Comeback der Wall-Street-Gier Bonus-Wut drückt Obamas Umfragewerte nach unten

In den USA kocht der Volkszorn über die neue Profitsucht der Finanzindustrie. Präsident Obama findet sich plötzlich auf der falschen Seite wieder: Kritiker werfen ihm vor, mit den Banken gemeinsame Sache zu machen.

Was zum Teufel rechtfertigt einen 100-Millionen-Dollar-Jahresbonus? Diese Frage erregt die Wall Street, seit bekannt wurde, dass die Citigroup, das marode, staatsgestützte US-Finanzkonglomerat, diese Summe dem Rohstoffhändler Andrew J. Hall schuldet. "Ungeheuerlich", schimpfte der Börsenblog Dealbreaker, und das war eine der milderen Reaktionen. Citi hatte schnell ein PR-Problem.

Wall Street in New York: Imageproblem für Obama

Wall Street in New York: Imageproblem für Obama

Foto: TIMOTHY A. CLARY/ AFP

Die Krux: Die Ansprüche des 58-jährigen Hall - dem auch das Schloss Derneburg zwischen Hildesheim und Salzgitter gehört - sind völlig legal, da vertraglich verankert. Er hat nur getan, was er immer schon besser konnte als viele andere: Er hat mit Öl-Termingeschäften spekuliert. Doch nach dem Finanzcrash und den jüngsten Bonus-Skandalen haben solche Geschäfte den Ruch der Raffgier - vor allem, wenn sie auf Kosten der US-Verbraucher gemacht scheinen, die unter steigenden Gas- und Benzinpreisen ächzen.

Citi hat nun offenbar eine Lösung gefunden, der moralischen Zwickmühle zu entkommen und zugleich dem Wall-Street-Gehaltskontrolleur des Weißen Hauses, Ken Feinberg, zu helfen, das Gesicht zu wahren. Nach Recherchen der "New York Times" erwägt der Konzern, seine Trading-Tochter Phibro, die Hall leitet, abzustoßen oder dem Mann selbst zu überlassen. Damit hätte Citi eine reine Weste, und Feinberg, der diese Woche beginnt, die Kompensationspakete der Wall Street zu überprüfen, bräuchte nicht einzugreifen.

Mit andere Worten: Alles bliebe beim Alten.

Nicht mal ein volles Jahr ist es her, dass die Finanzwelt am Abgrund stand. Die US-Regierung sah sich genötigt, die Wall-Street-Banken mit 700 Milliarden Dollar vor dem Untergang zu bewahren, weitere rund 150 Milliarden gingen an den Großversicherer AIG. Als die Konzerne sich anschickten, trotzdem Millionenboni auszuschütten, erhob sich ein Sturm der Entrüstung, angeführt von Präsident Barack Obama. Die Vorstandschefs wurden nach Washington zitiert und gelobten Besserung.

Was ist geblieben? Wenig. Zwar stieß Obama massive Finanzmarktreformen an. Zwar ernannte er den renommierten Notar Feinberg zum Schiedsrichter über die Saläre aller Banken am Regierungstropf. Doch die Börse brummt wieder, und die Reformen klemmen im Kongress, derweil die Institute so viel Geld einfahren - und an ihre Manager austeilen - wie zuvor. Dabei finden sie immer neue Wege, sich um Rechenschaft gegenüber dem Staat zu drücken.

Allein Wall-Street-Platzhirsch Goldman Sachs, der seinen lästigen Krisenkredit so schnell wie möglich wieder an die Federal Reserve Bank zurückgezahlt hat, plant zum Jahresende Rekord-Ausschüttungen an seine flinken Finanzjongleure - "während die Trümmer des Weltfinanzsystems noch kokeln", empörte sich selbst das wirtschaftsfreundliche "Wall Street Journal".

Die Wut kocht hoch

"Sinn der Sache war, euch zu retten", schimpft der Börsenblogger Hugo Dixon. "Aber nicht, damit ihr wieder so schnell anfangen könnt, eure Belegschaft zu bereichern." New Yorks Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo beschreibt diese "Bonuskultur" als zynischen Münzwurf: "Kopf, ich gewinne. Zahl, du verlierst."

Und so kocht nun langsam auch jene Wut wieder hoch, die im Frühjahr skandierende Protestscharen bis nach Connecticut getrieben hatte, in die Vorgärten der abgeschirmten Manager- und Millionärsenklaven. Vor Andrew J. Halls Säulenvilla in Fairfield ist es zwar noch ruhig. Doch anderswo im Lande brodelt längst ein neuer Populistenärger. Der nimmt diesmal viel ungehemmtere, beängstigendere, breitere Formen an als zuvor - und Obama findet sich plötzlich auf der falschen Seite wieder.

Die zum Teil handgreiflichen Proteste, die seit kurzem die Bürgersprechstunden vieler Kongressabgeordneten erreichen und auf YouTube zu Hits werden, richten sich auf den ersten Blick gegen Obamas Gesundheitsreform. Orchestriert werden die Aktionen meist von Pharma-Lobbyisten und republikanischen Strategen. Nach deren Drehbuch machen Störenfriede die basisdemokratischen "Town Halls" zu Zirkusarenen, bei denen die Politiker niedergebrüllt werden und bisweilen die Polizei anrücken muss.

