Chinesische Auto-Kopien Piraten, Plagiate, PS-Boliden

Ein Bus wie ein MAN-"Starliner", Geländewagen mit BMW-Optik und ein Smart, der keiner ist - die deutschen Autobauer sind ein Hauptziel fernöstlicher Fälscher. Doch wirklich gern gehen sie nicht gegen die Chinesen vor.

Shanghai - Chinas Präsident Hu Jintao und sein Premier Wen Jiabao predigen gern "Harmonie" - gegenüber den Untertanen, aber auch gegenüber ihren ausländischen Gästen. Damit wollen die kommunistischen Führer die wachsenden Spannungen überdecken, die der rasante Aufstieg der Volksrepublik allenthalben erzeugt - im Inneren wie im Äußeren.

Harmonie wünscht Peking sich auch von Berlin. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die derzeit China besucht, feiern die roten Gastgeber die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 35 Jahren. Von der Freundschaft profitierten bislang beide Länder, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Nun allerdings wächst bei deutschen Firmen die Angst - darüber, wie unverfroren die Chinesen ihre Hochtechnologie ausspähen.

Die Klage aus Fernost traf Ron Hillmann völlig unvorbereitet, der Absender klang exotisch, der Anlass bizarr: Ein Gericht in der ostchinesischen Stadt Yancheng lud den Berliner Blogger vor, weil er dem lokalen Bus-Hersteller Zonda Produktpiraterie unterstellt habe.

In seinem Web-Blog "autoregional.de" hatte Hillmann berichtet, dass Zonda mit dem Bus "A9" das preisgekrönte Design des deutschen "Starliners" - eines Modells der MAN-Tochter Neoplan - abgekupfert habe. MAN hatte Zonda damals wegen Patentverletzung verklagt, und Hillman kommentierte den Vorgang so: "Wie schnell und skrupellos die Chinesen im Kopieren sind, zeigt dieses Beispiel."

Zwar gab der Berliner in seinem Blog praktisch nur wieder, was große deutsche Medien zuvor berichtet hatten, doch das scherte die Chinesen nicht. Sie verklagten Hillmann auf öffentliche Entschuldigung und Schadensersatz. Außerdem sollte sich der Deutsche verpflichten, seine Vorwürfe nie mehr zu wiederholen.

Angriff ist die beste Verteidigung

Die scharfe chinesische Reaktion auf ein Blog, das selbst in Deutschland kaum einer kannte, sorgte Anfang dieses Jahres bundesweit für Aufsehen. Woher, so wurde gerätselt, nahmen die Chinesen die Dreistigkeit, einen Gegenangriff zu starten - in einem Fall von angeblichem Ideenklau, den MAN-Vizechef Franz Neundlinger zuvor als "absolut glasklar" bezeichnet hatte?

Im Yanchang, etwa vier Autostunden nördlich von Shanghai, koordiniert Anwalt Pan Dexi, 39, die juristische Offensive sowohl gegen Hillmann als auch gegen MAN - auch den deutschen Hersteller hat Zonda umgehend verklagt, wegen unlauteren Wettbewerbs.

Pan sitzt an seinem Computer in der Rechtsabteilung der Zonda-Zentrale, der Anwalt trägt ein kurzärmeliges blaues Hemd mit dem Zonda-Emblem, ständig wird er unterbrochen, immer wieder klingelt sein Handy. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Akten wild übereinander, und auch sonst sieht es hier reichlich verwahrlost aus: Die vergilbte Tapete löst sich von den Wänden, die Sitze sind teilweise so durchgesessen, dass der gelbe Schaumstoff herausquillt; auf den Fensterscheiben klebt eine Schicht aus Ruß und Staub.

Doch der chaotische Eindruck täuscht: Die Rechtsabteilung von Zonda - außer Pan wirken hier zwei andere Anwälte und fünf weitere Mitarbeiter - arbeitet höchst professionell, und der Streit mit dem deutschen Nutzfahrzeuge-Hersteller MAN läuft derzeit für Zonda gar nicht so schlecht. Pan lächelt siegesgewiss, seine Strategie lässt sich so umschreiben: "Angriff ist die beste Verteidigung." Am Ende, da ist Pan sich sicher, dürfte sich Zonda mit MAN außergerichtlich einigen.

