Fußballkneipe in der Coronakrise "Fußball zum Mitnehmen - das ist schwierig"

Gastronomen Holger Britzius (l.) und Michael Jachan (r.): "Die Kneipe lebt doch von den Emotionen"
Foto: ANDREAS GEBERT/ Gebert FotografieIn normalen Zeiten wären die Ostertage auch Fußballtage. Und das "Stadion an der Schleißheimer Straße" wäre wieder proppenvoll. Die Gastronomen Holger Britzius und Michael Jachan betreiben die Münchner Kneipe seit 14 Jahren. 2019 wurden sie von der Deutschen Akademie für Fußballkultur als "Fußballkneipe des Jahres" ausgezeichnet.
Die Wände zwischen den Leinwänden und Fernsehern sind voll mit Trikots, Wimpel und Schals unterschiedlichster Vereine. Dass die Kneipe normalerweise allen Fans offensteht, zeigt sich schon an den Besitzern: Britzius ist Fan vom Karlsruher SC, Jachan vom Rivalen VfB Stuttgart.
SPIEGEL: Herr Britzius, Herr Jachan, wegen der Coronakrise können die Menschen gerade keinen Livefußball schauen, die Bundesliga pausiert. Restaurants und Kneipen müssen sowieso geschlossen bleiben. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?
Jachan: Wir machen derzeit überhaupt keinen Umsatz. Ein Außerhausgeschäft würde nicht funktionieren: Fußball zum Mitnehmen - das ist schwierig. Die Kosten bleiben bestehen. Wir versuchen, sie zu reduzieren, sind aber auch auf unsere Geschäftspartner angewiesen. Der Pay-TV-Sender Sky hat uns zum Beispiel für sechs Wochen die Abo-Gebühren erlassen.
SPIEGEL: Sind Sie auch auf staatliche Hilfe angewiesen?
Jachan: Wir haben einen Antrag auf Kurzarbeit gestellt, um unsere Festangestellten zu bezahlen. Außerdem läuft der Antrag auf Soforthilfe. Aber das würde auch nur die Verbindlichkeiten und Liquiditätsengpässe der nächsten drei Monate decken. Im Gegensatz zur normalen Gastronomie, die möglicherweise in den nächsten Wochen unter Auflagen wieder bewirten darf, sind wir davon abhängig, ob Fußball gezeigt wird. Wenn das nicht geht, kann es sein, dass das Geld nicht reicht.
Britzius: Uns fehlt komplett die Perspektive. Wenn es erst im Juli oder August mit der Bundesliga weitergeht, wird es verdammt schwer. Dann sind Sommerferien, da setzt sich niemand in die dunkle Kneipe. Ob wir das überleben, ist sehr fraglich.
SPIEGEL: Die Bundesliga möchte die Saison zu Ende spielen, um nicht zu viel Geld zu verlieren. Wahrscheinlich ohne Zuschauer. Was halten Sie von sogenannten Geisterspielen?
Britzius: Kurz vor der Schließung haben wir drei Geisterspiele gezeigt, das kann man kaum anschauen.
Jachan: Mit Fußball, wie wir ihn kennen, hat das kaum etwas zu tun. Der Fußball lebt so dermaßen von seinen Fans, da hinterfrage ich schon den Sinn und Zweck. Klar, es geht um viel Geld. Aber ist es richtig, dass man das jetzt ums Verrecken durchpeitscht?
SPIEGEL: Es könnte immerhin Ihre Existenz retten.
Jachan: Wenn wir dann unter Auflagen wieder öffnen dürften, würden sicher Gäste kommen. Aber die Kneipe lebt doch von den Emotionen. Wie soll das gehen, wenn alle verteilt und mit Abstand zueinander sitzen?
Britzius: Am Anfang werden die Einschaltquoten hoch sein, weil jeder danach lechzt. Aber langfristig langweilen Geisterspiele, weil sie mit Fußball wenig zu tun haben.
SPIEGEL: Ihre Kneipe haben Sie 2006 eröffnet. Kurz darauf kam eine Weltwirtschaftskrise, aber der Fußball lief - anders als heute – weiter wie gewohnt. Haben Sie die Krise damals überhaupt gespürt?
Britzius: Wir hatten etwas weniger Umsatz, weil die Leute weniger Geld ausgeben wollten. Aber es sind relativ wenige Banker bei uns zu Gast. Wirklich etwas gemerkt haben wir deshalb damals nicht. Es war natürlich ein Gesprächsthema.
SPIEGEL: Neben der Kneipe führen Sie auch ein Wirtshaus in München, ganz ohne Fußball. Wie läuft es dort gerade?
Jachan: Dort machen wir ein reines Mitnahmegeschäft. Das richtet sich vor allem an unsere Nachbarschaft. Wir machen knapp 20 Prozent vom üblichen Umsatz.
SPIEGEL: Lohnt sich das überhaupt?
Jachan: Es lohnt sich insofern, dass wir durch Kurzarbeit, weniger Personal und viel Glück vielleicht auf null rauskommen. Verdienen werden wir sicher nichts.
SPIEGEL: Das heißt aber auch, dass Ihre Minijobber - also Kellnerinnen oder Thekenfachkräfte - gerade nichts verdienen, oder?
Jachan: Wir haben viele Mitarbeiter, die auf Minijob-Basis arbeiten und studieren, die sind auf das Geld angewiesen. Aber wir können sie nicht bezahlen. Das tut weh.
SPIEGEL: Was vermissen Sie derzeit am meisten?
Jachan: Gastgeber zu sein, mit Gästen zu reden. Deshalb machen wir das doch. Mit Menschen über Belanglosigkeit reden oder tief gehende Diskussionen zu führen. Was fehlt, ist die Gesellschaft von anderen Menschen.
Britzius: Der Fußball fehlt natürlich auch, aber der ist gerade echt zweitrangig. Wie einige Funktionäre den Sport jetzt überhöhen, ist total übertrieben. Außerdem kann ich darauf verzichten, die nächsten Niederlagen meines Vereins zu sehen, als Fan ist das gar nicht so schlimm. Als Gastronom leider schon.