Zur Ausgabe
Artikel 31 / 75

GEWERKSCHAFTEN Dampf gemacht

Betriebsräte aus Energie- und Kraftwerksunternehmen überfuhren die DGB-Oberen. Sie mobilisierten ihre Basis -- und zwangen die Spitzenfunktionäre zu einer freundlicheren Haltung gegenüber Kernkraftwerken.
aus DER SPIEGEL 48/1977

Einst verdiente er als Bauunternehmer. Dann, vor fünf Jahren, machte er sich um seinen Freund, den Bundeskanzler, verdient und gründete die »Bürgerinitiative Willy Brandt": Alfred Schalter, 49, war schon immer ein geschäftiger, ein unternehmerischer Mann.

Als die Sorgen um verschmutztes Wasser, giftige Luft und lästigen Lärm stetig zunahmen, war der »engagierte Staatsbürger« (Schaller über Schaller) wieder zur Stelle. Er gründete in Münchens Gnesener Straße 4-6 eine »USG Umwelt-Systeme Gesellschaft mbH, Institut für Umweltschutz und angewandte Ökologie«. Die Firma sollte sich, so Schaller, um so unterschiedliche Aufgaben wie Lärmschutz und Meinungsforschung kümmern.

Doch erst die im vergangenen Jahr aufgebrochene Kontroverse über Sinn und Unsinn, Gefährlichkeit und Unersetzlichkeit von Kernkraftwerken brachte die Arbeit der Firma so richtig in Fahrt. Unauffällig und von den Spitzenfunktionären des DGB weitgehend unbemerkt, half Schallers Firma, eine einflußreiche innergewerkschaftliche Front zu organisieren, die den raschen Ausbau der Atommeiler fördert -- zugunsten der Arbeitsplätze und der Bilanzen jener Unternehmen, die sich mit dem Bau von Stromfabriken befassen.

Schaller selbst beschreibt seinen Einsatz so: Weil er »für sozialen Fortschritt« und »gegen die Bedrohung von Arbeitsplätzen« sei, habe er es übernommen, einen »Aktionskreis Energie der Betriebsräte« zu organisieren.

Dieser Arbeitskreis hat es in sich: Er spricht für die Betriebsräte von immerhin 350 Unternehmen aus der Energieversorgung und dem Kraftwerkbau samt Zulieferindustrie. Kaum eine Firma von Rang fehlt in Schallers Kartei: Die Gesamtbetriebsräte von Siemens und MAN, Fried. Krupp und Mannesmann sind ebenso präsent wie Belegschaftsvertreter der Mülheimer Kraftwerk Union (KWU), der Baukonzerne Philipp Holzmann, Hochtief und Heitkamp oder der Kraftwerks-Zulieferer Krauss-Maffei und Deutsche Babcock. Insgesamt, meint Schaller, »repräsentiere« der Aktionskreis »1,5 Millionen Beschäftigte«.

Zwar hat es der Klub zu einer Satzung noch nicht gebracht. Doch das Ziel ist klar: Bürger und Politiker sollen für den Bau von Kohle- und Kernkraftwerken erwärmt werden.

Etliche Wochen vor dem Hamburger SPD-Parteitag, der nach dem Willen des Vorstands einen faktischen Baustopp für Atomkraftwerke beschließen sollte, wurden viele Betriebsräte von Referenten aus Energie- und Wirtschaftsforschungsinstituten aufgerüstet. Die Lektion war eindeutig: Den Seminarteilnehmern wurde klargemacht, daß sie »das Recht und die Pflicht haben, ihre Interessen deutlich wahrzunehmen« (Schaller).

Diese Pflicht erfüllen die Räte -- und das gewissenhaft. Der Arbeitskreis hat inzwischen laut einer internen Dokumentation nicht nur Briefaktionen »an alle Gewerkschaftsfunktionäre, an alle Mandatsträger des Bundes und alle Delegierten des SPD-Parteitages« losgelassen, sondern auch an der Basis gearbeitet: Anzeigen »in der Gewerkschaftspresse mit einer Auflage von rund 2,3 Millionen« und 300 000 Exemplare der Broschüre »Jetzt sind wir dran« sollen in den Kraftwerks-Fabriken für den nötigen Dampf sorgen.

All diese Aktivitäten gelangen fast mühelos, dank großherziger Spender. Wieviel Geld freilich auf dem von Schaller für den Aktionskreis bei der Bank für Gemeinwirtschaft eingerichteten Spendenkonto Nr. 17437700/02 eingegangen ist und wer die eigentlichen Gönner sind, ist da schon weniger gewiß. Aktionskreis-Aktivisten behaupten ungerührt, alle Gelder stammten von den Betriebsräten, Firmengelder seien nicht eingegangen.