Er habe Familie, sagt Hillmann

Der Fall Zonda besitzt Symbolwert. Denn die viertgrößte Industrienation strotzt mittlerweile nur so vor Selbstbewusstsein. Immer häufiger beantworten die Chinesen ausländische Vorwürfe wegen Produktpiraterie ihrerseits mit aggressiven Gegenkampagnen - vor allem, um westliche Firmen abzuschrecken: So hat sich der Berliner Blogger Hillmann bereits kleinlaut bei Zonda für seine Plagiatsvorwürfe entschuldigt. Er habe Familie, sagt Hillmann, von der Klage aus China spürbar eingeschüchtert, er könne es sich nicht leisten, sich mit den mächtigen Chinesen anzulegen.

Und das gilt auch für MAN, glaubt Zonda-Jurist Pan. Er vertraut darauf, dass der deutsche Hersteller keinen langjährigen Rechtsstreit mit Zonda riskieren wird. Allein, dass der A9 von Zonda mittlerweile in westlichen und chinesischen Medien oft mit dem fast identisch aussehenden deutschen "Starliner" verglichen werde, erzeuge "einen Werbeeffekt" für Zonda, sagt er.

Auch mächtige Konzerne fürchten China

In China verkauft sich der A9 - er kostet nur ein Drittel des deutschen Modells - jedenfalls prächtig, und auch im übrigen Asien und in Nahost findet das Modell lebhaftes Interesse. Für die Zukunft erwägen die Chefs von Zonda gar die Expansion nach Deutschland.

Auf dieser steilen Erfolgskurve will Zonda sich nicht von den Deutschen bremsen lassen. Denn dafür mussten die beiden Bosse - das Brüderpaar Xu Liankuan, der Präsident, und Xu Lianguo, der Chairman - sich viel zu hart emporarbeiten.

Einst fingen die beiden Chinesen als kleiner Kfz-Reparaturbetrieb an. Anwalt Pan zeigt auf ein Poster an der Wand, darauf ist eine Lackieranlage abgebildet, die Zonda mittlerweile auch produziert. Anfangs brauchten die Brüder eine solche Anlage dringend für ihren Betrieb - aber ihnen fehlte das Geld, sich das nötige italienische Produkt zu kaufen. Also reisten sie an Orte, wo die Maschine in Betrieb war, und nahmen sie unter die Lupe. Anschließend bauten sie sich selber so eine Anlage - und begründeten so den Erfolg des Unternehmens Zonda.

Verblüffende Ähnlichkeit mit BMW und Smart

Und diesen Erfolg will sich Zonda auch von einem kleinen Blogger wie Hillman nicht kaputtschreiben lassen. Die Klage gegen den Berliner will Firmenjurist Pan solange nicht zurückziehen, bis man sich auch mit MAN "freundschaftlich" geeinigt hat. Überdies geht es den Chinesen auch nicht nur um den Blogger, sondern um die deutsche Presse insgesamt: Sie soll von den Chinesen eingeschüchtert werden.

Die Zahl der Streitigkeiten zwischen westlichen Firmen und chinesischen Raubkopierern lässt sich kaum noch überblicken. Doch selbst mächtige westliche Konzerne schrecken davor zurück, gegen chinesische Abkupferer vor Gericht zu ziehen. Sie fürchten um ihr Image auf dem immer wichtigeren Absatzmarkt China. Denn oft appellieren beklagte chinesische Firmenbosse an den Patriotismus ihrer Landsleute; geschickt vergleichen sie westliche Konzerne mit den ausländischen Imperialmächten, die das Reich der Mitte im 19. Jahrhundert gewaltsam unter sich aufteilten.

Insbesondere die deutsche Autoindustrie hält sich mit öffentlichen Vorwürfen an die Chinesen nervös zurück - obwohl sie zu den Hauptangriffszielen chinesischer Produktpiraten zählt.

