Finanzielle Folgen Die Angst der Privattheater vor dem Shutdown-Ende

Theaterunternehmer Heinersdorff: »Wir halten das nicht lange durch«
Foto: PrivatDas Telefonat mit einer Zuschauerin wird René Heinersdorff noch lange in Erinnerung bleiben. »Das war Anfang März vergangenen Jahres«, erzählt der Theatermacher. »Ich dachte zuerst, sie hätte ein Problem mit der Reservierung ihrer Plätze.« Doch dann habe er mit anhören müssen, wie die Frau sich in Rage redete. »Sie warf mir vor, dass immer noch gespielt werde und dass ich damit die Gesundheit der Menschen aufs Spiel setze«, fasst der 57-Jährige die Vorwürfe zusammen. »Wir Privaten mussten damals um ein Spielverbot betteln. Wir hatten keine rechtliche Handhabe, nicht mal eine Empfehlung, zu schließen.«
Es war sicher kein einfaches Jahr für die Theaterleute – besonders für solche, die nicht die komfortable Sicherheit einer staatlichen Bühne genießen, sondern ihr Geld auf dem freien Markt verdienen müssen. Heinersdorff zählt mit drei etablierten Häusern in Düsseldorf, Köln und Essen zu den Größeren unter den Boulevardtheater-Machern. Doch durch die Corona-Pandemie geriet er schnell in Existenznot, wie auch die Betreiber der kleineren Häuser. »Gott sei Dank haben wir in den vergangenen 20 Jahren ein paar Rücklagen bilden können, sonst würden bei uns die Lichter nicht mehr angehen«, sagt der Theaterchef. Natürlich würden auch die zugesagten Ausfallentschädigungen für den zweiten Lockdown erleichtern, und durch das moderate Verhalten der Abonnenten könnte man wohl bis zum Herbst durchhalten.
Das klingt so, als strebe Heinersdorff gar nicht nach einer schnellen Wiedereröffnung seiner Bühnen, wenn nach dem Beschluss von Bund und Ländern ab 22. März Theater und Konzerthäuser ihre Tore wieder öffnen dürfen. Schwer vorstellbar für einen, der so für seinen Beruf brennt. Neben der Leitung der heinersdorffschen Bühnen ist er als Regisseur gefragt und steht oft selbst auf der Bühne – und er hat sich längst auch einen guten Ruf als Autor erarbeitet. Seine Stücke füllen die Theatersäle zahlreicher Bühnen in ganz Europa. Hinzu kommen Auftritte im Fernsehen und das Engagement als Vertreter der Privattheater beim Deutschen Bühnenverein.
Verluste programmiert
Dass er den Spielbetrieb lieber noch eine Weile hinauszögern würde, hat einen schlichten Grund. Es ist zu befürchten, dass zwar Verbote aufgehoben, aber die Corona-Auflagen nicht gelockert werden. Dabei wären die Abstandsregeln auf der Bühne und in den Foyers im Prinzip noch zu verkraften. Die Lücken in den Zuschauerrängen aber nicht. »Rund 150.000 Euro kostet der Betrieb eines Hauses pro Monat«, rechnet Heinersdorff vor.
»Durch die Begrenzung der Zuschauerzahlen gehen uns mindestens die Hälfte der Einnahmen verloren. Staatlich betriebene Bühnen und Konzerthäuser können unter solchen Bedingungen spielen, aber wir halten das nicht lange durch.« Das gelte im Prinzip auch für alle anderen Privattheater. »Unter 70 Prozent Auslastung schafft es da keiner in die schwarzen Zahlen«. 90 Prozent der Häuser arbeiteten ohnehin eng an der schwarzen Null. Seine düstere Prognose: Im Ernstfall seien hundert der rund zweihundert Privattheater in Deutschland in ihrer Existenz bedroht.
Ganz anders dagegen ist das Los der Staatsopern, Residenztheater, der großen Orchester oder Chöre – ihr Problem ist es eher, den von Kommunen, Ländern oder anderen öffentlich-rechtlichen Trägern zugewiesenen Etat in Zeiten der Corona-bedingten Beschränkungen auch auszugeben. Die Regeln sehen nämlich vor, dass der Bedarf für das Folgejahr nach den Ausgaben des laufenden Jahres bemessen wird. Diesen Luxusproblemen stehen die Sorgen der privat betriebenen Bühnen gegenüber, die nur in Ausnahmefällen Subventionen erhalten.
Das Beispiel der Privattheater zeigt auch, wie ungerecht die Lasten im Kampf gegen die Corona-Pandemie verteilt sind. So hatte eine vor gut zwei Wochen veröffentlichte Studie ergeben, dass die Gefahr einer Corona-Infektion in Konzert- und Theatersälen oder Kinos deutlich geringer ausfällt als etwa in Kirchen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Großraumbüros. Denn anders als dort wird die virenbelastete Luft viel effektiver gereinigt, schon vor Corona. Bei voller Leistung sorgen die Lüftungsanlagen dafür, dass das gesamte Luftvolumen pro Stunde bis zu zehnmal komplett ausgetauscht wird. Warum sie trotzdem schließen müssen, während die anderen Bereiche nahezu ohne Einschränkungen bleiben, sehen nicht nur die betroffenen Unternehmer immer weniger ein.
Wenig Solidarität
Auch in der Theaterwelt ist eine Polarisierung zu beobachten – auf der einen Seite diejenigen, die bei allen Beschwernissen abgesichert sind, auf der andern die freiberuflichen Künstler, die um ihre Existenz kämpfen. Auch mit der viel beschworenen Solidarität ist es nicht weit her, sobald sie mehr erfordert als Lippenbekenntnisse. Das wurde beispielhaft deutlich, als Heinersdorff bereits im vergangenen Mai mit einem Plädoyer für einen »solidarischen Theatertausch« an die Öffentlichkeit ging. Sein Wunsch: Die städtischen Bühnen Essen mögen ihre groß dimensionierten Theater- und Konzertsäle für einzelnen Vorstellungen seines Ensembles zur Verfügung stellen. »Wir hätten mehr Karten verkaufen können und dort allenfalls ein bisschen Strom verbraucht«, erklärt Heinersdorff. Die Angesprochenen ließen sein Ansinnen jedoch mit Hinweis auf die komplexe Bürokratie ins Leere laufen. Eine Reaktion, die den Theaterunternehmer heute noch ärgert.
Vor diesem Hintergrund hält Heinersdorff den offenen Brief vom Intendanten des Hamburger Thalia-Theaters, Joachim Lux, schon fast für zynisch. In dem Brief, der auch von vielen weiteren Intendanten staatlicher Bühnen unterzeichnet ist, fordert Lux von der Bundesregierung mehr Unterstützung für kulturelle Einrichtungen und freie Theaterschaffende und Künstler.
Im Präsidium des deutschen Bühnenvereins machte Heinersdorff daraufhin den Vorschlag, die – fest angestellten und gut bezahlten – Führungskräfte der staatlichen Theater sollten doch zum Beispiel auf ihr dreizehntes Monatsgehalt verzichten – um ihren weniger gut gestellten Kollegen zu helfen. »Das wäre ein weithin sichtbares Zeichen gewesen von Leuten, die oft und gern von Solidarität sprechen«, erklärt er. Die Kollegen im Bühnenverein hätten allerdings nur den Kopf geschüttelt.