Gelegenheit für die EU, sich wirklich darauf einzulassen", sagte Carolyn Fairbairn, Generaldirektorin des einflussreichen Wirtschaftsverbandes CBI. "Die EU muss sich nun damit konstruktiv und flexibel auseinandersetzen, und so müssen es die Politiker aus allen Parteien tun. Das hier ist eine Frage des nationalen Interesses." Es dürfe nicht ein weiterer Tag verloren gehen.

Fairbairn, die in den vergangenen zwei Jahren intensiv für einen Brexit-Deal geworben hat, der die Interessen der britischen Industrie berücksichtigt, sagte, die Regierung habe "reale Fortschritte" beim barrierefreien Handel gemacht.

Mit ihrer Initiative schlägt Mays Regierung de facto eine Freihandelszone für Güter mit der EU vor. Das soll verhindern, dass es beim Handel mit Lebensmitteln, Agrarprodukten und anderen Waren Probleme gibt. Im Gegenzug soll Großbritannien weiter zahlreiche EU-Regeln befolgen - was für viele Brexit-Hardliner wohl der größte Stein des Anstoßes ist.

Damit geht May jedoch auf die Wünsche der Wirtschaft ein. Von dort kamen zuletzt immer deutlichere Warnungen vor massiven Einbußen, falls es in Sachen Handel zu keiner einvernehmlichen Lösung mit der EU kommen sollte. Airbus-Geschäftsführer Tom Williams etwa ging besonders weit: Er drohte unverhohlen damit, dass sich sein Konzern unter Umständen sogar aus Großbritannien zurückziehen könnte. Airbus beschäftigt in dem Land 14.000 Menschen direkt und 110.000 Menschen über Zulieferunternehmen.

Adam Marshall von der British Chambers of Commerce äußerste sich ebenfalls positiv über den jüngsten Vorstoß der Regierung. "Zumindest haben Unternehmen jetzt ein umfassenderes Verständnis davon, was für eine zukünftige Beziehung die Regierung mit der EU anstrebt", sagte Marshall. "Es hätte nicht zwei Jahre und drei Wochen dauern sollen, damit diese Vision hervortritt. Nichtsdestotrotz ist es ein guter Ausgangspunkt für Unternehmen." Beide Seiten müssten jetzt "pragmatisch und produktiv" zusammenarbeiten und die Details ausarbeiten.

Das größte Fragezeichen ist die Personenfreizügigkeit

Stephen Martin, Generaldirektor des Institute of Directors, erklärte, viele Unternehmenschefs hießen "die Details zum vorgeschlagenen Zollverfahren und die vorgeschlagene Freihandelszone für Waren" willkommen. "Das sollte den EU-Unterhändlern auch weniger Möglichkeiten geben, zu behaupten, sie könnten nicht voranschreiten, weil es keinen Plan aus Großbritannien gebe." Doch auch Martin bemängelte, dass das Weißbuch in zahlreichen wichtigen Bereichen unklar sei - und nannte als Beispiel Regelungen bei der Mehrwertsteuer. "Das größte Fragezeichen" hänge jedoch über der Frage der Personenfreizügigkeit.

In ihrem Weißbuch schlägt Theresa May vor, qualifizierten Arbeitskräften aus der EU auch weiterhin den Zuzug nach Großbritannien zu erlauben. Auch Studenten aus EU-Staaten sollen weiter in Großbritannien leben und studieren dürfen. Doch das Papier lässt offen, was unter "qualifiziert" zu verstehen ist. Wird sich diese Regelung beispielsweise nur auf Architekten, Ärzte und Ingenieure beziehen, oder auch auf Krankenschwestern und Facharbeiter?

"Die Regierung muss ihre Gespräche mit kleinen Unternehmen intensivieren, um herauszufinden, wie sich diese Vorschläge auf den tagtäglichen Betrieb dieser Unternehmen auswirken werden", sagte der Vorsitzende der Federation of Small Businesses, Mike Cherry.

Der wichtigste Sektor der britischen Wirtschaft, die Bankenbranche, zeigt sich von dem Vorstoß der Regierung jedoch gar nicht begeistert. In ihrem Weißbuch kündigt die Regierung zwar auch an, dass sie mit der EU ein Abkommen zu Finanzdienstleistungen aushandeln möchte. Doch dieses soll nicht so weitreichend sein wie die derzeitige "Passporting"-Regelung, die es britischen Finanzdienstleistern erlaubt, ihre Dienste EU-weit anzubieten. Auf die Geschäfte von Banken und Versicherungen dürfte das einen erheblichen Einfluss haben.

"Die Einwände waren immer politisch"

Vertreter des Finanzsektors stören sich vor allem daran, dass die Regierung offenbar nicht mehr plant, weiter auf eine gegenseitige Anerkennung von Regulierungen beider Seiten zu pochen. Eine solche Anerkennung würde es britischen Finanzdienstleistern theoretisch ermöglichen, ihre Geschäfte innerhalb der EU fortzuführen wie bisher.

Bei Hunderten von Gesprächen quer durch die EU sei die Finanzbranche mit ihren Vorschlägen nie auf unüberwindbare technische oder kommerzielle Barrieren gestoßen" sagte Miles Celic vom Branchenverband TheCityUK. "Die Einwände der EU waren immer politisch." Es sei nun "dringlich", dass in dieser Frage Fortschritte bei den Brexit-Verhandlungen gemacht würden.

Catherine McGuinness von der Lokalverwaltung der City of London bezeichnete das Weißbuch als "ernsten Schlag für Großbritanniens Finanzsektor und für damit verbundene professionelle Dienstleistungen".

Besonders fraglich ist für Experten, wie sich der Warenhandel von Finanz- und anderen Dienstleistungen künftig trennen lassen soll. Nick Owen von der Beratungsfirma Deloitte nannte den Versuch der Regierung deshalb "zu einfach". Viele Produkte, die in die EU verkauft würden, seien an Serviceverträge gebunden. Diese müssten Teil eines Brexit-Abkommens sein.

Und dann ist da ja noch die Frage, ob die EU überhaupt mitspielen wird bei den britischen Plänen. Bisher haben sich beide Seiten in den vergangenen zwei Jahren kaum aufeinander zu bewegt. Nun hat London zumindest einen Schritt gemacht - und wartet auf die Reaktion aus Brüssel.

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