Wohlmeinende Hilfe jedenfalls, auch großherzigen Beistand haben die Konzerne kaum versagt. Denn bei den entscheidenden Großaktionen standen sie gern zur Verfügung: mit Freistellung und Spesenersatz, Transportmitteln und Frühstücksbeuteln.

Ende September wurden die ersten dieser werbewirksamen, auf Gewerkschaften und SPD zielenden Veranstaltungen durchgezogen: 14 000 Arbeitnehmer demonstrierten in Bonn, gut 1000 sammelten sich in der Dortmunder Westfalenhalle zu lautstarker Atomkraftwerks-Meinungsbildung.

Erst auf diesem »Betriebsrätekongreß 77«, der von dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) Johannes Nordheider ausgerichtet wurde, drehten die Räte richtig auf. Die prominentesten Heizer kamen aus Wirtschaft und Politik: VEW-Vorstandsvorsitzender Klaus Knizia, KWU-Chef Klaus Barthelt und Bundesforschungsminister Hans Matthöfer.

Konzernchef Barthelt machte den Belegschaftsvertretern eine düstere Rechnung auf: Bei einem Kraftwerk-Baustopp sei in den achtziger Jahren mit vier bis fünf Millionen Arbeitslosen zu rechnen, nach 1990 könnten es sogar acht Millionen sein.

»Ich bin gespannt«, fragte KWU-Barthelt rhetorisch, »wer sich zu Wort melden wird, um die Verantwortung zu übernehmen, wenn Stromknappheit die Zahl der Arbeitslosen emporschnellen läßt.«

Der von der DGB-Zentrale entsandte Energiefachmann des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Botho Riegert, hatte da keine Chance mehr. Als er den erst im April beschlossenen skeptischen Standpunkt der Gewerkschaftsführung vorzutragen und zu erläutern begann, wurde er von den Arbeitnehmervertretern erbarmungslos ausgepfiffen.

Erst nach diesen Pfiffen erwachten die Spitzenfunktionäre, die bis dahin den Aktionskreis entweder ignoriert oder unterschätzt hatten. Sie begriffen, daß die Bewegung kaum noch zu stoppen war.

Um wenigstens zu verhindern, daß die Räte auch offen gegen die DGB-Oberen opponierten, gaben sie ihre einstimmig beschlossene Distanz zur Kernenergie auf -- und setzten sich an die Spitze der von den Räten längst für den 10. November geplanten Pro-Energiekundgebung im Dortmunder Westfalen-Stadion.

Dort, vor 40 000 zum Teil in Firmenbussen herangekarrten Kraftwerks-Arbeitnehmern, zeigten die Führungsfunktionäre Führungskunst. Ob IG-Bau-Chef Rudolf Sperner oder ÖTV-Boß Heinz Kluncker, IG-Metall-Vorsitzender Eugen Loderer oder IG-Chemie-Chef Karl Hauenschild -- ihnen allen ging es nun in erster Linie um die Sicherheit der Arbeitsplätze, erst dann um die Sicherheit der Atomkraftwerke und ihrer Entsorgung.

»Wir haben denen ganz schön klargemacht«, freute sich ein Betriebsratschef nach der Kundgebung, »daß es für sie höchste Zeit wurde, auf diesen Zug zu springen.« Alfred Schaller greift höher. Er sieht in der Veranstaltung nichts weniger als »einen Meilenstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung«.

Für die Mehrheit der Spitzengewerkschafter dagegen war die Kampagne, so ein DGB-Insider, wohl »eher ein bitteres Lehrstück«. Sie bekamen vorgeführt, wie stark gerade in flauen Konjunkturtagen die Betriebsräte auftrumpfen können.

Innergewerkschaftliche Solidarität, eigentliches Kraftwerk der Arbeitnehmerorganisationen, und auch die Beschluß- und Grundsatztreue kommen dabei gelegentlich zu kurz. Die Belegschaftsvertreter nämlich kümmern sich im Ernstfall, wenn Arbeitsplätze in Gefahr sind, vor allem um die Interessen ihrer Leute -- und damit auch um die Unternehmen, die sie beschäftigen.

Je leichthändiger die Gewerkschaften aber mit ihren eigenen Maximen umgehen, um so eher müssen sie sich um ihre Autorität sorgen, sowohl gegenüber Parteien und Regierung als auch gegenüber den eigenen Mitgliedern.

»Wenn man die ganze Diskussion der letzten Monate verfolgt«, fürchtete schon vor zwei Monaten ein Delegierter des IG-Metall-Kongresses in Düsseldorf, »dann kommt das einem so vor, als ob es wirtschaftlichen Interessen gelungen ist, die Gewerkschaften und ihre Repräsentanten vor ihre eigenen Interessen zu spannen.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 31 / 75
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren