Corona-Hotspots und Wirtschaftsstruktur Die Gefahr lauert am Arbeitsplatz

Welche Rolle spielt das Arbeitsleben bei der Ausbreitung der Coronapandemie? Eine neue Studie legt nahe, dass Infektionszahlen vor allem dort steigen, wo viel produziert wird.
Corona-Schnelltest: Besserer Arbeitsschutz könnte ein Schlüssel zur Senkung der Fallzahlen sein

Corona-Schnelltest: Besserer Arbeitsschutz könnte ein Schlüssel zur Senkung der Fallzahlen sein

Foto: Sebastian Gollnow / dpa

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Auch nach über einem Jahr Pandemie ist in vielen Fällen noch immer eine wichtige Frage bei ihrer Bekämpfung unklar: Wo finden viele Ansteckungen tatsächlich statt – zu Hause, in Bus und Bahn, Geschäften, Schulen oder im Betrieb? Sichtbar wurde dies zuletzt bei der Einführung der umstrittenen Testpflicht in Unternehmen diese Woche. Dass berufsbedingte Kontakte ein Infektionsrisiko bergen, ist unbestritten. Doch das genaue Ausmaß des Beitrags der Arbeit zum Infektionsgeschehen ist noch weitgehend unbekannt.

Hinweise liefert nun eine neue Studie, die die Professoren Nico Dragano von der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Düsseldorf und Morten Wahrendorf von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf veröffentlichten. Die beiden Forscher haben dazu die regionalen wöchentlichen Covid-19-Inzidenzen der Bevölkerung im Erwerbsalter in 401 Kreisen von Anfang Februar 2020 bis Ende März 2021 mit Indikatoren zur Erwerbstätigkeit und zur Größe von Wirtschaftszweigen in diesen Regionen verglichen.

»Kreise mit vergleichsweise hohen Beschäftigtenquoten hatten in den zurückliegenden zwei Wellen (Frühjahr 2020 und Winter 2020/2021) insgesamt höhere Inzidenzen und unterschiedliche Verläufe«, lautet ein Ergebnis. In solchen Regionen sei der Anstieg teilweise schneller gewesen und habe höhere Inzidenzwerte erreicht. Zwischen den beiden Wellen seien die Inzidenzwerte in allen Regionen dagegen vergleichbar hoch gewesen. »Das Muster höherer Infektionszahlen in Regionen mit einem hohen Anteil an Menschen in Erwerbsarbeit ist aktuell auch zu Beginn der dritten Infektionswelle zu erkennen«, heißt es weiter.

Wo viel Industrie ist, sind die Fallzahlen hoch

Als sich die beiden Wissenschaftler die Auswertung nach Wirtschaftszweigen anschauten, stießen sie zudem auf einen auffälligen Befund: »Kreise mit einem hohen Anteil Erwerbstätiger in der Produktion hatten und haben im Durchschnitt höhere Inzidenzen im Vergleich zu Kreisen mit einem weniger ausgeprägten Produktionssektor.« In solchen Regionen seien die Inzidenzen zu Beginn aller drei Wellen früher und schneller angestiegen, zudem hätten sie einen höheren Wert erreicht.

Zugleich fanden die Wissenschaftler heraus, dass dort nach Lockdown-Maßnahmen die Werte wiederum später zurückgegangen seien als in Gebieten mit einem geringeren Anteil an Beschäftigten in der Produktion. Auch unter Berücksichtigung anderer möglicher Einflussgrößen wie Pendleraufkommen, Wohnraumgrößen oder Siedlungsdichte blieben die ursprünglich erkannten Zusammenhänge sichtbar.

Allerdings weisen Dragano und Wahrendorf ausdrücklich darauf hin, dass ihre Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden müssen. Schließlich sei die Auswertung auf regionaler Ebene erfolgt, sie lasse keinen Rückschluss auf die einzelnen Erwerbstätigen zu. Es ist ja nicht auszuschließen, dass diese sich woanders als am Arbeitsplatz angesteckt haben. Deshalb fordern die Forscher weitere Studien, »vor allem Bevölkerungsstudien mit Individualdaten zum Infektionsgeschehen in unterschiedlichen Berufsgruppen«. Dennoch erweitere die Studie den Wissensstand.

Sollten sich ihre Ergebnisse bestätigen, spräche dies für »für ein präventives Potenzial einer verstärkten Umsetzung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregeln und darüber hinausgehender Maßnahmen«, so die Forscher.

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