Auch Chinas Autobauer Shuanghuan würde vermutlich umgehend mit einer Gegenklage antworten, wenn er der Abkupferei bezichtigt würde. Doch an seinem Firmensitz in Shijiazhuang, der Hauptstadt der nordchinesischen Provinz Hebei, stellt Shuanghuan zwei Modelle aus, die verblüffende Ähnlichkeit mit deutschen Fabrikaten aufweisen: mit dem BMW-Geländefahrzeug X5 und dem Kleinwagen Smart.

Stolz auf Ceo

Es ist ein normaler Werktag in China, doch bei Shuanghuan drängeln sich die potentiellen Käufer. Zur Probe besteigen sie den Ceo - das Gefährt, das fast wie ein BMW X5 aussieht. Bei Shuanghuan sind sie stolz auf ihr Fabrikat: Im vergangenen Herbst erreichte ein Konvoi mehrerer Ceo-Wagen ein Basis-Camp am Mount Everest, ohne Panne. "Das ganze chinesische Volk" könne stolz auf diese Errungenschaft sein, heißt es in der farbigen Shuanghuan-Broschüre.

Neben dem Ceo stehen mehrere Kleinwagen der Marke Nobel aufgereiht. Beim Nobel ist die Ähnlichkeit mit dem deutschen Original noch frappierender. Aber es handele sich nicht um eine Kopie, der Nobel sei ein rein chinesisches Produkt, betont Shuanghuans Vize-Präsident He Zeguo. Zum Beweis öffnet der Chinese die Motorhaube vorne - das sei anders als beim Smart, der ja von hinten angetrieben werde, sagt er.

"Die Deutschen brauchen keine Angst zu haben"

Der Ausstellungsraum von Shuanghuan ist auf Wachstum angelegt: Erst zu einem Drittel ist die Fläche mit Autos voll gestellt, ansonsten herrscht Leere. Doch der Hersteller - er wurde 1988 von dem ehemaligen Armee-Offizier und heutigem Chairman Zhao Zhigang gegründet - hat Großes vor. Bislang exportiert er bereits nach Afrika, Nahost, Lateinamerika und Russland - dorthin also, wo die Chinesen mit ihren Billigautos am ehesten gegen westliche Autobauer bestehen können.

An der Wand des Showrooms prangt Weiß auf Blau das Firmenmotto von Shuanghuan, es drückt aus, wie Chinas Autobosse sich die Zukunft ausmalen: "Wer ist am Ende unser Konkurrent? Das sind wir selbst."

Von Ärger mit ausländischen Herstellern lässt sich Shuanghuan nicht abschrecken. Vor vier Jahren verklagte der japanische Hersteller Honda die Chinesen, weil sie angeblich das Design des Honda CR-V abgekupfert hatten. Doch im März dieses Jahres befand die chinesische Patentbehörde, das Design-Patent der Japaner sei in China ungültig.

Der Rechtsstreit mit Honda schadete Shuanghuan nicht. Im Gegenteil, er facht die Beliebtheit der Shuanghuan-Modelle bei den Landsleuten erst so richtig an. Denn kaum etwas mobilisiert den Nationalstolz chinesischer Verbraucher so wirksam wie Zoff mit mächtigen ausländischen Konzernen.

Deutsche Firmen sind oft selbst schuld

Wohl auch deshalb halten sich die deutschen Hersteller mit Vorwürfen gegen Shuanghuan auffällig zurück: Man habe eine Untersuchung im Fall Shuanghuan eingeleitet, sagt ein BMW-Sprecher in Peking, der nicht namentlich genannt werden möchte. "Unsere zuständigen Abteilungen bemühen sich derzeit noch, mehr über die Einzelheiten zu erfahren." Auch bei Mercedes-Benz in Peking riskiert die zuständige Mitarbeiterin kein Wort zuviel: Die Deutschen seien in Kontakt mit Shuanghuan, sagt sie. Mercedes behalte sich das Recht auf juristische Schritte vor, "aber wir sind zuversichtlich, dass wir die Angelegenheit freundschaftlich beilegen können".

