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BRAUEREIEN Buße gelobt

Der Vorstandsvorsitzende der Münchener Löwenbrauerei sprach unangenehme Wahrheiten aus. Muß er nun gehen? *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Das Stück hat alles, was bayrisches Volkstheater ausmacht: ein zündendes Thema, Vollblut-Darsteller, einen Schurken - noch dazu schwäbisch - und eine deftige Inszenierung.

Die Hauptperson ist ein Mann namens Paul J. Greineder, Vorstandsvorsitzender der Löwenbräu AG. Der hatte auf der Bilanzpressekonferenz der Münchner Brauerei öffentlich das Reinheitsgebot für Bier in Frage gestellt - und seither die tiefere Bedeutung des Wortes bierernst erfahren müssen.

Was andernorts kaum jemanden erregt hätte, führte in Bayern zu tagelangem Streit mit öffentlicher Breitenwirkung. Der Brauerei drohte gar vom Münchner Oktoberfest ausgeschlossen zu werden - eine Schande ohnegleichen.

Den Schaden, den der Vorstandsvorsitzende da angerichtet hatte, versuchte Vertriebsvorstand Albert Riedl vergangene Woche wiedergutzumachen. Das gab dann auch noch eine Premiere ab: Wohl nie zuvor hat ein Vorstandsmitglied eine Pressekonferenz einberufen, um öffentlich seinen Chef abzukanzeln.

Der Sünder bekannte sich schriftlich schuldig ("mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa") und gelobte Buße: Er will nach Altötting pilgern und dort 1516 Kerzen stiften. Aus dem Jahr 1516 stammt die Ursache des Streites, das Reinheitsgebot.

Das Gelübde hat den öffentlichen Zorn gedämpft, Löwenbräu muß um seine Schanklizenz fürs Oktoberfest nicht länger fürchten.

Vom Chef des Hauses, öffentlich an den Pranger gestellt, ist nichts mehr zu sehen und zu hören. Der Mann habe, so Kollege Riedl, »einen persönlichen Stammtisch mit einer Pressekonferenz verwechselt«. Und er lag, so Gerhard Ohneis vom Verband Münchner Brauereien, auch noch »völlig falsch«.

Führt also ein Laie die Geschäfte bei Löwenbräu? Wohl eher ein Mann, der, wenn auch am falschen Ort, unangenehme Wahrheiten ausspricht. Der Schwabe Greineder beging gleich ein dreifaches Sakrileg: Er kratzte am Reinheitsgebot, er lobte ausländisches Bier, und er redete über Schadstoffe in deutschem Bier.

Das Reinheitsgebot ist ein Dogma, in Bayern mehr als anderswo. Jahrelang hatten die deutschen Brauer erfolgreich die Grenzen gegen nicht nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier abgeschottet. Erst im vergangenen Jahr fielen, nach einem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs, die Schranken.

Bei dem Verfahren hatten die Deutschen auch deshalb schlechte Karten, weil sie sich selbst nicht an die reine Lehre halten. Zumindest können sie, sofern ihre Braustätte nicht in Bayern oder Baden-Württemberg liegt, eine entsprechende Ausnahmeregelung für den Export beantragen. Die Anträge wurden reichlich gestellt, nur Gebrauch will keiner davon gemacht haben.

Greineder hätte gegen Mais und Reis in deutschen Sudkesseln nichts einzuwenden, selbst Ascorbinsäure schreckt ihn nicht. Mit solchen Stoffen ließe sich die Haltbarkeit des deutschen Export-Biers erhöhen, das weite Wege zum Trinker zurücklegen muß.

Bislang hatte die Branche stets die besondere Qualität des reinen deutschen Bieres gepriesen - für Greineder alles nur Propaganda. Im Ausland, erklärte der Löwenbräu-Chef, würden Biere gebraut, die es »mit unseren Bieren durchaus aufnehmen können«.

Und als ob es damit nicht schon genug gewesen wäre, machte sich der Löwenbrauer auch noch öffentlich Sorgen um die Reinheit der Rohstoffe. Gegen die Belastung des Wassers mit Nitrat oder des Hopfens mit Insektiziden und Pestiziden schützt kein Reinheitsgebot.

Von all dem darf Greineder jetzt nichts mehr wissen. Auch diese Äußerungen seines Chefs nahm Riedl vor der Presse voll zurück.

Nun rätselt die Branche, wie lange Greineder noch im Amt bleiben darf. Der Privatbankier August von Finck, der Löwenbräu vor knapp sechs Jahren übernahm, hat bereits zwei Vorstandsvorsitzende verschlissen.

Von den Vorstandsmitgliedern, die von Finck einsetzte, hat sich nur einer lange halten können: Albert Riedl.

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