Claassens Ticket-Affäre Kein Freispruch ohne Wenn und Aber

In der Sache hat der ehemalige EnBW-Vorsitzende Utz Claassen gewonnen: Die Einladung von Regierungspolitikern zur Fußball-WM durch Claassen war nicht strafbar, sagt das Landgericht Karlsruhe. Ein G'schmäckle bleibt trotzdem.

Karlsruhe - Wie ein Monarch, der an der Größe des eigenen Sieges keinen Zweifel aufkommen lassen möchte, trat Utz Claassen auf den Stufen des klassizistischen Portals des Landgerichts Karlsruhe vor das Volk. Für den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Energie Baden-Württemberg (EnBW), war das Urteil in der sogenannten WM-Ticket-Affäre ein "Freispruch allererster Klasse". Die Staatsanwaltschaft, teilte er Journalisten und anderen Zuhörern beim Verlassen des Gerichtsgebäudes mit, sei "grandios gescheitert". Und natürlich war es ein "großer Sieg für den Sport, für das Sponsoring in unserem Land".

Es scheint so, als könne der Erfolg nicht groß genug sein für den eher klein gewachsenen Wirtschaftslenker. Schon zu Beginn seiner Zeit bei EnBW wurde ihm vorgeworfen, nach seinem Amtsantritt die Lage des Konzerns bewusst schlechtgeredet zu haben, um seine eigene Leistung um so strahlender erscheinen zu lassen; das damals wegen des Verdachts der Bilanzfälschung gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde allerdings wieder eingestellt.

Die Frage, ob Claassen sich mit dem Verschicken von Ticket-Gutscheinen für die Fußball-WM in seiner Weihnachtspost Politiker der Landes- und Bundesregierung gewogen machen wollte, verfolgte den eloquenten Manager dagegen wesentlich hartnäckiger – und wurde erst jetzt, nach seinem überraschenden Ausscheiden bei dem Konzern, zu seinen Gunsten entschieden.

Dass es überhaupt zu dem Gerichtsverfahren kam, lag nicht zuletzt an seiner eigenen, durchaus respektablen Kompromisslosigkeit. Denn Claassen wollte sich – anders als zwei der von ihm bedachten Regierungspolitiker – nicht auf den von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Handel einlassen, das Verfahren gegen eine Geldbuße einzustellen: "Ich kann nicht einer Einstellung gegen Geldauflage zustimmen, wenn ich zu hundert Prozent von meiner Unschuld überzeugt bin."

Dies wird nun durch das freisprechende Urteil des Landgerichts Karlsruhe bestätigt: Wenn ein Sponsor hochrangige Amtsträger "als Repräsentanten des Staates zu öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen" einlade, sei darin keine strafbare "Vorteilsgewährung" zu erblicken. Doch was zumindest auf den ersten Blick sehr deutlich klingt, weist im Detail doch einige Schattierungen auf. Ein Freispruch "ohne Wenn und Aber", wie von der Verteidigung gefordert, war es jedenfalls nicht.

"Vorfreude auf die EnBW"

Dass der Vorsitzende Richter Hans Fischer – grammatikalisch unsauber – von der "Einladung eines Sponsors hochrangiger Amtsträger" sprach, dürfte dabei ebenso ein Freudscher Lapsus gewesen sein wie die sprachlich leicht verstolperte Feststellung, es sei Claassen bei der Versendung der Ticket-Gutscheine darum gegangen, "Vorfreude auf die EnBW zu wecken" – nach der von der Verteidigung gebetsmühlenartig vorgetragenen Formulierung sollte aber natürlich nur die "Vorfreude auf die WM" geweckt werden. Tatsächlich war die Frage, ob EnBW mit den von Claassen verschickten Tickets auch die eingeladenen hochrangigen Amtsträger "sponserte", nur "einzelfallbezogen" (Fischer) und damit längst nicht so einfach zu beantworten, wie vor allem die drei Strafverteidiger Claassens glauben machen wollten.

Dafür, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft "absurd" und die zuständige Staatsanwältin "rechtsblind" sei, wie von Claassen-Verteidiger Steffen Stern behauptet, bemühten er und seine Kollegen in ihren Plädoyers etwas zu oft den Satz "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten), den "unvermeidbaren Verbotsirrtum", in dem sich ihr Mandant in jedem Fall befunden hätte, und den Hinweis, dass der Gesetzgeber für eine Klarstellung sorgen müsse: Wer solche Argumente braucht, zeigt für gewöhnlich, dass er seiner Sache keineswegs so sicher ist.

Immerhin, räumte auch Rechtsanwalt Stern ein, seien "Einladungen zu eigentlich entgeltlichen Veranstaltungen" wie zu Kongressreisen, einem Essen oder gar einem Urlaub "im Normalfall strafrechtlich relevant". Etwas anderes aber müsse gelten, so Stern, "bei Beziehungsverhältnissen, über denen der Begriff Sponsoring steht".

"Kontaktpflege" oder "Klimapflege"?

