KONZERNE Chance vertan
Dieter Spethmann wollte Anfang Dezember seine Aufsichtsräte besonders gründlich informieren. Der Thyssen-Chef ließ Schaubilder und Tabellen auf eine Leinwand werfen und kommentierte die Lage des Konzerns - vorwiegend freundlich.
Die Aufsichtsräte jedoch sahen das alles ganz anders. Der Generaldirektor hatte seinen Bericht kaum beendet, da kam Unmut auf.
Der Konzern, meinte Wilfried Guth, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, befinde sich in einer ernsten Lage. Ähnlich urteilte auch Aufsichtsratschef Harald Kühnen, Präsident des Bankenverbandes. Er sehe die Gefahr, daß Thyssen in eine Schieflage geraten könne.
Da ist Europas größter Stahltrust (Umsatz: 28 Milliarden Mark) wohl schon. Allein beim Stahl und mit einer Tochter in den USA hat das rheinische Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr Verluste von rund 800 Millionen Mark angesammelt.
Schuld daran ist nicht allein die allgemein schlechte Lage der Hütten. Weitaus mehr hat dazu nach Meinung der Aufsichtsräte das schlechte Management beigetragen.
Die Kritik konzentriert sich jetzt auf Spethmann. »Das war«, so ein Teilnehmer der letzten Aufsichtsratssitzung, »eine der härtesten Konferenzen, die ich je erlebt habe.«
Auch im Thyssen-Vorstand selbst werden Zweifel an Spethmanns Leistung laut, seit klar ist, wie teuer die Investition in die US-Firma Budd wurde. Der Hersteller von Autobremsen, Fahrzeugrahmen und Eisenbahnwaggons machte im vergangenen Geschäftsjahr einen Verlust von rund 400 Millionen Mark.
So wie Thyssen im Fall Budd hat noch kein anderer deutscher Konzern beim Firmenkauf danebengegriffen. Seit der Übernahme im Jahre 1978 hat die Mutter am Rhein in die Tochter aus Troy bei Detroit mindestens 1,6 Milliarden Mark gesteckt.
Spethmann hätte es eigentlich besser wissen müssen. Die Firma Budd war in einigen Sektoren technisch hoffnungslos zurück. Die Straßenkreuzer von General Motors, Ford und Chrysler wurden schon jahrelang serienmäßig mit Scheibenbremsen ausgerüstet, da hantierten Budd-Techniker noch immer mit verfeinerten Trommelbremsen.
Überdies prophezeiten Experten den amerikanischen Autoherstellern damals eine schwere Flaute. In der Tat: Das 3,3 Milliarden Mark umsatzschwere Unternehmen aus Michigan war kaum im Besitz der Rheinländer, da sackte Budd mit der Autobranche in die Verlustzone ab.
Spethmann ließ seine Manager in den USA trotzdem gewähren. Erst als sich bei der Tochterfirma immer größere Verlustlöcher auftaten, kommandierte er einen Managerstab aus Düsseldorf nach Troy ab. Doch die Experten waren mit dem Markt in Übersee wenig vertraut; bei vielen Entscheidungen griffen sie völlig daneben.
So verlegte sich Budd mehr auf den Bau von Eisenbahnwaggons und Zubehörteilen für den Schienenverkehr. Die
Umstellung kam übereilt und zum falschen Zeitpunkt. Der Markt für Waggons ist inzwischen völlig zusammengebrochen.
Dennoch meinte Spethmann noch im Frühjahr vor Aktionären, die amerikanische Tochter »ist und bleibt eine gute Investition«. Für 1984, so der Thyssen-Chef, rechne er mit der Konsolidierung von Budd.
Wenn es überhaupt dazu kommt, dann offenbar zu spät. Der Konzern, so meinen die Aufsichtsräte, wäre mit dem Budd-Konzept des ehemaligen Finanzchefs Klaus Kuhn besser gefahren. Der hatte schon 1979 für eine gründliche Sanierung und für die sofortige Stillegung unrentabler Fabriken plädiert.
Das schien Spethmann damals zu teuer. Er fürchtete die massive Kritik seiner Aktionäre, wenn deshalb 1980 die Dividende ausbliebe.
Doch die Kritik dürfte jetzt noch weitaus schärfer ausfallen. Auf Jahre hinaus, so meinen Insider, sei bei Thyssen nicht mehr mit Gewinnausschüttung zu rechnen.
Es sei typisch für Spethmann, monierte vergangene Woche ein Aufsichtsrat, daß er sich um Entscheidungen herumdrücke: »Statt dessen laviert er nur.« Der Thyssen-Chef tue sich schwer damit, das Stahlunternehmen in einen krisenfesten Konzern mit vielfältigen Interessen umzuwandeln.
Kollegen im Vorstand kreiden Spethmann auch an, daß er bei den Fusionsverhandlungen mit Krupp-Stahl falsch taktiert habe. Während Vorstandsmitglied Heinz-Gerd Stein und die Chefs einiger Tochterfirmen von Anfang an für einen Zusammenschluß plädierten, war Spethmann nur für eine Teilfusion im Edelstahlbereich zu haben.
Der Vorstandschef war, vermuten Insider, mit seiner Forderung nach Bonner Hilfen in Höhe von 1,2 Milliarden Mark von vornherein auf ein Nein der Bundesregierung aus. Der Subventionsantrag wurde denn auch prompt abgelehnt.
Der Konzern habe damit, argumentieren Spethmanns Kritiker, eine große Chance vertan. Zusammen mit Krupp hätte Thyssen eine Vormachtstellung auf den westlichen Märkten erreichen und nach der jetzigen Fusions- und Pleitewelle unter den dann stark geschrumpften Anbietern die Preisführerschaft übernehmen können.
Seit dem Bruch mit Krupp läßt vor allem Spethmann-Vorgänger Hans-Günther Sohl keine Gelegenheit aus, seinen Nachfolger zu kritisieren. Der einstige Gönner des Thyssen-Generals ist inzwischen zu einem erbitterten Gegner geworden.
Der Ehrenvorsitzende im Konzern-Aufsichtsrat macht kein Hehl mehr daraus, daß er lieber einen anderen Mann an der Spitze von Thyssen sähe: etwa Klaus Liesen, den Chef der Ruhrgas AG.