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VERBRAUCHERSCHUTZ Das große Moral-Monopoly

Emission free, New Ethics, klimaneutral? Viele vermeintlich gehaltvolle Prüfsiegel klingen bedeutungsschwer, sind aber vor allem dick aufgetragene Unternehmenskosmetik.
aus DER SPIEGEL 19/2008

Es gab schon Gehaltvolleres von Klaus Töpfer als das, was der ehemalige Umweltminister und Uno-Generaldirektor vor wenigen Wochen auf einem Werbetermin von McDonald's zum Besten gab. Töpfer mäanderte dort zwischen Bibelzitaten und Poesiealbumsprüchen hin und her - in der Art: »Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.«

Die Fast-Food-Kette hatte Töpfer in die brasilianische Botschaft in Berlin eingeladen zur bundesweiten Einführung ihres neuen - zertifizierten - Kaffees. Töpfer sollte für die nötige Fallhöhe der Veranstaltung sorgen, auch wenn er sich über die Qualität des Siegels der amerikanischen Rainforest Alliance selbst nicht ganz sicher zu sein schien.

Aber der brasilianische Botschafter hatte bereits vorab Entwarnung gegeben: Das Logo mit dem grünen Frosch sei ein »gutes Siegel«. Sofern es den McDonald's-Kunden überhaupt interessiert, soll er nun guten Gewissens seinen Kaffee genießen können: ethisch und nachhaltig produziert und unabhängig geprüft.

Frösche und Pandas, Engel und Blumen - über tausend solcher Labels und Siegel gibt es mittlerweile in Deutschland, schätzt die Verbraucher Initiative e. V. in Berlin. Allein bei der Bio-Supermarktkette Basic zählte die Stiftung Warentest 60 nationale und internationale Bio-Siegel. Zwar ist im Bio-Segment die Siegelkunde der Verbraucher noch relativ hoch. Und auch das Transfair-Zeichen sowie der Blaue Umweltengel, der unter Verbraucherschützern nicht mehr unbedingt als ambitioniert gilt, werden noch beachtet.

Darüber hinaus wächst aber die Verwirrung, zumal nur die wenigsten Labels halten, was sie versprechen (siehe Grafik). Weil Moral sich aber zu lohnen scheint, pappen viele Firmen Nullaussagen wie »aus kontrolliertem Anbau« oder »dermatologisch getestet« auf ihre Waren - oder erfinden ihre Siegel gleich selbst.

Doch statt der vielen Sticker Marke Eigenbau »sollten sie besser in die Erfüllung der Bedingungen von bereits bestehenden Siegeln« investieren, fordert Georg Abel von der Verbraucher Initiative, die bereits über 300 Labels auf ihrer Web-Seite geprüft hat.

Mitunter scheint die Orientierungslosigkeit auch die Siegelbewahrer zu erfassen. So bekam die Rainforest Alliance die Bestnote »Empfehlenswert«. Wie die Zertifizierung laufe und durch wen die Organisation finanziert werde, habe man nicht weiter überprüft. »Wir konzentrieren uns da vor allem auf die Angaben der Unternehmen«, so eine Mitarbeiterin der Initiative. Oxford-Professor Alex Nicholls, Spezialist für Soziales Unternehmertum, hält das Siegel für Schmu. Es sei ein billiger Ausweg für Unternehmen, die ein »kurzlebiger spektakulärer PR-Effekt« interessiere.

Zu den Spendern gehören multinationale Konzerne - wie etwa der Nahrungsmittel-Multi Kraft Foods, der wiederum McDonald's den zertifizierten Kaffee liefert.

Ein Händler bekommt das Siegel bereits, wenn 30 Prozent seines Kaffees von zertifizierten Betrieben stammen. Und so grün, wie es aussieht, ist das Siegel nicht: Es gebe einen Reduktionsplan für Pestizide, die die Weltgesundheitsorganisation als gefährlich einstufe, berichtete eine Zertifiziererin in Berlin stolz. Ansonsten hält man sich lediglich an bestehende Gesetze und Standards.