Dem Strafgesetzbuchs selber lässt sich diese Einschränkung allerdings nicht entnehmen. Im Jahr 1997 wurde die Strafbarkeit der sogenannten "Vorteilsgewährung", die gewissermaßen die unterste Stufe der Korruption darstellt, sogar ausgeweitet: Seither ist nicht nur strafbar, wer einem Amtsträger mit Blick auf eine konkrete Diensthandlung einen Vorteil zukommen lässt, sondern schon, so der Bundesgerichtshof, wer "Klimapflege" betreibt, und sich damit das Wohlwollen des Amtsträgers erkauft.

Diese "verbotene Klimapflege", so das immer wiederkehrende Argument der Verteidigung, dürfe aber nicht verwechselt werden mit der "üblichen und nicht zu beanstandenden Kontaktpflege". Doch die Unterscheidung zwischen "Kontakt-" und "Klimapflege", so richtig und wichtig sie ist, fällt nicht nur sprachlich schwer.

Natürlich müssen Unternehmen und Unternehmensführer auch mit Politikern Kontakte pflegen – und natürlich in erster Linie mit denen, die für die jeweilige Branche zuständig sind. Richter Fischer ließ für solchen Gesprächsbedarf schon früh Verständnis erkennen: Auch Verteidiger, Gericht und Staatsanwaltschaft müssten ja permanent miteinander reden. Aber, wandte die für die Anklage zuständige Staatsanwältin Yasemin Tüz süffisant ein, "wir waren dazu noch nie gemeinsam beim Fußballspiel".

Doch weil genau das nicht nur bei der WM der Fall war, sondern landauf landab jedes Wochenende bei Bundesligaspielen stattfindet, stellt sich die Frage, ob solche Sponsoren-Einladungen an Politiker strafrechtlich relevant sein könnten, derzeit auch andernorts: Aus Wolfsburg, Berlin und Hannover sind zumindest Vor-Ermittlungen bekannt, in Stuttgart läuft sogar ein weiteres Verfahren, unter anderem auch gegen Claassen, weil die Stuttgarter Umweltministerin Tanja Gönner dort häufiger Gast in der EnBW-Loge im Neckarstadion war.

Das Engagement von Sponsoren, so Claassen-Verteidiger Stern in seinem Plädoyer, drohe angesichts der Ermittlungen der Karlsruher Staatsanwaltschaft "zu einem echten Wagnis zu werden", gegenüber der Presse warnte er gar von einem "Flächenbrand". Auch Claassen-Verteidiger Götz-Werner von Fromberg, der von August 2005 bis Juli 2006 selbst Vorstandsvorsitzender des Bundesligavereins Hannover 96 war, wusste zu berichten, viele Unternehmensvorstände hätten ihm signalisiert: Wenn Claassen verurteilt würde, verlören sie das Interesse am Fußball-Sponsoring.

Aber ist das Etikett "Sponsoring" von vornherein ein Persilschein für jede Politiker-Einladung? Der beamtete Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Matthias Machnig, der einen der Claassen-Gutscheine erhalten und angenommen hatte, gab freimütig einen Eindruck davon, was so üblich ist zwischen Wirtschaft und Politik: Er bekomme, vor allem von "Dax-30-Unternehmen", in seiner Funktion als Staatssekretär "jede Menge Einladungen". Das Programm ist dabei offenbar durchaus attraktiv: So fand der Beamte auch eine Einladung zu einem Barbra-Streisand-Konzert auf seinem Schreibtisch – mit einem Wert von immerhin bis zu 550 Euro.

Machnig, gegen den, spiegelbildlich zu Claassen, wegen Vorteilsannahme ermittelt wurde, der aber anders als Claassen die Einstellung des Verfahrens bereits im Vorfeld gegen Zahlung einer Geldbuße von 2500 Euro akzeptiert hatte, gab zu, "eines gelernt" zu haben: "Ich werde solche Einladungen nicht mehr annehmen." Zwar sei es "unverzichtbar", dass es zu Gesprächen mit Wirtschaftsvertretern kommt, über das "Setting" könne man aber durchaus diskutieren.

Vergeblich mühte sich die Verteidigung, zu erklären, der Wert der Ticket-Gutscheine sei "Null" gewesen: Die Bedachten hätten als Regierungsmitglieder ohnehin Zugang zu den Spielen gehabt, die EnBW-Einladungen seien nicht übertragbar gewesen, also hätte es sich auch nicht um einen "Vorteil" im strafrechtlichen Sinn gehandelt. Das Gericht wollte dieser Auffassung immerhin nicht vollständig folgen: Angesichts der Kosten für Eintritt und Catering sei für die Einladungen von einem geschätzten Wert von 300 bis 400 Euro auszugehen; angesichts der anderen Optionen der Politiker, an Tickets zu kommen, hätten die Gutscheine aber tatsächlich eher geringeren Wert besessen. Zumindest aber im Sinne einer "Vorratshaltung" – der Gutschein ist sicher, schauen wir mal, ob wir noch Tickets dazu bekommen – sei darin doch ein Vorteil zu sehen, wenn auch ein "nicht allzu großer".