Die Spektakel offenbaren aber noch etwas anderes, das weit über die Gesundheitsdebatte hinausgeht. Dahinter steckt oft eine authentische Wählerwut, die sich vor allem gegen die Wall-Street-Gier richtet. Viele Amerikaner fürchten, bei dem Milliardenspektakel an der Nase herumgeführt zu werden - nicht nur von der Finanzbranche, sondern auch von Obama.

"Veräppelt uns Obama?", fragte am Sonntag selbst Frank Rich, die linksliberale Edelfeder der "New York Times". Rich berief sich dabei auf Chris Ann Cleland, eine Immobilienmaklerin aus Virginia, die sich in der "Washington Post" bitter beklagt hatte: "Für den einfachen Mann hat sich nichts verändert. Ich komme mir richtig verhohnepipelt vor." Cleland benutzte die Formulierung "I've been punked" - in Anspielung auf die MTV-Kalauerserie "Punk'd", in der TV-Star Ashton Kutcher Prominente mit der versteckten Kamera auf den Arm nahm.

Das Gefühl großer Unfairness sitzt tief

Der Wirbel um die "Town Halls" zeigt, dass die gefühlte Finanznot vieler Amerikaner, allen Konjunkturdaten und Aufschwungshoffnungen zum Trotz, weiter tief sitzt - und ebenso das Gefühl großer Unfairness. Wie anders soll es der "einfache Mann" verstehen, dass AIG - ein für die Krise mitverantwortlicher Konzern - im zweiten Quartal 2009 plötzlich wieder 1,8 Milliarden Dollar Gewinn einfuhr? Und 249 Millionen Dollar an Bonuszahlungen bereitgestellt hat?

"Die Öffentlichkeit wird das sehr schlecht aufnehmen", sagt Gehaltsexperte Frank Glassner. Denn AIG gehört inzwischen zu 79,9 Prozent dem Staat. Sprich: Die Obama-Regierung, dank des "einfachen Mannes" an die Macht gekommen, sitzt jetzt mit den Managern in einem Boot.

Auch weigern sich viele Banken bis heute, bedrängten Hypothekenschuldnern das Leben leichter zu machen - trotz aller Appelle Obamas. "Die Banken sind nicht willens, den Leuten zu helfen, ihre Häuser zu behalten", warf Judith Kipper vom Institute of World Affairs Obamas Top-Wirtschaftsberater Larry Summers neulich bei einer Podiumsdiskussion vor. "Haben Sie Vertrauen, dass die Banken, die das Problem mit geschaffen haben, und ihre Chefs, die weiter auf ihren Posten sitzen, ein bisschen Verantwortung oder wenigsten Selbstdisziplin aufbringen, um zu tun, was richtig ist für das Land und nicht nur für ihre Bilanzen?"

"Labyrinth aus mächtigen Geldinteressen"

Daraus spricht eine doppelte Resignation: Viele trauen weder der Wall Street noch der Regierung - zumal sich unter Obamas Finanzberatern viele Namen wiederfinden, die mit der Krise eng verstrickt sind, allen voran Finanzminister Tim Geithner, einst Chef der Federal Reserve Bank of New York. Da hilft es wenig, dass Obama der Pharma-Industrie jetzt hinter verschlossenen Türen Rückendeckung zusicherte, um sich so im Gegenzug ihre Unterstützung für seine bedrohte Gesundheitsreform zu erkaufen.

"In diesem Labyrinth aus mächtigen Geldinteressen", schreibt Rich, "ist es nicht mehr klar, wem die Amerikaner, egal welcher Partei, noch die Daumen drücken sollen." Wie Obama jetzt mit in diesen Strudel gerät, enthüllen auch seine torkelnden Umfragewerte.

In einer CNN-Umfrage bezeichneten zwar 51 Prozent der Befragten die ersten sechs Regierungsmonate Obamas als "erfolgreich". Doch die Details sprechen eine andere Sprache: Erstmals lehnt eine knappe Mehrheit (49 Prozent) seine Finanz- und Wirtschaftspolitik ab, während der Anteil derer, die ihm zustimmen, von 57 Prozent im März auf 45 Prozent gesunken ist.

Obama hat die Krise noch lange nicht hinter sich

Unterdessen tritt die juristische Aufarbeitung der Kreditkrise in ihre heiße Phase - und auch das wird die Wut der Wähler nur weiter anheizen.

So willigte die Bank of America zwar ein, der US-Börsenaufsicht SEC 33 Millionen Dollar zu zahlen, kaum mehr als Portogeld, um Vorwürfe aus der Welt zu schaffen, man habe bei der Übernahme des Brokerhauses Merrill Lynch gekungelt. Der zuständige Bundesrichter Jed S. Rakoff weigerte sich allerdings, diese stille, außergerichtliche Einigung abzusegnen: Sie würde "die Wahrheit hinter den sehr ernsten Vorwürfen" nur verschleiern. Nun soll die schmutzige Wäsche diese Woche bei einer öffentlichen Anhörung gewaschen werden.

"Fest steht", schreibt Bloomberg-Kolumnistin Ann Woolner, "dass wir uns nicht mehr auf die Banken verlassen können." Ebenso klar ist, dass Barack Obama das Kapitel "Finanzkrise" bei weitem nicht hinter sich hat. Der landesweit gärende Groll, fürchten seine Anhänger, könnte ihm noch lange zu schaffen machen.

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