Spanische Urlauberhochburg Torrox Die große Leere im kleinen Deutschland

Buenos días, tristeza: Ferrara-Strand von Torrox
Foto: Claus Hecking / DER SPIEGELEs ist ein Septembermontag, wie ihn die Deutschen von Torrox lieben würden. Wenn sie nur hier wären. Zehn Uhr morgens, die Luft in dem spanischen Badeort ist schon 23 Grad warm, das Mittelmeer 25 Grad. Fischchen flitzen durch das klare, glatte Wasser. Ein perfekter Strandtag könnte das werden.
Aber der Strand ist fast menschenleer. Deutschenleer.
Behalten Sie den Überblick: Jeden Werktag gegen 17 Uhr beantworten SPIEGEL-Autoren die Fragen des Tages. "Die Lage am Abend” - hintergründig, kompakt, kostenlos. Hier bestellen Sie Ihr News-Briefing als Mail.
"Es ist eine Katastrophe", sagt Rafael López. "Diese Gegend lebt vom deutschen Touristen. Wenn die Deutschen nicht kommen, dann verlieren wir alles." Der Wirt der Bar "Safari", ein kräftiger Mann von 69 Jahren mit sonnengebräunten Armen und Walross-Schnauzer, steht auf der Strandpromenade. Er deutet auf die Liegen, die sein Mitarbeiter gerade aufklappt.
Normalerweise vermiete die Bar 150 Plätze, erzählt López. Wegen der Corona-Abstandsregeln seien es zurzeit nur knapp 50. "Aber gestern hatten wir nicht einmal ein Dutzend Kunden. Wie soll das weitergehen?"
Die Gäste fehlen: in Torrox, an der Costa del Sol, in ganz Spanien. Und die Gastgeber geraten in Existenznot.
Die Frühjahrssaison? Totalausfall. Das Sommergeschäft? Bescheiden. Und nun? Schießen die Infektionszahlen wieder dramatisch hoch, gibt es wieder Lockdowns, kollabieren wieder die Besucherzahlen.
Schlimmer könnte es kaum kommen für dieses Land, das die Tourismuseinnahmen so dringend braucht.
Das "Oktoberfest des Südens" fällt aus
"Es ist erschreckend, dass es in Spanien so massiv mit der Wirtschaft nach unten geht", sagt Clemens Fuest, der Chef des Ifo-Instituts. "Die Reisewarnungen und Quarantänebestimmungen treffen den Tourismus ins Herz. Und gerade in Spanien hängen Millionen Arbeitsplätze an diesem Sektor." 2,6 Millionen sind es laut Statistik. Plus all die Ladeninhaber, Handwerker, Bauarbeiter oder Zulieferer, deren Geschäft an den Urlaubern hängt.
Normalerweise wäre gerade Hochsaison im "kleinen Deutschland an der Costa del Sol", wie Torrox sich selbst bewirbt. Die "Alemanes" würden in Scharen herkommen in ihre Eigenheime: jetzt, da es im großen Deutschland nasskälter wird und im kleinen Deutschland die ärgste Sommerhitze vergeht. Dieser Tage hätten sie wie zu Tausenden das "Oktoberfest des Südens" gefeiert, das die Stadt extra erschaffen hat für ihre "Residentes".
Fast 4000 Deutsche haben in Torrox einen Wohnsitz angemeldet, etwa 3000 weitere besitzen hier eine Immobilie. Damit beherbergt die 19.000-Einwohner-Gemeinde nach eigenen Angaben die größte deutsche Kolonie auf der iberischen Halbinsel. Es gibt deutsche Bäckereien, deutsche Wurst, deutsche Friseure, einen deutschen Seemannslieder-Chor. Und südspanische 2900 Sonnenstunden pro Jahr.
Die meisten Deutschen hier sind Rentner. Sie residieren in Hochhaustürmen oberhalb der Strandpromenade, erbaut von einem Bremer Unternehmer in den Siebzigerjahren. Und als die Zeiten normal waren, kamen viele auf einen Kaffee oder ein Bier hinunter zu Rafael López ins Safari.
Doch dieses Jahr trauen sich nur wenige nach Torrox. López schätzt, dass sich maximal 200 Deutsche gerade im Ort aufhalten.
"Wir hatten hier noch keinen einzigen Toten"
"Wir hoffen, dass die Deutschen bald wieder zu uns kommen", sagt Bürgermeister Oscar Medina. "Torrox ist sicher. Wir hatten hier noch keinen einzigen Toten, und wir haben nur wenige Fälle."
Die meisten Deutschen werden dieses Jahr nicht mehr kommen, entgegnet Arno Friedrich: "Sie haben Angst." Der 71-jährige Pensionär lebt seit mehr als 20 Jahren in Torrox; er kennt Hunderte deutsche Immobilienbesitzer. Einige hätten Angst vor dem Virus selbst, erzählt Friedrich. Andere hätten Angst davor, in einem zweiten Lockdown in ihren Apartments eingesperrt zu sein, so wie es einigen Deutschen im Frühjahr passiert war. Wieder andere würden von ihren Kindern angefleht, bloß nicht nach Spanien zu reisen.
Und Kurzurlauber können sich schlicht nicht erlauben, künftig nach ihrer Rückkehr fünf Tage lang in Zwangsquarantäne zu gehen, wie Bund und Länder Ende August entschieden haben. "Diese neue Vorschrift", sagt Friedrich, "hat Torrox endgültig das Genick gebrochen."
Traktoren gegen das Virus
Dabei hatten sie hier so viel Hoffnung zu Beginn des Sommers. Am 1. Juli öffnete die Madrider Regierung die Grenzen für Touristen. Und die Menschen in Torrox gaben sich alle Mühe.
Seine Stadt, so erzählt Bürgermeister Medina, hatte schon in der ersten Welle Sprühanlagen über den Zufahrtsstraßen installiert, die alle Autos mit Desinfektionsmitteln übergossen. Nun schickte die Gemeinde ihre Saubermacher aus, um viermal täglich öffentliche Duschen zu desinfizieren. Sie heuerte Strand-Sheriffs an, die Badegäste auf die Abstandsregeln hinwiesen.
Traktoren pflügten den Strand um, zur Bekämpfung des Virus. Schließlich stellten Offizielle ein grünes Schild in den Sand: "playa segura" - "sicherer Strand".
Es wurde ein passabler Juli. Bei vier Meter Abstand wurde der Platz am Strand vor López Safari-Bar zeitweise sogar knapp. So knapp, dass die Gemeinde die Handtücher und Sonnenschirme abräumte, mit denen Touristen frühmorgens ihre Lieblingsplätzchen reserviert hatten.
Aber dann kam die zweite Corona-Welle. Gefolgt von den Reisewarnungen und Quarantäneregelungen aus Norwegen, Großbritannien, Deutschland. Und in Torrox wurde es stiller und stiller.
"Es regnet nur noch Stornierungen", sagt Angela Doge, Betreiberin der Autovermietung Auto 2000. Sie zückt ihr Smartphone, scrollt durch die "Es tut uns leid"- und "Absage"-Mails. Zwei Drittel der Flotte haben Doge und ihr Mann stillgelegt und auf einem Grundstück abgestellt.