Allerdings überging Richter Fischer dabei sogar noch den Umstand, dass Staatssekretär Machnig bei seiner Aussage selbst zugegeben hatte, dass es nach einer späteren Festlegung der Bundesregierung offizielle Karten "nur für die Minister" gab, und er auch zum Zeitpunkt der Einladung nicht davon ausgehen konnte, dass er als Staatssekretär sicher auf anderem Wege eine kostenlose Karte für ein Spiel seiner Wahl bekommt; zumindest, so Machnig, hätte er sich "bemühen" müssen. Tatsächlich kam er nur als Vertreter seines Ministers schließlich zu einem Spiel der WM.

Sponsoring sei ein "Geben und Nehmen", räumte Verteidiger Fromberg bei seinem Plädoyer in vielleicht etwas wenig bedachter Offenheit ein: Natürlich wolle der Sponsor "für das, was er investiert, auch eine Gegenleistung bekommen". Da ist es allerdings nicht weit zu der Frage: Was erwartete Claassen dafür, dass er solche Tickets vergibt? Die "Steigerung der Bekanntheit", die Fromberg im Plädoyer als Grund für das Sponsoring nannte, überzeugt als Motivation für die Politiker-Einladungen alleine nicht. Denn das erreichte EnBW durch andere Aktivitäten – etwa die Mitfinanzierung des Public Viewing.

Immerhin, das Gericht hat sich nicht vor dieser Frage gedrückt: Der Konzern habe die Anwesenheit der Politiker zu "Werbezwecken" nutzen wollen: "Die Rolle der EnBW sollte ja aufgewertet werden" – gegenüber ebenfalls anwesenden Geschäftspartnern, aber auch intern, etwa durch den Abdruck von Reportagen in der Mitarbeiter-Zeitschrift der EnBW. Dabei handle es sich um ein "legitimes Anliegen eines Sponsors", und die "Bekundung legitimer Ziele begründet keine Strafbarkeit". Dass Claassen sich als "untergeordnetes Motiv" vielleicht auch dachte, "es kann nicht schaden, wenn das eine günstige Atmosphäre schafft", genüge nicht für eine Bestrafung.

Ob dem wirklich so ist, darüber ist womöglich noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn dass die Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil Revision einlegen wird, ist zumindest nicht unwahrscheinlich. Dann wird sich der Bundesgerichtshof mit dieser Rechtsfrage befassen müssen.

Ein Gutschein aus Versehen geschickt

Auch wenn der BGH eines Tages möglicherweise den Freispruch bestätigen sollte, bleibt für den, der das Verfahren im Sitzungssaal verfolgt hat, kein durchweg positiver Eindruck zurück: Denn manchmal zu vehement, mit allen zur Verfügung stehenden Ausreden und Kniffs, hat Claassen versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Wenig zimperlich zeigten sich Claassen und seine Verteidiger bereits in der Wahl ihrer Mittel. So setzte die Verteidigung schon früh die zuständigen Staatsanwältinnen mit einer Anzeige wegen Rechtsbeugung unter Druck, verlangte gar vom baden-württembergischen Justizminister Ulrich Goll (FDP), die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das Verfahren einzustellen – was dieser wohlweislich nicht tat.

In der Verhandlung behauptete Claassen beharrlich, es habe sich bei der Versendung des Gutscheins an Machnig um ein "Versehen" gehandelt: Der Staatssekretär hätte eigentlich leer ausgehen sollen. In der Hektik der vorweihnachtlichen Unterschriftenaktion seien den "Damen" seines Büros aber Unterschriftsmappen heruntergefallen; dabei seien auch Klebezettel abgegangen, auf denen die Geschenke vermerkt waren, und ausgerechnet einer der Gutschein-Zettel sei dann – vermutlich – fälschlicherweise auf Machnigs Karte geheftet worden.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dieser Geschichte um ein "Konstrukt", das sich der Angeklagte – also Claassen – "nachträglich zurechtgelegt" habe. Und selbst der Claassen prinzipiell äußerst wohl gesonnene Vorsitzende Richter Fischer hielt diese "Version" für "am wenigsten plausibel": Die Aussagen der Sekretärinnen seien so "auffällig stimmig" gewesen, dass sich beim Gericht ein "Unbehagen" eingestellt habe. Viel "realistischer" sei, dass Claassen durchaus bewusst Machnig mit dem Gutschein bedacht habe.

Doch auch wenn Claassens Version möglicherweise nicht der Wahrheit entsprach, blieb das rechtlich ohne Folgen: Zu klar zeigte sich das Gericht davon überzeugt, dass Claassen – zumindest vorrangig – mit der Gutschein-Versendung legale Ziele verfolgte. Denn auch Machnig, so Fischer in seiner wortreichen, inhaltlich aber eher kargen Urteilsbegründung, sei ein "tauglicher Repräsentant" der Bundesregierung, und damit sei die Einladung in jedem Fall legal erfolgt.

In der Sache hat Claassen gewonnen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass ein G'schmäckle bleibt.

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