Corona-Welle Trumps Ungeduld bremst die Wirtschaft aus

Durch eine extra schnelle Öffnung der US-Wirtschaft wollte Donald Trump den Aufschwung erzwingen. Erreicht hat er das Gegenteil: Eine neue Pandemiewelle gefährdet die Konjunkturerholung.
Von Ines Zöttl, Washington
Donald Trump in Dallas, Texas (am 11. Juni 2020): Öffnung mit Nachdruck vorangetrieben - nun rächt sich die Eile

Donald Trump in Dallas, Texas (am 11. Juni 2020): Öffnung mit Nachdruck vorangetrieben - nun rächt sich die Eile

Foto: NICHOLAS KAMM/ AFP

Es ist eine bittere Niederlage für den Präsidenten: Die Stadt Jacksonville, in der Donald Trump im August seine Krönungsmesse als republikanischer Wahlkandidat feiern will, hat einen Maskenzwang verhängt. Wo Abstandhalten unmöglich sei, sei der Corona-Mundschutz bis auf Weiteres Pflicht, erklärten die Stadtoberen Anfang dieser Woche - also auch in der 15.000-Plätze-Halle, in der Trump seine Basis in Stimmung bringen will.

Die Verordnung ist für den Präsidenten, der das Tragen einer Maske kategorisch ablehnt, umso demütigender, als die Republikaner die Kandidatenkür hauruckartig nach Jacksonville verlegt hatten, weil ihnen die Corona-Regeln in North Carolina zu streng waren. Doch nun verschärft auch das vermeintlich willfährige Florida die Regeln.

Der Grund: Die Pandemie breitet sich im Sonnengürtel Amerikas mit beunruhigender Geschwindigkeit aus. Der Anstieg der Fallzahlen in mehreren Bundesstaaten des Südens "bringt das ganze Land in Gefahr", warnte der Regierungsimmunologe Anthony Fauci am Dienstag. Wenn der Trend nicht gestoppt werde, könnte die Zahl der Neuinfektionen in den USA nach seiner Prognose von derzeit rund 50.000 auf 100.000 steigen - pro Tag.

Immer mehr Bundesstaaten leiten deshalb die Kehrtwende ein und verlangsamen die Öffnung der Wirtschaft. Allen voran Texas, das bisher Trumps wichtigster Verbündeter bei der brachialen Rückkehr zur Normalität war. In dem Südstaat sind Schätzungen zufolge inzwischen rund fünf Prozent der Bevölkerung infiziert. Der republikanische Gouverneur Greg Abbott hat die Schließung der Bars angeordnet und Restaurants angewiesen, ihre Gästezahl zu reduzieren. Zugleich ermächtigte er die Lokalregierungen, Versammlungen von mehr als hundert Leuten zu verbieten. Wenn er die Zeit zurückdrehen und anders entscheiden könnte, würde er auf die vorschnelle Öffnung verzichten, gab Gouverneur Abbott in einem Interview zu: "Das Konzept einer Bar funktioniert in einer Pandemie einfach nicht."

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Auch Abbotts Parteikollege Ron DeSantis aus Florida hat den Bars das Geschäft verboten - und ausgerechnet zum Feiertagswochenende des 4. Juli sperren die Behörden die Strände in Miami, Fort Lauderdale und Palm Beach. Arizona verbietet neben Bars auch Kinos, Fitnessklubs und Spaßbädern den Betrieb und verschiebt die Öffnung der Schulen. Auch in Kalifornien gelten vielerorts neue Einschränkungen. Insgesamt haben mindestens 16 Staaten, in denen fast ein Drittel der US-Bevölkerung lebt, ihre Fahrpläne für die Öffnung korrigiert.

Die Kennzahlen der Analysten lassen nichts Gutes erwarten

Die Sorge wächst, dass damit auch die konjunkturelle Erholung in den USA ins Stocken gerät. Zwar erwarten die Ökonomen, dass der Arbeitsmarktbericht am Donnerstag die Schaffung von drei Millionen Jobs im Juni und eine gesunkene Arbeitslosenquote ausweist. Doch auch dann läge die Beschäftigung um 16,5 Millionen unter dem Höchststand vom Februar, dämpft Mark Zandi, Chefökonom von Moody's Analytics, die Euphorie. Viele Unternehmen hätten zudem begonnen, ihren Beschäftigten die Löhne zu kürzen. "Das gab es nicht einmal während der Finanzkrise oder der Großen Depression."

