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Shanghai

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Foto: Wangwukong / Getty Images

Risiken für VW, BMW und Daimler Die fatale China-Abhängigkeit der deutschen Autobauer

Der Zoll- und Wirtschaftskonflikt zwischen China und dem Westen spitzt sich zu, für Deutschlands Autobauer wird es ungemütlich: Würden sie eine Eskalation verkraften?
aus DER SPIEGEL 15/2022

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Um zu Stephan Wöllenstein vorzudringen, muss man die strengen Covid-Regeln umgehen. Der Chinachef von Volkswagen residiert in der Pekinger Konzernzentrale namens »V-Space«, einem siebenstöckigen Glaswürfel mitten in der Hauptstadt, eigentlich ein geschäftiger Ort. Doch an diesem Dienstag Ende März ist nur wenig los. Die Coronavorschriften wurden verschärft, das Gebäude ist für externe Besucher gesperrt. Wöllenstein muss eine Sondergenehmigung gewähren, damit das Gespräch mit dem SPIEGEL überhaupt stattfinden kann.

Aus: DER SPIEGEL 15/2022

Das Fanal von Butscha

Hinrichtungen, Folter, Vergewaltigungen – über vier Wochen hinweg haben mutmaßlich russische Truppen in der Kleinstadt Butscha gewütet. Überlebende berichten von grauenhaften Szenen. Der Westen verhängt nun neue Sanktionen gegen Moskau. Und Ermittler bereiten Anklagen gegen die Tatverdächtigen vor.

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Es sind schwierige Zeiten, für China genauso wie für die Wolfsburger. Dass die Produktion in den VW-Werken in Shanghai und Changchun wegen der rigiden Null-Covid-Strategie der chinesischen Führung immer wieder stillsteht, ist nur eines von vielen Problemen. Wöllenstein spricht von einer »hohen Volatilität« des Wirtschaftsgeschehens aufgrund der Pandemie, von Auswirkungen auf die Lieferketten und »extrem hohem Stress für die Kollegen, die von Tag zu Tag gucken müssen, was geht und was nicht geht«. Dass China in diesem Jahr erneut eine fulminante wirtschaftliche Aufholjagd gelinge wie bereits nach dem Konjunktureinbruch 2020, sei »noch nicht sicher«.

Für Volkswagen und die gesamte deutsche Autoindustrie braut sich in China so etwas wie der perfekte Sturm zusammen. VW, BMW und Mercedes hängen am Tropf der Weltmacht, 30 bis 40 Prozent ihrer Fahrzeuge setzen sie dort ab. Auch bei der Elektromobilität geht fast nichts mehr ohne das Reich der Mitte: Die Deutschen sind beim Bezug von Kerntechnologien wie Batteriezellen weitgehend auf asiatische Hersteller angewiesen. Trotz Covid und Konjunkturflaute entwickelt sich China zur dominierenden Technologiemacht.

Die Zeiten, in denen die deutschen Autobosse weitgehend ungetrübt ihre Globalisierungserfolge feiern konnten, sind erst mal vorbei. Die Ukraine-Invasion führt ihnen gerade schockartig vor Augen, dass Abhängigkeiten wie jene vom russischen Gas schlimmstenfalls zum Stillstand kompletter Industriezweige führen können. Und das China-Risiko ist für die Autobauer sogar noch erheblich größer.

Entsprechend ausgeprägt ist die Sorge in den Konzernzentralen. Der Industrielobbyverband BDI, der China schon vor Jahren als »systemischen Wettbewerber« bezeichnet hat, spielt in internen Arbeitspapieren Szenarien durch, die »Interdependenz mit autokratischen Regimen« auf den Prüfstand zu stellen. Sprich: sich unabhängiger zu machen. Ein »starkes Europa« müsse sich gegebenenfalls »wirtschaftlich noch weiter ins westliche Bündnis« integrieren.

Aber wäre eine Schlüsselindustrie wie die Autobranche ohne die enge Verflechtung mit China überhaupt noch überlebensfähig? Ist die Abhängigkeit vom gesamten asiatischen Raum nicht längst viel zu groß?

»Die Zukunft von Volkswagen wird sich auf dem chinesischen Markt entscheiden.«

Herbert Diess, VW-Konzernchef

Daimler etwa hat den Schwerpunkt seiner Geschäfte binnen 15 Jahren drastisch verlagert. Mit dem Verkauf von Chrysler und zuletzt der Abspaltung des US-lastigen Lkw-Geschäfts ist der Absatzanteil Chinas von weit unter 10 auf mehr als 30 Prozent gestiegen, wichtigste Aktionäre sind nicht mehr heimische Finanzgrößen wie die Deutsche Bank, sondern der chinesische Staatskonzern BAIC sowie Li Shufu, Eigner des Autoherstellers Geely. Mercedes-Benz sei »von einem transatlantischen zu einem eurasischen Unternehmen geworden«, sagt Sven Behrendt, Chef der Unternehmensberatung GeoEconomica.

Bei BMW und Volkswagen sieht es nicht viel anders aus. Für VW etwa wäre ein Abschwung auf seinem wichtigsten Absatzmarkt dramatisch. Ohne die zweistelligen Milliardenumsätze, die der Konzern Jahr für Jahr in China erwirtschaftet, könnte er seine geplante Transformation zum Elektro- und Hightech-Konzern wohl kaum stemmen. VW beschäftige heute 20.000 bis 30.000 Entwicklungsingenieure, betont Konzernchef Herbert Diess, »nicht zuletzt dank unserer chinesischen Kunden«. Die Zukunft von Volkswagen, sagte er einmal, »wird sich auf dem chinesischen Markt entscheiden«.

Die Deutschen haben sich den Chinesen ausgeliefert, auch bei der Beschaffung. 60 Prozent des Aluminiums und 80 Prozent des Batterie-Minerals Grafit kommen aus China. Zudem fördert das Land rund zwei Drittel der Seltenen Erden. Auch in der Weiterverarbeitung dieser Hightech-Rohstoffe, etwa für den Einsatz in Batteriezellen, dominiert China den Weltmarkt. Die Batteriehersteller des Landes halten weltweit knapp 50 Prozent Marktanteil.

China und VW, das war über Jahrzehnte hinweg eine der größten Erfolgsstorys der deutschen Industriegeschichte, mehr noch: das Symbol einer scheinbaren Symbiose zweier Volkswirtschaften zu gegenseitigem Nutzen. Doch mittlerweile ist das Kräfteverhältnis zwischen dem Traditionskonzern und der aufstrebenden Technologiemacht gekippt – zugunsten der Chinesen.

Bei einem Treffen der VW-Topmanager im September 2021 warnte VW-Markenchef Ralf Brandstätter vor der Stärke chinesischer Wettbewerber. Erst kürzlich habe er ein E-Auto des Start-ups Xpeng gefahren – und sei beeindruckt gewesen. Die Chinesen beherrschten nicht nur E-Antrieb und Digitaltechnik, sondern verbesserten sich auch bei Qualität und Verarbeitung. Das Problem der Wolfsburger: Statt sich auf Billigautos zu beschränken, dringen die Chinesen, wie bereits Tesla, zunehmend in ihre Domäne vor, die Mittelklasse. Im November wandte sich Konzernboss Diess mit einer Warnung an die Belegschaft: »Der nächste Golf darf kein Tesla sein! Der nächste Golf darf nicht aus China kommen! Die nächste Ikone muss wieder ein Wolfsburger sein!«

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