US-Wirtschaft in Coronakrise Nur eine Bö vor dem Hurrikan

Der längste Wirtschaftsaufschwung der US-Geschichte ist nun offiziell beendet, und mehr als eine Million Menschen sind mit dem Coronavirus infiziert. Die einst führende Industrienation gibt ein erbärmliches Bild ab.
Von Ines Zöttl, Washington
In den USA tobt bereits die Wirtschaftskrise, Millionen verloren ihre Jobs. Doch es droht noch schlimmer zu werden

In den USA tobt bereits die Wirtschaftskrise, Millionen verloren ihre Jobs. Doch es droht noch schlimmer zu werden

Foto: Charlie Riedel/ AP

Das jüngste Opfer des Coronavirus ist ein Star, der in vielen Teilen der Welt bewundert und beneidet worden war: die amerikanische Volkswirtschaft. Am Mittwoch ist der zehnjährige Aufschwung offiziell beerdigt worden. Im ersten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt mit einer Jahresrate von fast fünf Prozent geschrumpft. Der Einbruch ist dramatisch - und doch ist es nicht mehr als der erste Ausläufer des Orkans. "Auch wenn das Minus von 4,8 Prozent die stärkste Schrumpfung seit 2008 ist, wird die Zahl verglichen mit dem fast 40-prozentigen Rückgang im zweiten Quartal verblassen", warnt Gregory Daco, US-Chefökonom des Analyseinstituts Oxford Economics.

Während die längste Expansionsphase der US-Geschichte mit einem Schlag vorbei ist, hat Amerika einen neuen traurigen Rekord aufgestellt: Über eine Million Menschen sind inzwischen nach offiziellen Zahlen mit dem Coronavirus infiziert, rund 60.000 Menschen gestorben – mehr als im Vietnamkrieg. Das Gesundheitssystem, das 17 Prozent der Wirtschaftsleistung verschlingt, versagt. Die Pandemie hat die Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen Weiß und Schwarz weiter aufgerissen. Nur dank der Kontakte seiner aus Südkorea stammenden Ehefrau Yumi gelang es dem Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, eine halbe Million Tests aus Asien zu ergattern. Codewort: "Operation Enduring Friendship". Beziehungen und Cash sind King, wo es an zentraler Steuerung mangelt.

In der Coronakrise verlieren viele US-Amerikaner ihre Jobs und sind auf fremde Hilfe angewiesen - das beginnt schon bei Lebensmitteln

In der Coronakrise verlieren viele US-Amerikaner ihre Jobs und sind auf fremde Hilfe angewiesen - das beginnt schon bei Lebensmitteln

Foto: DAVID BECKER/ AFP

Aus "Exzeptionalismus" wird exzeptionelles Versagen

"Das monumentale Versagen institutioneller Leistungsfähigkeit wird den Rest des Jahrzehnts nachwirken", warnte der Tech-Investor Marc Andreessen, der einst den Internetbrowser Netscape entwickelt hat. Aber auch Amerikas Start-ups und marktbeherrschende Konzerne haben einen Ruf zu verlieren: Werden sie es sein, die die lebensrettenden Innovationen entwickeln? Der Beweis steht aus. Amerikanischer "Exzeptionalismus" heißt derzeit vor allem exzeptionelles Versagen:

  • Seit Beginn der Krise haben sich rund 26 Millionen Amerikaner arbeitslos gemeldet – am Ende dieser Woche könnten es nach Schätzungen fast 30 Millionen sein. Nach einer Studie der linksgerichteten Denkfabrik Economic Policy Institute ist die wahre Lage noch schlimmer. Auf zehn erfolgreiche Antragsteller kommen demnach jeweils drei oder vier, die nicht durchkamen, weil die Internetseiten und Hotlines vieler Ämter zusammenbrachen. Je zwei weitere Arbeitslose hätten es erst gar nicht auf einen Versuch ankommen lassen.

  • Mehr als jeder zweite Amerikaner sagt von sich, dass er nicht genügend Ersparnisse hat, um drei Monate überbrücken zu können. Bei den Geringverdienern sind es sogar 77 Prozent. Und jeder zweite in dieser Gruppe berichtete in einer Pew-Umfrage, dass er oder ein anderes Familienmitglied bereits den Job verloren oder Einkommenseinbußen erlitten hat. Latinos sind weit überproportional betroffen.

  • Wenn der Job futsch ist, ist meist auch die Krankenversicherung weg. Das Heer der heute schon 27 Millionen Amerikaner ohne Versicherungsschutz wird sich damit ausgerechnet inmitten der verheerenden Pandemie um Millionen vergrößern.

  • Trotz fehlender Schutzausrüstung geht in vielen Fabriken die Arbeit weiter. Niedriglohnjobs sind Hochrisikojobs. Nach Gewerkschaftsangaben sind allein in der Fleischindustrie 6500 Beschäftigte an Covid-19 erkrankt und 20 gestorben. In den riesigen Produktionsanlagen der marktbeherrschenden Konzerne wie Tyson Foods ist die Ansteckungsgefahr groß. US-Präsident Donald Trump hat die Firmen nun zur "kritischen Infrastruktur" erklärt, damit nicht wegen Betriebsschließungen womöglich die Schweinekoteletts, Chicken Wings oder Steaks auf Amerikas Tellern knapp werden.

  • Für viele der in ihrer Existenz bedrohten Firmen dürfte das Geld aus den massiven Drei-Billionen-Dollar-Hilfspaketen des Kongresses zu spät kommen. Der erste Hilfsfonds für kleine Unternehmen war binnen weniger Tage ausgeschöpft, als am Montag die zweite Tranche startete, ging die Technik wieder in die Knie. Die Auszahlung des Helikoptergeldes verzögerte sich laut einem Bericht der Washington Post, weil Trump darauf bestand, dass sein Name auf den 1200-Dollar-Schecks steht, die rund 70 Millionen Amerikaner im Laufe der nächsten fünf Monate per Post bekommen sollen.

Nur noch ein Viertel vertraut Trumps Informationen

Ob die Verwerfungen den Glauben an das amerikanische Kapitalismusmodell weiter erschüttern, wird davon abhängen, wie lange sich die Krise hinzieht. Schon im Sommer werde die US-Wirtschaft "wieder auf die Beine kommen", behauptet Finanzminister Steven Mnuchin. Das unabhängige Congressional Budget Office erwartet, dass die Erholung zwar in der zweiten Jahreshälfte beginnt, aber die Wirtschaft ihr Vorkrisen-Niveau frühestens 2022 wieder erreicht. Viele Ökonomen sind noch skeptischer.

Für Trump aber ist die "großartigste Wirtschaft in der Geschichte der Welt"  weiterhin auf dem Siegeszug: "Wir werden sie besser wiederaufbauen, und es wird schneller gehen, als die Leute glauben". In seine Informationen zur Coronakrise hat inzwischen allerdings nur noch ein Viertel der Amerikaner großes Vertrauen.

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