Im Gegensatz zu Fairtrade legt die US-Organisation keine existenzsichernden Mindestpreise fest. Den Bauern gehe es trotzdem gut: Er sei glücklicher auf der Farm als in seinem Haus, habe ihr ein Arbeiter in Guatemala erzählt, berichtet die Zertifiziererin. Auf der Farm habe er wenigstens Toilette und Dusche. Oder andersrum: Selbst jahrelange Arbeit hat zu Hause nicht einmal fürs Nötigste gereicht.

Die Rainforest Alliance zertifiziert auch die Bananen von Chiquita Brands, der immer wieder Probleme hat, Arbeitsbestimmungen einzuhalten - was das Unternehmen bestreitet. Dass Chiquita bis 2004 in Kolumbien paramilitärische Todesschwadrone mit Geld unterstützte, hatte für die Zusammenarbeit keine Folgen.

Am Ende seines kleinen Auftritts in Berlin sagte Umwelt-Profi Töpfer: »Ich kann nur warnen vor einer grünen Fassade.« Der Markt strafe Lügen schnell ab.

Ist der Verbraucher also bereits der stumme Aufsichtsrat globaler Konzerne, der am Supermarktregal den Daumen hebt oder senkt? Führt seine Wahl bereits zu einer »Moralisierung der Märkte«, wie der Soziologe Nico Stehr glaubt? Oder ist der Kunde im großen Moral-Monopoly doch der am leichtesten zu blendende Faktor?

Das Geschäft mit dem Guten jedenfalls ist selbst eine Boombranche geworden: Zertifizierer, Agenturen oder Wirtschaftsprüfer verdienen Millionen mit Nachhaltigkeitsberichten oder dem Abnicken von Standards: Seit kurzem gibt es in Zusammenarbeit mit der Augsburger Fachhochschule einen TÜV für Aufsichtsräte, und Spargelbauern können sich fairen Umgang mit ihren Saisonarbeitern verbriefen lassen.

Auf der weltgrößten Messe für Bio-Produkte in Nürnberg wurde jüngst ein Label präsentiert, das genauso heißt wie das neue Unternehmen der beiden Gründer: New Ethics. Und was ist glaubwürdiger, als wenn ein »Urgestein der deutschen Bio-Bewegung« damit um die Ecke kommt? So bezeichnet sich zumindest Rainer Plum, Gründer der 28 Jahre alten Kosmetikmarke Tautropfen, auf der entsprechenden Website. Sein Partner ist der Werber Klaus Fasold, der sich um die »erfolgreiche Inszenierung von Unternehmen und Marken« kümmert.

So erklärt es sich auch, dass in das Design des Etiketts offenbar mehr Mühe investiert wurde als in die Einhaltung von Kriterien. »Unser Handeln ist bestimmt von Respekt und Achtung vor dem Leben und der Natur« - so warm beginnt die kurze Regelfibel. Und so windelweich geht es weiter: fairer Handel, keine Zwangsarbeit, aber alles so wolkig, dass auch die Regierung von Burma nicken könnte. Und alles als Selbstverpflichtung. Wer überprüft, wer sanktioniert? Niemand. Aber das würde das Internet schon abstrafen, so Fasold. Dafür dürfen Firmen, die sich mit dem Ethiketikett schmücken wollen, bis zu 1,5 Prozent des Umsatzes berappen.

Auf einigen Bio-Säften des Herstellers Voelkel klebt das Label bereits. Voelkel darf auch noch ein halbes Dutzend anderer Siegel verwenden, das nächste ist in Vorbereitung: »Emission free« soll die Produktion von vier Saftlinien bald werden. Auf der Bio-Messe klebte dieses Logo bereits testweise auf Voelkel-Flaschen.

Energie sparen will das Unternehmen dafür und »Klimaschutzprojekte fördern«, so der Prospekt. Viel mehr ist bisher nicht klar. Das schwer im Trend liegende Voelkel-Label wird von Agra-Teg zertifiziert, einer Ausgründung von Agrarwissenschaftlern der Göttinger Universität. Zwar hat die kleine Firma ein ziemlich professionelles Prüfprocedere aufgelegt, aber mit »Emission free« sei man wohl »etwas übers Ziel hinausgeschossen«, gibt Geschäftsführer Jörg Heinzemann zu. Emissionsfrei sei ja nicht mal ein Baum.

In Zukunft werde »Climate neutral« auf den Etiketten stehen. Doch auch dieses Versprechen ist umstritten. Denn der Ablasshandel für das grüne Gewissen ist auf dem Weg zum Milliardenmarkt, wobei eine gigantische Nachfrage auf wenige wirklich gute Hilfsprojekte trifft. Wegen seines Täuschungspotentials steht der Begriff »klimaneutral« auf der aktuellen Liste zum Unwort des Jahres deshalb auf einem Spitzenplatz.

Klimaneutral würde er seine Zertifikate nicht nennen, sagt Dietrich Brockhagen von Atmosfair: »Das führt in die Irre.« Die gemeinnützige Bonner Firma ist eine von inzwischen rund 40 Klimaschutzagenturen weltweit. Wer sein Gewissen beim Fliegen erleichtern will, zahlt einen kleinen Aufpreis und spart über Atmosfair an anderer Stelle Emissionen ein. Die Ausgleichsprojekte seien »Gold-Standard«-Projekte internationaler Umweltschutzorganisationen, so das Zertifikat.

In den allgemeinen Geschäftsbedingungen hört sich das etwas anders an. Kann der Gold-Standard nicht garantiert werden, darf Atmosfair auch andere Projekte unterstützen. Das Problem: Der Gold-Standard garantiert zwar emissionsreduzierende Projekte, doch die sind im Moment so rar wie das Edelmetall selbst.

Atmosfair-Mann Brockhagen sagt, dass es im Augenblick nur eine »Handvoll« solcher guten, zusätzlichen Projekte gebe. Man müsse sie - wie ein Projekt mit emissionsgeminderten Kochern in Nigeria - »quasi selbst anschieben«. Das ist auch der Grund, weshalb Atmosfair die Gesamteinnahmen von mittlerweile über 1,5 Millionen Euro noch nicht vollständig in Projekte investieren konnte.

Auf den Trend zum Guten hat auch die Stiftung Warentest reagiert. Seit 2004 werden Produkte auf die Einhaltung sozialer und nachhaltiger Regeln abgeklopft. »Wir haben das etwa mit Garnelen, Kochschinken, Herrenhemden und Fußbällen gemacht«, sagt Hubertus Primus, Chefredakteur der Zeitschrift »test«. Manche Hersteller hätten sich der Prüfung verweigert. Immerhin steht das dann aber im Testergebnis.

Jürgen Stellpflug, Primus' Pendant bei »Öko-Test« und damit sein schärfster Konkurrent, hält solche Tests für schwer verifizierbar. Sein Steckenpferd ist die Suche nach Schadstoffen - was mitunter zu kuriosen Ergebnissen führt: So trägt etwa der Fettmacher Nutella das »Öko-Test«-Siegel »Sehr gut«. Ebenso gut schnitt die Milch von Lidl ab, dessen Dumping-Preis-Politik gerade wieder die deutschen Bauern verärgert. Ökologisch vorbildlich wirtschaften lässt sich mit solchen Niedrigpreisen kaum.

Öko sei nun mal nicht nur Ökologie, sondern irgendwie ein »sehr umfassender Begriff«, sagt Stellpflug. Gerade sind Risikolebensversicherungen von ihm ausgezeichnet worden. NILS KLAWITTER

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