Shuanghuan-Vizechef He sieht auch keinen Grund zur Aufregung. "Die Deutschen brauchen keine Angst vor uns zu haben", sagt er sanft, "wir benötigen noch viel Zeit, um aufzuholen." Und überhaupt: Wer spricht im Zeitalter der Globalisierung noch ernsthaft von Abkupfern? Die Grenzen zwischen den Nationen würden sich zunehmend verwischen, sagt He. Wer könne da noch so einfach unterscheiden, welcher Teil welcher Technologie oder welches Design von wem zu erst erfunden worden sei?

Stolz berichtet He davon, dass sein Unternehmen zahlreiche ehemalige Fachleute von deutschen und anderen ausländischen Autoherstellern beschäftigt. Gegen lukrative Bezahlung geben sie ihr Know-how an China weiter. Um welche deutschen Experten es sich handelt, will He nicht verraten. "Das ist vertraulich."

In der Tat lässt sich oft nur schwer nachweisen, ob chinesische Firmen Produkte abgekupfert haben oder nicht. Und oft sind westliche Firmen selbst schuld an ihrem Dilemma, sagt Anwalt Elliot Papageorgiou in Guangzhou, weil sie ihr geistiges Eigentum in China nicht ausreichend durch Patente oder Gebrauchs- und Geschmacksmuster schützen lassen. Oft lassen deutsche Mittelständler in China zum Beispiel nur ihre Marke registrieren, nicht aber das Design eines Produkts - und wundern sich dann später, wenn chinesische Kopierer es einfach nachahmen.

Ermittler in Lebensgefahr

Papageorgiou spürt für führende internationale Firmen in China Produktfälschern nach. Immer wieder staunt er, wie unvorbereitet deutsche Bosse nach China reisen. Dagegen recherchieren die Chinesen mittlerweile auch in Deutschland systematisch, welches Unternehmen welche Rechte angemeldet hat. Und wenn dann deutsche Hersteller auf Messen Neuheiten zeigen, die noch nirgends registriert sind, melden die Chinesen diese ihrerseits schnell an.

China bleibt damit für ausländische Firmen mit originärer Hightech ein riskanter Standort. "Bevor ein Hersteller nach China geht, muss er sich vorher genau überlegen, über welche Kerntechnologien er verfügt, und ob er wirklich in der Lage ist, diese in China auch zu schützen", warnt Thomas Pattloch, der Beauftragte für den Schutz geistigen Eigentums in der EU-Delegation in Peking.

Der deutsche Jurist kennt sich mit chinesischen Fälschungen auch privat aus. Seine Tochter erkrankte einst an chinesischer Babynahrung, die offensichtlich gefälscht war. Seitdem kauft der Deutsche, wo möglich, für seine Familie nur noch sichere Importwaren.

Giftige Lederjacken

Vor seinem Büro hat Pattloch mehrere Glasvitrinen aufstellen lassen - darin stapeln sich die chinesischen Fälschungen europäischer Marken-Produkte, vom Deo über Schokoladen-Konfekt bis zum Kugelschreiber. Es ist eine faszinierende Sammlung, die Betrachtern unwillkürlich Respekt vor den Fertigkeiten der Kopierer abringt. Doch Pattloch warnt vor den gesundheitlichen Schäden, mit denen Verbraucher möglicherweise für billige chinesische Fälschungen zahlen. So sind chinesische Nachahmungen europäischer Marken-Lederjacken zum Beispiel oft mit krebserregenden Chemikalien gegerbt.

Indes scheuen gerade bekannte Marken, öffentlich gegen Produktpiraten vorzugehen: Sie fürchten, dass die Verbraucher ihre Produkte meiden, wenn die Medien über täuschend echte Fälschungen berichten. Lieber setzen die Firmen auf die diskreten Dienste privater Fahnder - die ihnen zum Beispiel Anwalt Papageorgiou in China vermittelt.

Diese Ermittler arbeiten oft unter Lebensgefahr. In der Provinzstadt Yiwu wurde unlängst ein Detektiv vor seinem Hotel zusammengeschlagen, als er für einen deutschen Kosmetikhersteller einen verdeckten Kauf tätigen wollte. In einem anderen Fall beendeten Raubkopierer in der Provinz Jiangsu die Nachforschungen mit der Eisenstange: Sie schlugen einen Ermittler krankenhausreif.

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