Mülltüten über den Lampen: das Hotel Iberostar am Ferrara-Strand
Foto: Claus Hecking / DER SPIEGELAndere haben schon dichtgemacht: Restaurants, Geschäfte - und Torrox' Vorzeigehotel. Am Eingangstor des Iberostar haben die Betreiber Mülltüten über die Lampen gezogen, um sie vor Sand und Wetter zu schützen. "Cerrado" – "Geschlossen", steht auf einem Zettel. Seit dem 1. September ist es das Vier-Sterne-Hotel zugesperrt, mangels Gästen.
Laut der Hoteliersvereinigung war an der Costa Del Sol im August nur noch gut ein Drittel der Bettenkapazität belegt. Entlang der Küste sperren reihenweise Hotels zu. Manche wohl für immer.
Eine Herbstsaison zum Vergessen
Bis zur Pandemie war der Tourismus ein Wachstumsmotor der spanischen Wirtschaft, die sich allmählich von der Eurokrise erholte. 84 Millionen ausländische Besucher kamen 2019 ins Land, mehr als je zuvor.

Flaute und Flatterband: im Flughafen Málaga
Foto: Claus Hecking / DER SPIEGELDieses Jahr wird Spaniens Tourismusindustrie nach Branchenprognosen fast 100 Milliarden Euro weniger einnehmen. Am Flughafen Málaga - Costa del Sol, wo sonst täglich Tausende Nordeuropäer landen, sind viele Geschäfte verrammelt. Rot-weißes Flatterband versperrt den Weg in eine geschlossene Kaffeebar. Ryanair, Eurowings, TUI - alle haben ihr Spanien-Angebot zuletzt wieder ausgedünnt. Es wird eine Herbstsaison zum Vergessen.
Der Kollaps des Tourismus zieht die ganze Volkswirtschaft nach unten. Elf Prozent Schrumpfung sagte die Industrieländerorganisation OECD Spanien vor einigen Wochen voraus. Und da lief das Urlaubergeschäft noch einigermaßen. Mehr als eine Million Spanier haben schon im zweiten Quartal ihre Stelle verloren. Laut dem Institut Fedea droht bis zum Jahresende weiteren 1,4 Millionen Menschen der Verlust ihres Arbeitsplatzes.
Bangen um die Mülljobs
Besonders hart wird es die Jungen treffen. Mal wieder. Sie waren schon die Verlierer der Finanz- und Schuldenkrisen. Damals schoss die Jugendarbeitslosigkeit zeitweise über die 50-Prozent-Marke. Viele der seither geschaffenen Stellen waren "Trabajos Basura" - "Mülljobs", wie junge Spanier schlecht bezahlte, prekäre Arbeitsverhältnisse nennen, etwa in der Hotellerie oder Gastronomie. Jetzt müssen sie sogar um diese Mülljobs bangen.

Kehraus in Torrox: Der Tag geht, niemand kommt
Foto: Claus Hecking / DER SPIEGELIm Safari herrscht Dauerflaute. Ganze drei Tische sind an diesem Abend besetzt. Und am Strand haben die Mitarbeiter keine zehn Liegen vermietet an diesem Bilderbuch-Spätsommertag. Bald müssen sie womöglich wieder Sozialleistungen beantragen. Denn der Chef überlegt, in den nächsten Tagen die Bar zu schließen, für den Rest der Saison.
"Meine Frau und ich haben Geld gespart, wir werden den Winter überstehen", sagt Rafael López. "Aber wenn es im nächsten Frühjahr so weitergeht, wissen wir nicht, was wir machen sollen."