WIRTSCHAFTS-KOMMENTAR Dahinter steht die blanke Angst
Wenn es sein muß, geht alles ganz schnell. Die Veba erhält aus Frankreich ein Angebot, das rechnet sie fix einmal durch und teilt das Ergebnis der verblüfften Öffentlichkeit mit: Die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf wird nicht gebraucht. Ein paar Tage später werden die Bauarbeiten eingestellt. Manager, nicht Politiker, machen hierzulande die Energiepolitik.
Eine »Riesensauerei« ist das nach Ansicht des bayrischen Wirtschaftsministers August Lang. Er ahnte wohl als einer der ersten, daß die Atomfreunde in der Politik nun noch mehr Schwierigkeiten haben werden, das Fehlen eines klaren energiepolitischen Konzeptes mit starken Worten zu überspielen.
Fast alle Voraussagen über eine herrliche Atomzukunft haben sich als falsch erwiesen. Nicht 50 bis 60, sondern zwei Dutzend Atomfabriken produzieren in der Bundesrepublik Strom, und kein Licht ist ausgegangen. Atomstrom sollte nur halb soviel kosten wie Strom aus anderen Quellen; inzwischen macht der Vorteil nur noch drei bis vier Pfennig pro Kilowattstunde aus, und selbst an dieser Rechnung sind Zweifel erlaubt.
Der Schnelle Brüter wie der Hochtemperaturreaktor sind längst Ruinen eines blinden Fortschrittsglaubens. Die Industrie will nichts mehr damit zu tun haben, dennoch fließen Jahr für Jahr Hunderte Millionen an Steuergeldern in die längst toten Projekte. Die Illusion, daß Kernenergie unverzichtbar und segensreich für die Bundesrepublik sei, muß über den Wahltag gerettet werden.
Zu dieser Illusion gehört zwangsläufig auch, daß die gefährliche Technik der Kernenergie absolut sicher und beherrschbar ist. Die Unfälle passierten ja immer woanders - Windscale, Harrisburg und Tschernobyl sind weit weg.
Doch ist nun nicht Schluß mit den Illusionen, setzt sich nun nicht unter dem Druck der Industriemanager die Vernunft durch? Immerhin will das Bonner Kabinett die Baustelle in Wackersdorf endgültig stillegen.
Der Schein trügt. Nur scheinbar folgen Veba-Chef Bennigsen-Foerder und die Bundesregierung rationalen Überlegungen. In Wahrheit nutzen sie die Entscheidung für die europäische Lösung nicht einmal für eine konsequente Kurskorrektur, die in ihrem eigenen Interesse läge: Wenn sie denn schon die vorhandenen Leichtwasserreaktoren noch ein paar Jahre in Betrieb halten wollen, dann müßten sie auch eine sinnvolle Beseitigung des Abfalls sicherstellen.
Gewiß: In Wackersdorf waren die Kosten nicht mehr beherrschbar, deshalb stoppte Bennigsen das unsinnige Bauwerk gerade noch rechtzeitig. Dahinter steht die richtige Erkenntnis, daß die Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente für 23 000 Megawatt Leistung nicht lohnt. Sie lohnt aber auch nicht in La Hague, selbst wenn der Preis dort wirklich um zwei Drittel niedriger liegt.
Sinnvoll wäre, die Brennelemente, die nun einmal da sind, über längere Zeit zwischenzulagern, bis ein Teil der Radioaktivität abgeklungen ist. In dieser Zeit könnten Experten prüfen, in welchen Salzstock der Atommüll am sichersten ohne Wiederaufarbeitung zu vergraben ist. Ein Endlager muß schließlich so oder so her, selbst wenn das Unwahrscheinliche einträte und von morgen an alle Atommeiler dichtmachten.
Dieser Weg wäre billiger und umweltfreundlicher als die Wiederaufarbeitung. Wenn dann noch ein rigoroses Energiesparprogramm hinzukäme, ließe sich vielleicht ernsthaft erproben, ob nicht doch in der Bundesrepublik auf Kernenergie mit ihren ungeheuren Risiken verzichtet werden kann, ohne mehr Kohle, Gas oder Öl zu verbrennen.
Doch die Bonner beharren auf der unsinnigen Wiederaufarbeitung, nun nicht mehr in Wackersdorf, sondern in La Hague und im englischen Sellafield. Dahinter steht offenbar die blanke Angst: Wenn nach Kalkar und Hamm-Uentrop in Wackersdorf die dritte Investitionsruine der Atompolitiker sichtbar wird, muß wenigstens am Prinzip Wiederaufarbeitung festgehalten werden. Der Bürger könnte sonst auf den Gedanken kommen, daß vielleicht doch die ganze Richtung nicht stimmte.
Die Chance für eine Kurskorrektur wurde vertan