Es gibt weitere Warnzeichen: In den von höheren Infektionszahlen betroffenen Staaten ist die Gesamtzahl der Arbeitsstunden in kleineren Unternehmen seit Ende Mai nicht mehr gestiegen. Der "Aufschwungsindex" des Beratungsunternehmens Oxford Economics, der 20 Kennzahlen kombiniert, zeigt ebenfalls eine nachlassende Dynamik. Der Anstieg habe sich im Juni deutlich abgeflacht, so US-Chefökonom Gregory Daco. Die "erste starke Erholungsphase" nach dem Absturz habe "den falschen Eindruck geschaffen, dass die Wirtschaft unmittelbar zur Vor-Covid-Dynamik zurückkehrt."

Anders als Trump, der den Aufschwung durch die Öffnung erzwingen wollte, sehen die Ökonomen nur einen Weg zurück zur Normalität: Die Ausbreitung der Pandemie müsse gestoppt werden. Es habe sich eine "neue inverse Beziehung" zwischen der Zahl der Corona-Infektionen und der wirtschaftlichen Aktivität herausgebildet, so Matthew Luzzetti, US-Experte der Deutschen Bank. Staaten wie Arizona, Florida, South Carolina und Texas, wo die Pandemie sich ausbreite, "schneiden nun gemessen an der Aktivität kleiner Unternehmen, Restaurantbuchungen und Verbraucherausgaben ökonomisch unterdurchschnittlich ab."

Staaten könnten überhastet geöffnet worden sein

Luzzettis Schlussfolgerung: Auch wenn die Politik auf Einschränkungen verzichtet, würden die Bürger angesichts der Pandemie ihr Verhalten verändern. Und das bremst dann die Konjunkturerholung. Die Eindämmung des Virus und die Stärkung der Wirtschaft seien keine Gegensätze, argumentiert auch Ökonom Zandi. Im Gegenteil: "Eine gesunde Bevölkerung ist eine notwendige Bedingung für eine starke Wirtschaft."

Es zeige sich nun, dass viele Gouverneure ihre Staaten zu schnell wieder geöffnet hätten: "Sie haben das Virus neu entfacht und damit ihren Volkswirtschaften geschadet." Zandi befürchtet, dass seine Prognose eines sprunghaften Wachstums im dritten Quartal um fast 20 Prozent Jahresrate nun nicht mehr zu halten ist.

In den Ausgehvierteln der texanischen Städte jedenfalls haben die Bars ihre Türen wieder versperrt und die Fenster vernagelt. An den Corona-Test-Stationen im Land bilden sich derweil Schlangen. "Wunschdenken hat uns hierhergebracht", schimpfte Lina Hidalgo, Richterin des Bezirks Harris, in dem auch die Großstadt Houston liegt. Ihr Rat an diejenigen, denen die Öffnung nicht schnell genug gehen kann: "Es gibt keine Abkürzung aus der Krise."

Masken könnten zumindest ein wenig helfen - findet sogar Trumps Vize

Vielleicht aber doch: Nach einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs könnte eine nationale Maskenpflicht in den USA neue Schließungen von Geschäften, Restaurants, Schulen und Büros zumindest teilweise ersetzen.

Eine landesweite Vorgabe würde dafür sorgen, dass deutlich mehr Amerikaner in der Öffentlichkeit den Mundschutz tragen, das wiederum würde die Verbreitung des Virus verlangsamen, so das Ökonomenteam. Auf diese Weise könnten Einbußen des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent durch ansonsten notwendige Lockdowns vermieden werden.

"Eine Maske zu tragen, ist eine gute Idee", verkündet neuerdings selbst Trumps Vize Mike Pence. Jetzt muss er nur noch seinen Chef überzeugen.

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