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FDP-Chef Lindner bei Gründerevent Der Selfie-Made Man

Ein Abend übers Scheitern - da darf die FDP nicht fehlen. Bei der FuckUp Night an der Uni Frankfurt spricht ihr Chef Lindner über seine Zeit als Gründer. Und versucht, seiner Partei ein neues Gesicht zu geben.

Selbstironie siegt an diesem Abend, das ist Christian Lindner sofort klar. "Das Scheitern ist bei mir so offensichtlich, dass ich keine Ausrede für eine Absage gehabt hätte", sagt er. Das Publikum im Audimax johlt so laut, dass Lindner pausieren muss. Hier bin ich klein, hier darf ich's sein.

Denn Scheitern ist das Thema bei dieser vierten Frankfurter FuckUp Night, Scheitern und wieder Aufstehen. Drei Start-up-Unternehmer sollen den Besuchern erzählen, was sie aus ihren Misserfolgen gelernt haben.

Viele Studenten und Jungunternehmer sind gekommen, kein schlechtes Terrain für den FDP-Vorsitzenden. Um die 1200 Tickets hätten sie diesmal verkauft, betonen die Veranstalter, bei jedem Event hätten sie viel mehr Gäste gehabt als bei dem davor. Sie illustrieren das, typisch Start-up, mit einer hockeyschlägerförmigen Kurve auf einer Powerpointfolie.

Lindner ist der Schutzheilige der Gescheiterten

Viele dürften wegen Christian Lindner gekommen sein. Seit einer Wutrede im Landtag von NRW ist der FDP-Chef der Schutzheilige für Gründer und solche, die es mal waren. Ein spöttischer Zwischenruf über seine eigene Zeit als Unternehmer provozierte Lindner zu einer minutenlangen Spontan-Suada gegen die gründerfeindliche Kultur in Deutschland. Gegen lebenslange Beamte, die gescheiterte Gründer mit Häme überschütten und so die abschrecken, die von der Selbstständigkeit träumen. "So, das hat Spaß gemacht", endete Lindner damals.

Spaß hat Lindner auch hier in Frankfurt. Schon als Schüler, Mitte der Neunziger, habe er mit einem Freund eine gut laufende Werbeagentur gegründet. RWE hätte zu seinen Kunden gezählt, "werden viele nicht kennen, das ist ein Energieversorger" - Pause - "gewesen". Haha, Old Economy. Die Pointen sitzen.

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Lindner übers Scheitern: Ever tried, ever failed, no matter

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Im Jahr 2000, die New-Economy-Blase stand vor dem Bersten, gründete Lindner dann das Unternehmen, das ihm bis heute Spott einbringt: Die "Moomax GmbH", eine Internetklitsche, die Avatare für Onlineshops programmieren sollte. Die Wesen sollten Kunden helfen, sich auf den pixeligen Seiten der frühen www-Jahre zurechtzufinden und gleichzeitig Daten über ihr Kaufverhalten sammeln. Cookie trifft Karl Klammer.

Sein Scheitern trägt man ihm hier nicht nach

Sie hätten geplant, die Avatare über Sprache steuern zu lassen, erzählt Lindner in Frankfurt. Wie später die iPhone-Assistentin Siri. Aus der Vision wurde nichts, über ein Referenzprojekt kam die Firma nie hinaus. Kurz darauf platzte die Börsenblase am Neuen Markt und fegte Moomax samt 1,4 Millionen Mark öffentlicher Förderung davon - wie viele andere Internetfirmen der New Economy.

Lindner war da schon weitergezogen: Fast zeitgleich mit der Moomax-Gründung wurde er recht überraschend Landtagsabgeordneter in NRW, mit 21. Ein paar Monate lang behielt er beide Jobs, dann gab er die Geschäftsführung ab - wenige Monate vor der Insolvenz.

Hier im Hörsaal trägt ihm das keiner nach, ever tried, ever failed, no matter. Nach seinem Vortrag lümmelt der FDP-Chef im marineblauen Anzug in der ersten Reihe, während der nächste Redner von seinem gescheiterten Onlineshop für nachhaltige Schuhe, Taschen und Dildos erzählt.

Lindner schießt ein Selfie.

Der Aufbau des Shops habe Monate gedauert, erzählt der Gescheiterte, die Suche nach Investoren auch. Am Ende ging das Geld aus. Ein echter FuckUp.

Lindners Selfie auch. Verwackelt. Auf Instagram könne er das nicht posten.

Gute Selfies gibt es erst später, ein ganzer Pulk steht Schlange für Fotos mit Lindner. Eine junge, blonde Frau fragt Lindner, was er als Unternehmer von der Politik erwarten würde? Lindner ist jetzt aber ganz Politiker: "Köpfe, Kapital, Kultur" hämmert er seine Punkte runter, "KKK". Vom steuerlichen Verlustvortrag bei Mantelkäufen kommt er über das start-up-feindliche "Anti-Angel-Gesetz" der Großen Koalition zur deutschen Staatsgläubigkeit seit Hegel. Der Pulk scheint beeindruckt.

Mit dem letzten FuckUp, den nächsten verhindern

Für den jungenhaften Vorsitzenden der Wirtschaftspartei sind Start-ups das ideale Thema. Das libertäre, zukunftsfrohe Weltbild vieler Gründer passt zu der Vision, die Lindner für seine FDP hat. Weg vom weinseligen Altmännerklub eines Rainer Brüderle, hin zur frischen Freiheitspartei. Deshalb sucht er seit Monaten die Nähe zu Internetgründern, spricht bereits zum dritten Mal auf einem solchen Scheiterabend.

Mit seinem letzten FuckUp versucht Lindner, seinen nächsten zu verhindern.

Dennoch: Ein aufstrebendes Start-up ist seine FDP aktuell nicht. Oder, Herr Lindner? "Wir sind Mercedes nach dem Elchtest", sagt er. "Früher Weltklasse, dann die Krise, dann wieder Weltklasse". Ach.

Als Lindner die Partei 2013 übernahm, war sie gerade aus dem Bundestag geflogen und bald darauf aus ihrer letzten Landesregierung. Er ist nun Turnaroundmanager. Die Partei braucht ein neues Image, braucht Erfolge bis 2017, wenn Lindner sie zurück in den Bundestag führen will. Scheitert er dort, ist's nichts mit Mercedes. Dann passt eher Borgward.

Lindner hat die FDP Magenta gefärbt, bei ein paar eher unwichtigen Landtagswahlen hat sie überraschend gut abgeschnitten. "Lage schlecht, Ausblick vorsichtig optimistisch", hieße es bei einem Unternehmen.

Seine bislang größte Bewährungsprobe erwartet ihn in gut einer Woche: Dann wählen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Umfragen sehen die FDP überall knapp über fünf Prozent. Lindners Liberale könnten sogar als Mehrheitsbeschaffer in einer Dreierkoalition gebraucht werden - allerdings weil die erstarkte AfD kleinere Bündnisse verhindern dürfte.

Für die Konkurrenz von rechts hat Lindner auch noch einen Seitenhieb, bevor er weiter muss. Beim Abschied fragt einer der Organisatoren, wann er denn mal wieder vorbeikomme bei seiner FuckUp Night? So bald schaffe er das wohl nicht, antwortet Lindner. "Sie können ja mal den Lucke einladen. Und bald auch die Petry."

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