S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Merkel ohne Wirtschaftsplan

CDU-Wahlplakate: Kaum Ehrgeiz
Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFPWahlprogramme sollte man nicht immer wörtlich nehmen. Gerhard Schröder entdeckte seine Agenda 2010 erst, nachdem er die Wahl 2002 gewonnen hatte. Im Wahlprogramm stand nichts davon. Insofern ist auch das Programm der Union nicht besonders wichtig. Der Machterhaltungsdrang der Kanzlerin stellt ohnehin alles in den Schatten. Aber so unvollkommen ein Wahlprogramm auch sein mag, es gibt uns Aufschluss über den intellektuellen Zustand der Parteien vor der Wahl.
In der vergangenen Woche schrieb ich über die leere Phrasendrescherei im Programm der SPD. Die Sozialdemokraten wollen schon das eine oder andere anders machen. Sie wollen beispielsweise die Finanzmärkte anders regulieren. Sie werden nur nicht sehr konkret. Das Herz schlägt auf der richtigen Seite, aber es schlägt sehr leise und unregelmäßig. Und ihr Kandidat ist volatil. Peer Steinbrücks Kritik an der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist erstaunlich.
Bei den Christdemokraten ist es anders. Selbst für eine konservative Partei mit konservativer Wirtschaftsideologie schockiert deren Programm, weil es kaum Ehrgeiz zeigt. Für mich persönlich ist der Tiefpunkt: "Deutschland fit machen für die digitale Zukunft". Die digitale Welt ist tatsächlich Neuland für die Union. Die digitale Zukunft wäre ein gutes Thema für den Wahlkampf im Jahre 1994 gewesen, als Helmut Kohl noch für das hochauflösende Analogfernsehen trommelte. Damals wäre die Forderung nach Computern in Schulen noch halbwegs originell gewesen. Aber für ein Wahlprogramm im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist es unsäglich müde.
Was die Kernwirtschaftsthemen angeht, so gibt es im CDU-Wahlprogramm exakt zwei: Wettbewerbsfähigkeit und geringere Staatsverschuldung. Dass konservative Parteien innerhalb konservativer Denkschulen argumentieren, sollte nicht überraschen. Dass Wahlprogramme Sachverhalte vereinfachen, ebenfalls nicht. Doch bei der CDU fällt auf, dass jedes makroökonomische Denken im Keim erstickt wird. Für die CDU reduziert sich Wirtschaftspolitik auf eben diese beiden Themen - die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Reduzierung von Schulden. Die Wirtschaft findet dort in der Wirtschaft statt.
Wo genau konkurrieren Angela Merkel und Shinzo Abe?
Die Forderung nach mehr Wettbewerbsfähigkeit ist in Deutschland schon fast eine Binse. Wenn man allein das Wort äußert, dann nicken die Zuhörer so stark mit dem Kopf, dass eine Genickstarre eintritt. Dass wir als Einzelpersonen miteinander im Wettbewerb stehen, ist für jedermann verständlich. Auch Firmen stehen im Wettbewerb. Warum dann nicht auch Länder? Ist doch logisch, oder?
Pustekuchen, nichts ist klar. Mercedes und Lexus konkurrieren im Markt für Luxusautos. Aber in welchen Märkten konkurrieren Deutschland und Japan? Angela Merkel und Shinzo Abe? Wenn Sie über die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten reden, dann müssen Sie diesen Begriff erst einmal definieren.
Die Makroökonomie kennt Faktoren, die Wohlstand und Wachstum ausmachen. Sie kennt verschiedene Kategorien von Produktivität, der pro Zeiteinheit geleisteten Arbeit. Aber das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit von Staaten kennt sie nicht. Leistungsbilanzen messen den Güterstrom aus dem Land heraus und in das Land hinein. Wenn ein Land einen Leistungsbilanzüberschuss hat, dann ist es per Definition in dem Moment wettbewerbsfähig, aber es ist eine beschreibende Momentaufnahme, keine Aussage über die Qualität einer Wirtschaft. Und Deutschland hat einen sehr großen Überschuss - von sechs Prozent der Wirtschaftsleistung.
Will die Union diesen Überschuss zum Ziel der Wirtschaftspolitik erheben? Wenn ja, dann sollte sie uns sagen, wie sie den aus Deutschland fließenden Kapitalstrom dann absichert. Und vor allem, wie sie unter dieser Voraussetzung den Euro-Raum stabilisieren will.
Außerdem kann ein Leistungsbilanzüberschuss schnell durch eine Aufwertung der Währung verschwinden. Im Euro-Raum sind die Wechselkurse für immer fest. Daher können Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen länger anhalten. Wie wir anhand der Euro-Krise erkennen, ist das kein Grund zur Freude, auch nicht für denjenigen mit den Überschüssen.
Alle sollen gleichzeitig Europameister werden
Und es ist völlig unlogisch zu fordern, dass alle wettbewerbsfähiger werden sollen. Das ist so, als würde man fordern, alle sollen gleichzeitig Europameister werden. Wohlstand und Wachstum können wir alle haben. Die Wettbewerbsfähigkeit, jedenfalls wie ich sie verstehe, ist aber ein ökonomisches Nullsummenspiel. Oder man muss sie irgendwie definieren, aber das geschieht nirgendwo.
Wie will die Union nun die wie auch immer definierte Wettbewerbsfähigkeit erhöhen - neben der digitalen Zukunft, der wir alle mit Vorfreude entgegenfiebern? Ein weiterer Vorschlag ist der Export des dualen Ausbildungssystems. Das erinnert mich an die sich im Kreis drehenden Diskussionen über das beste Wirtschaftsmodell. In den achtziger Jahren war es das japanische. Später das amerikanische. Jetzt ist das deutsche. In zehn Jahren feiern wir wahrscheinlich das griechische Wirtschaftswunder.

CDU-Wahlplakate: Platte Slogans und ein bisschen Merkel
Die Wahrheit ist dagegen nüchtern. Deutschland ist mit dem System der dualen Ausbildung gut gefahren. Das lag aber vorwiegend an dem hohen Grad der Industrialisierung. Deutsche Firmen profitieren von dem stetigen Zufluss an hochspezialisierten Arbeitskräften. Anderswo in Europa ist der Anteil von Dienstleistungen höher. Für diese Länder wäre unser System zu spezialisiert. Am deutschen Wesen wird nicht einmal Europa genesen.
Ich kann verstehen, dass ein volkswirtschaftlicher Diskurs für Politiker nicht unbedingt von Nutzen ist. Volkswirte streiten viel und laut, und das verwirrt die Politiker und vor allem die Wähler. Aber es gibt auch Dinge, die man ideologieüberschreitend weiß. Wir wissen, dass wir nicht alle Leistungsbilanzüberschüsse gleichzeitig haben können. Wir wissen, dass das Anschaffen von Computern in Schulen weniger zu einem Verständnis der digitalen Welt beigetragen hat als die Erfindung des iPads. Und wir wissen, dass die Reduzierung der Schulden ab einem bestimmten Punkt einen fallenden Grenznutzen hat.
Dieses Programm taugt nicht für die Regierungsarbeit. Das braucht es auch nicht, denn die Union ist eine Kanzlerpartei und keine Partei des intellektuellen Diskurses. Doch langfristig basiert politische Macht auf Ideen. Angesichts der intellektuellen Leere dieses Programms und der akuten Personalkrise der Partei sind die Langfristprognosen nicht gut.